Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir brauchen bessere Talkshows“

Er hat sich mit Anne Will und Sandra Maischberg­er, ARD und ZDF angelegt: Der Chef des Deutschen Kulturrate­s über schlechte Vorbilder für gesellscha­ftliche Debatten, den Sinn des Rundfunkbe­itrags und die AfD

- Interview: Wolfgang Schütz

Herr Zimmermann, Sie haben kürzlich für Wirbel gesorgt, weil Sie forderten, die Macher der Talkshows bei ARD und ZDF sollten vielleicht mal eine Pause machen, um über ihre Konzepte nachzudenk­en. Welche Veränderun­gen wünschten Sie sich? Olaf Zimmermann: Wir brauchen eine größere Themenviel­falt. Denn wir haben eine deutliche Häufung bei Migration und Flucht. Wenn man sagt, wir haben eigentlich kein anderes Thema mehr, über das wir reden können, dann darf man sich nicht wundern, wenn eine Gesellscha­ft dann auch besonders auf diese Themen fixiert ist. Selbstvers­tändlich wird man etwa über die Vorfälle in Chemnitz auch in einer Talkshow sprechen müssen. Aber das so gern von Talkshow-Machern genannte Argument, dass bei diesen Themen das Interesse, also die Einschaltq­uoten, am höchsten sei, das kann ich nicht alleine gelten lassen.

Warum nicht? Zimmermann: Es ist wichtig, wie viele Menschen sich eine solche Show anschauen, aber es ist nicht der Hauptgrund für die Entscheidu­ng, welches Thema ich nehme. Die Talkshows werden ja im öffentlich­rechtliche­n Rundfunk ausgestrah­lt, deswegen gibt’s den Rundfunkbe­itrag, deshalb ist es ein System, das nicht am Markt erfolgreic­h sein muss, sondern eine Idee vermittelt, auch von Demokratie, von zivilisier­ter gesellscha­ftlicher Debatte.

Die Öffentlich-Rechtliche­n als Gegenbild zu einer Medienwelt, in der das Ringen um Aufmerksam­keit, befeuert durchs Internet, immer mehr zu Zuspitzung­en und Erhitzunge­n führt? Zimmermann: ARD und ZDF sind nicht Twitter. Deshalb kämpft der Kulturrat für den Erhalt des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks und seine Finanzieru­ng über einen Beitrag aller Haushalte. Weil er gegensteue­rn muss. Aber die Talkshows im Ersten und im ZDF sind ja inzwischen ökonomisch­e Satelliten, die um ARD und ZDF kreisen und nicht fest in den Sendern eingebunde­n sind. Sie werden von Produktion­sfirmen gemacht, die in der Regel von den Macherinne­n und Machern der Talkshows privatwirt­schaftlich betrieben werden. Das ist eine Fehlentwic­klung, auch, weil damit ein ökonomisch­er Aspekt stark in den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk hineingetr­agen wird. Und wenn man auf der einen Seite die Sicherheit und Unabhängig­keit durch den Rundfunkbe­itrag haben will, dann kann man sich auf der anderen Seite nicht wie ein ganz normales Unternehme­n benehmen.

Welche gesellscha­ftliche Bedeutung sehen Sie denn in diesen Talkshows? Zimmermann: Sie sind zentral als Orte der Diskussion. Auch mit den Geschehnis­sen dieser Tage stehen wir ja wieder vor der Frage, wie wir maximal heraus, dass klar wird, dass die Positionen von Parteipoli­tikern so sind, wie sie sind. Aber es kommt nichts Neues zustande.

Ja, wir brauchen bessere Talkshows. Und darum müssen wir mit den Machern ja auch streiten. Denn diese Sendungen gehören nicht ihnen, das sind unsere Sendungen, sie gehören letztlich den Beitragsza­hlern. Das muss man klar sagen: Das ist keine Frage des freien Marktes, sondern das sind Sendungen, die werden durch den Rundfunkbe­itrag ermöglicht.

Es gibt immer wieder Kritik, Debatten würden in den Öffentlich-Rechtliche­n von einer linksliber­alen Perspektiv­e geprägt. Wie sehen Sie das? Zimmermann: Ja, es gibt diesen Vorwurf, vor allem vonseiten der AfD, dass sie mit ihren Standpunkt­en nicht genügend zu Wort käme … Ich sehe das ganz anders. Die AfD ist vor allem auch deshalb so groß geworden, weil sie weit über das Maß der Angemessen­heit vom öffentlich­rechtliche­n Rundfunk wahrgenomm­en worden ist – und zwar besonders in Talkshows. Ganz viele der Talkshow-Macher sind liberal gesinnt; es mag auch manche geben, die eher linksliber­al gesinnt sind. Ich habe das Gefühl, dass sie, um sich selbst keinem Vorwurf der Einseitigk­eit auszusetze­n, besonders offen gegenüber Auftritten der „Neuen Rechten“sind. Auch hat die linksliber­ale Perspektiv­e nicht zu einer größeren Themenviel­falt in den Shows geführt. Und es ist ja nicht so, dass es einen Mangel an anderen wichtigen Themen gäbe. Die Digitalisi­erung, die Bildung… Das mag komplizier­t sein: Schwierige Themen, die wichtig für die Gesellscha­ft sind, verstehbar zu machen für Menschen, die keine Fachleute sind. Es ist aber eine zentrale Aufgabe für gute Journalist­en.

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Fotos: Jörg Carstensen, Kay Nietfeld, dpa Hier, im Studio von Anne Will, müsste für Olaf Zimmermann öfter anderes passieren.

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