Mittelschwaebische Nachrichten
Dieser Stadt ist nicht zu trauen
Das Geheimnis von Neapel Der Lover der letzten Nacht wird für eine Gerichtsmedizinerin schnell zur nächsten Leiche auf dem Seziertisch. Was als Thriller beginnt, wird zur Studie einer traumatisierten Frau
Die Gerichtsmedizinerin Adriana (Giovanna Mezzogiorno) kann ihr Glück kaum fassen, als der deutlich jüngere, wunderschöne Andrea (Alessandro Borghi) sie auf einer Kunstszene-Party äußerst zielstrebig anflirtet. Und es kommt noch besser. Denn nach einer leidenschaftlich durchliebten Nacht schleicht sich der Lover am Morgen nicht einfach aus der Wohnung, sondern besteht auf ein Wiedersehen noch am selben Tag. Sie könne für ihn sein, was sie wolle: Freundin, Gefährtin, Verlobte. Je mehr, desto besser.
Adriana lässt sich Zeit mit dem Ankreuzen. Aber dann taucht der Geliebte zum verabredeten Treffen im Museum nicht auf. Stattdessen liegt seine Leiche am nächsten Tag vor ihr auf dem Seziertisch. Die Augen sind herausgestochen, der Körper zerschunden. Nur an einer Tätowierung erkennt die Gerichtsme- dizinerin, dass es sich um ihren Liebhaber handelt.
Gleich zu Beginn arbeitet der italienisch-türkiche Regisseur Ferzan Özpetek („Hamam“) mit starken emotionalen Kontrasten und setzt der leidenschaftlichen Liebe die Schrecken des Todes entgegen. Er tut dies vor der Kulisse Neapels, dessen geheimnisvoller, morbider Charme in den folgenden zwei Kinostunden auf das Gründlichste erforscht wird.
Die Erlebnisse führen Adriana, die seit vielen Jahren alleine lebt, in eine tiefe Krise. Die Tür, die sich in dieser unverhofften Liebes- nacht geöffnet hat, wird gewaltsam wieder zugeschlagen und die Erschütterung treibt Risse in die Fundamente ihres Lebens. Wenig später sieht sie in der Nacht einen jungen Mann, der Andrea bis aufs Haar gleicht. Er gibt vor, dessen Zwillingsbruder zu sein. Adriana nimmt ihn bei sich auf, versteckt ihn vor Polizei und Kriminellen und beginnt schon bald eine Affäre mit dem rätselhaften Doppelgänger – der ja vielleicht auch nur eine Wahnvorstellung der traumatisierten Frau ist. Denn schon bald ist klar, dass in diesem Film Traum und Wirklichkeit immer wieder ineinander verschwimmen.
Mit einer feinen Lasur des Surrealen überzieht Özpetek seine Bilder, und auch das Figurenarsenal, das das oftmals verschworen wirkende Umfeld der Protagonistin bildet, wirkt ein wenig zu exzentrisch, um wahr zu sein. Dabei vernebelt sich der gewaltsam aufgerissene KriminalfilmPlot allmählich im Ungefähren. Der Kommissar, der sich geduldig in Adriana verliebt, gibt schon bald die Ermittlungstätigkeiten auf, um ihr mit freundschaftlich-therapeutischen Ratschlägen zu Seite zu stehen. Ob Andrea zum Opfer der neapolitanischen Kunsthehler-Mafia wurde, wird sich nie restlos klären. Ohnehin gilt das ungeteilte Interesse den subjektiven Erfahrungen der kriselnden Heldin, die mit den Dämonen ihrer Vergangenheit zu kämpfen beginnt und dabei auch immer tiefer in die dunkle Vergangenheit der Stadt einzutauchen scheint.
In sinnlichen, kraftvollen, fast schon haptischen Bildern erzählt Özpetek seinen mystisch durchsetzten urbanen Seelenthriller und segelt dabei stets knapp am Prätentiösen vorbei. Die Sehnsucht nach großen Kinobildern ist ehrenhaft, dient hier aber trotz veritabler Sogwirkung manchmal nur der kreativen Selbstbespiegelung. Im visuellen Mahlstrom behauptet sich die fabelhafte Giovanna Mezzogiorno mit beharrlicher Kraft, sucht gerade in der Zerbrechlichkeit ihrer Figur deren Stärke und bindet den Zuschauer immer wieder an sich, bevor der in der Flut der atmosphärisch überladenen Bilder davontreibt.