Mittelschwaebische Nachrichten
Mit neuem Roman zurück zu alter Fabulierlust
Die chilenische Bestsellerautorin erzählt von drei ineinander verflochtenen Schicksalen
Im Nachwort ihres neuen Romans erzählt Isabel Allende, dass die Idee zu „Ein unvergänglicher Sommer“in einer kleinen Runde an Weihnachten entstanden sei, weil sie seit 35 Jahren immer am 8. Januar zu schreiben begonnen habe. Aus den Ideen, die da in die Runde geworfen wurden, sei das Gerüst des Romans entstanden, in den die 75-Jährige dann auch ihre eigene (späte) Liebesgeschichte einbaute.
So richtig neu ist nichts in diesem Buch, vieles kennt man aus früheren Romanen der chilenischen Erfolgsautorin („Das Geisterhaus“). Und doch hat man das Gefühl, dass Allende wieder neue Lust am Zusammenspinnen von Realität und Magie gewonnen und in manchen Schilderungen zu ihrer alten Fabulierkraft zurückgefunden hat. Nur schade, dass der Zuckerguss-Schluss die schlimmen Geschichten von Folter und Mord, die ebenfalls Thema sind, fast vergessen macht.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein einem Schneesturm in New York geschuldeter Auffahrunfall bringt drei Menschen und ihre Schicksale zusammen. Die junge, zarte Evelyn, Kindermädchen bei einer reichen Familie, wollte mit dem Auto ihres zwielichtigen Arbeitgebers zum Einkaufen fahren und stößt nach dem Unfall auf eine Leiche im Kofferraum. Der Unfallverursacher, der misanthropische Universitätsprofessor Richard, fühlt sich verantwortlich und bittet seine Untermieterin Lucia, eine robuste Gastdozentin aus Chile, um Hilfe. Weil Evelyn aus Guatemala kommt und illegal in den USA ist, kann das Trio nicht auf die Polizei zählen.
Die mühevolle Beseitigung des Unfallfahrzeugs und der Leiche kommt manchmal ziemlich slapstickhaft daher, aber die Lebensgeschichten der Drei, die zwischendrin erzählt werden, spiegeln in ihrer Tragik die Situation Lateinamerikas – und zeigen zugleich exemplarisch die Not der Flüchtlinge weltweit. Mit der 62-jährigen Lucia hat Allende wohl sich selbst porträtiert, und das ziemlich gnadenlos: „Der Spiegel war, genau wie die Fotografie, ein schonungsloser Gegner, weil in der Erstarrung jeder Makel ungemildert hervortrat. Wenn überhaupt, dann fand sie sich in der Bewegung attraktiv. Sie war gelenkig und besaß eine gewisse Anmut, unverdient, denn sie hatte nie etwas dafür getan, war esslustig und träge wie eine Odaliske und hätte, wäre es auf Erden gerecht zugegangen, fettleibig sein müssen.“
Lucias Realismus sorgt dafür, dass die Geschichte von der Leiche im Kofferraum und ihrer Entsorgung glaubhaft ist. Beim Happy End schlägt dann zwar die Romantik zu. Doch der Schlusssatz versöhnt: „Mitten im Winter erfuhr ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher Sommer ist“, sagt Richard zu Lucia. „Ist dir das eben eingefallen?“„Nein, das ist von Camus.“
» Isabel Allende. Ein unvergänglicher Sommer. Übersetzt. von Svenja Becker. Suhrkamp, 348 S., 24 ¤