Mittelschwaebische Nachrichten
Von Angst und Problemen
Das Günztal – es ist schon ein idyllisches Stück Landschaft. Und wer sich Zeit nimmt und hier wandernd oder mit dem Rad unterwegs ist, der spürt auch etwas von der Lebensgelassenheit und den Traditionen, die das Günztal und die Region so lange geprägt haben. Auf einer Wiese grasen Kühe. Nicht weit entfernt das Breitenthaler Vereinsheim, im wahrsten Sinne das Heim für Musik, die Schützen, den Sport, auf der Bühne wird regelmäßig Laientheater gespielt. Nun steht hier Alice Weidel von der AfD auf der Bühne. Prallvoll ist der Saal, draußen vor dem Gelände wird demonstriert. Es sind Hunderte von Menschen da und Hunderte von Menschen dort. Die Wahl der Worte ist auf beiden Seiten, sagen wir, nicht selten hart. Diese vielen Menschen haben sich – eigentlich nichts zu sagen. Und das bei uns, in Mittelschwaben. Allein dieser Befund lässt einen durchatmen. Die Zuhörer von Alice Weidel, das sind in hohem Maß nicht mehr die Neonazis und NPD-Sympathisanten früherer Jahrzehnte. Im Publikum sind auch Ärzte, Lehrer, Handwerker. Und „da sind doch auch Menschen mit all den Sorgen und Problemen des Alltags, der Aussicht auf eine kleine Rente, oder mit der Angst zu einem unbetreuten Pflegefall zu werden“, sagt eine Beobachterin, die Weidels Rede aus Interesse verfolgt, aber in keiner Weise mit der AfD sympathisiert.
Aber dann redet sich Alice Weidel in Fahrt. „Angela Merkel hat völlig den Verstand verloren.“Ja, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ist hochumstritten. Aber muss man deswegen Angela Merkel gleich sozusagen für verrückt erklären? Und „wer Terroristen, Vergewaltiger und Messerstecher besser als die eigenen Bürger schützt, der ist kein Rechtsstaat mehr“, sagt Weidel. Die Bundesrepublik, die längste Demokratie der deutschen Geschichte, kein Rechtsstaat mehr? Das ist, auch mit Blick auf viele Länder dieser Welt, formulieren wir es vorsichtig, ganz schön dick aufgetragen. Weidel spricht von Wut und Angst. Doch waren Wut und Angst jemals gute Lebensratgeber? Draußen, bei der Gegendemonstration, spricht Breitenthals Bürgermeisterin Gabriele Wohlhöfler. Sie gehört für die CSU dem Kreistag an, gilt aber nicht als klassische „Parteipolitikerin“. In 16 Jahren ihrer Amtszeit hat sie eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen. Sie und viele andere Kommunalpolitiker kennen aus dem Alltag all die Probleme, die derzeit die Menschen bewegen. Die Herausforderungen der Integration, damit verbunden die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, in den Schulen. Aber „Wut“und „Angst“– dieses Vokabular ist ihnen fremd. Und es ist nicht zuletzt dieser nüchterne Problemlösungsansatz, der für die Region sehr wohltuend ist. Aber wie viel Raum wird für diesen wohltuenden Politikansatz in einer aufgeheizten, sprachlich immer mehr befeuerten Stimmung bleiben?
Als in und um das Vereinsheim von Breitenthal langsam Stille einkehrt, schaut eine ältere Frau, die mit dem Fahrrad unterwegs ist, auf das Gelände. „Was war denn da los?“, fragt sie. „Eine Veranstaltung der AfD und eine Gegendemo.“Dann erzählt sie von ihrer Kindheit in Pommern, von Krieg Gewalt und Vertreibung. Unvermittelt lächelt sie. „Ach, ihr habt Probleme“, sagt sie dann nur noch – und radelt weiter.