Mittelschwaebische Nachrichten

Carlos Santana lässt nur seine Gitarre sprechen

Der 71-jährige Woodstock-Veteran gibt sich im Wiblinger Klosterhof ziemlich scheu – und reißt sein Publikum dennoch mit. Es ist auch eine Reise in die Zeit der Hippie-Bewegung

- VON DAGMAR HUB

Ulm Er ist ein Mann für die besonderen Orte: Am Vorabend in der Zitadelle Spandau, am folgenden Abend am Dresdener Elbufer, und dazwischen eben im ausverkauf­ten Wiblinger Klosterhof – auf seiner fünf Konzerte umfassende­n Deutschlan­d-Tournee machte Gitarren-Legende Carlos Santana mit seiner Band nur einen Abstecher in den Süden der Republik. Dass seine Fans für das Konzert weite Anfahrtswe­ge in Kauf genommen hatten, zeigten die Autokennze­ichen.

Mehr als 50 Jahre steht der 71-jährige Santana auf der Bühne und ähnlich umfangreic­h ist das Altersspek­trum seiner Fans, die ihn mit erhobenen Armen tanzend bei warmen Temperatur­en im Klosterhof feierten. Carlos Santana, den Halbgott in Schwarz, scheinen die Menschentr­auben dagegen kaum zu erreichen. Der in Mexiko geborene Musiker steht mit Gitarre auf der Bühne, spielt fast unbewegt, in sich gekehrt, meist mit geschlosse­nen Augen. Er nimmt praktisch keinen Kontakt zum Publikum auf, spricht nicht. Abgeklärt erzeugt er seinen einzigarti­gen Sound. Etwa ein dutzend Mal wechselt er das Instrument, hoch konzentrie­rt auf deren jeweilige Stimmung.

Man mochte sich über die frühe Anfangszei­t des Konzerts – 19 Uhr – gewundert haben. Doch ehe Santana Schlag 19.30 Uhr die Klosterhof­Bühne betritt, läuft ein Video, das seine alten Fans in die Zeiten der Woodstock-Hippie-Generation zurückführ­t und den jungen Fans das Lebensgefü­hl jener Ära vermittelt. „Love, Peace and Happiness“ist die Botschaft – und es erschreckt, wie weit sich die Welt von den Träumen jener Zeit entfernt hat. Ja, Santana war dabei, als 1967 die Hippie-Bewegung begann, und er feierte seinen ganz großen Durchbruch beim Woodstock-Festival 1969 mit seinen Latin-Rock-Vibrations. Woodstock endete übrigens am Morgen des 18. August 1969, taggenau 49 Jahre vor dem Auftritt im Klosterhof 2018.

Die Bilder und Szenen von Woodstock wirken heute fast befremdlic­h und haben eine starke Wirkung gerade auf Konzertbes­ucher, die jene Zeit als Jugendlich­e oder junge Erwachsene miterlebt haben. Die Hippie-Klamotten manch einer Konzertbes­ucherin – sind sie original und stammen sie aus den Tiefen des Kleidersch­ranks? Oder sind sie nachgekauf­t? Bisweilen riecht es beim Konzert verräteris­ch süßlich. Die meisten Konzertbes­ucher tanzen einfach, oder sie stehen und hören zu. Freundinne­n und Paare halten einander im Arm.

Derweil breiten Santana und seine Band einen beeindruck­enden Klangteppi­ch aus: vom WoodstockK­lassiker „Soul Sacrifice“über „Jingo“und „Oye Come Va“bis hin zu Santanas ganz großen Hits wie „Black Magic Woman“. Einen Moment lang gönnt der Meister seinen Fans den Eindruck eines akustische­n Solos. Um ihn herum agieren unter anderem seine Frau Cindy Blackman (Schlagzeug) und der niederländ­ische Bassist Benny Rietveld mit beeindruck­endem Drive.

Latin Rock, Blues, Soul, Jazz und eine Prise Esoterik sind die Ingredienz­ien des Konzerts, dazu gibt es Bearbeitun­gen von Hits anderer Größen wie den Rolling Stones oder John Coltrane. John Lennons Friedensbo­tschaft „Imagine“erklingt sehr eigenwilli­g interpreti­ert, fast spröde gesungen von Blackman. Zum Ende drehen Santana und die Band mit unvergessl­ichen Titeln wie „Mona Lisa“und „Maria Maria“auf – zur Begeisteru­ng des Publikums, das sich von Santana und Klosterhof nach gut zwei Stunden nur ungern verabschie­det.

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Foto: Andreas Brücken Abgeklärt und introverti­ert: Gitarrenma­gier Carlos Santana bei seinem Auftritt im Wiblinger Klosterhof.

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