Mittelschwaebische Nachrichten
Das Herbstfest des Dressursports
Reiten Die Günzburger Anlage erlebt eine Gala vom Feinsten. Sportler und Zuschauer sind gleichermaßen begeistert. Reiter aus der Region erreichen gute Platzierungen – auch im Springen
Günzburg So viele fröhliche Gesichter wie bei diesem Herbstturnier hat die in die Jahre gekommene Anlage des Reit- und Fahrvereins (RFV) Günzburg schon lange nicht mehr erlebt. Veranstalter, Sportler, Richter, Zuschauer – sie alle sangen während der von spätsommerlichem Bilderbuchwetter begleiteten DreiTage-Veranstaltung das Hohelied des Reitsports, oder, etwas präziser formuliert, des Dressursports.
Startquoten von bis zu 80 Prozent belegen eindrucksvoll, dass die Günzburger Veranstaltung nach wie vor ein Höhepunkt im schwäbischen Turnierkalender ist. Nur, dass sich mit der Zeit die Zielgruppen verschoben haben.
Auf dem Springplatz tummelten sich vor allem Breiten- und Nachwuchssportler aus der Region in einem bunten Mix mit Leistungsklasse 2-Reitern, die ihre Ausbildungspferde mitbrachten. Wenig überraschend belegten Sportler aus der Region selbst in den vier anspruchsvollsten Springprüfungen vordere Plätze. Im abschließenden L-Springen mit Siegerrunde zum Beispiel erreichte Ingrid Heidemann (PSV Bleichen) auf Chicago den zweiten Platz. Auch Siege gabs aus Landkreis-Perspektive zu feiern: Jennifer Wiedemann (RSG Edelstetten) auf Chica Guapa de la Concha und Thomas Ruf (PSV Bleichen) auf Atlanta’s Luna gewannen nach fehlerfreien Ritten weitere L-Prüfungen.
Trotz starker Leistungen und unverändert hohen Publikumsinteresses: Insgesamt standen die Springreiter – und das ist selten – im Schatten ihrer Kollegen. Auf dem Dressurplatz nämlich gab sich das Who is Who des schwäbisch-württembergischen Reitsports sinnbildlich die Klinke in die Hand. Die Fans honorierten das durch einen vergleichsweise überwältigenden Besuch. In der Spitze verfolgten 100 oder mehr Besucher die oft sehenswerten Vorträge von Pferden und Reitern. RFV-Spitzenreiter Wolfgang Buchmiller sagte anerkennend: „Ich bin ja auswärts viel auf Dressur-Turnieren – da kommen vielleicht 15 Zuschauer. Aber das ist eben der Vorteil in Günzburg: Man sitzt direkt am Dressurplatz.“
Buchmiller selbst hätte sich über so viel Zuspruch auch gefreut. Doch er verzichtete, als es in die abschließende S*-Prüfung ging. Sicherheitshalber ließ er seinen 16-jährigen Rosenstolz, den er vierjährig gekauft und selbst ausgebildet hatte, im Stall. Der 60-Jährige berichtete von „leichten Takt-Unreinheiten“, die der Wallach in der M**-Dressur am Samstag offenbart hatte. „Es könnte sein, dass da was ist – und das Risiko, ihn starten zu lassen, ist mir einfach zu groß“, bemerkte der Reiter, der am Abschlusstag der Veranstaltung zwischen der Zuschauerrolle am Dressurplatz und dem Einsatz bei der Gästebewirtung pendelte.
Während die Siege in der S*-Dressur an auswärtige Reiter gingen, feierten die Einheimischen immerhin gute Platzierungen. Jörg Schrödter (RC Riedheim) wurde auf Sir Solitär Dritter in der zweiten Abteilung um den Großen Preis der Stadt Günzburg, während die erste Abteilung um den Preis der Sparkasse Günzburg-Krumbach Christina Jorck-Jorkston (RSG Edelstetten) und Don Alfredo als Fünfte auswies. Die aus Dänemark stammende Trägerin des Goldenen Reitabzeichens fühlt sich in Günzburg heimisch; immerhin gewann sie hier schon Aufgaben der schweren Klasse. Diesmal war sie nach ihrem Ritt auf dem elfjährigen Westfalen „sehr zufrieden“. Mit dem für sie typischen Gute-Laune-Lächeln bescheinigte Jorck-Jorckston dem RFV-Team „ein super organisiertes, gut gemachtes Turnier“.
Prominent besetzt waren in Günzburg auch die Richterstühle. Die Dressurreiter freuten sich über den Besuch von Barbara Gangloff aus Gerlingen, eine der Besten ihres Fachs weit und breit. Sie gab die Blumen auch gerne zurück, indem sie bereits am Samstag erwähnte, das Turnier sei „sehr gut organisiert und wir Richter wurden herzlich willkommen geheißen“. Mit einem anerkennenden Blick über das Dressur-Areal stellte sie auch dem Boden in Günzburg die Note „sehr gut“aus.
Früher ritt Gangloff selbst erfolgreich – eine Grundvoraussetzung für das Richteramt, wie sie betonte. Bewerber sollten mindestens das Silberne Reitabzeichen oder den C-Schein als Trainer besitzen. Um hier bis zur schweren Klasse vorzustoßen, sei zudem eine Menge Sitzfleisch vonnöten, schilderte sie. Auf jeder Ebene des Reitsports müsse man sich beweisen und nach längeren Wartezeiten immer wieder Prüfungen absolvieren, um jeweils eine Stufe höher zu klettern.
Gangloff selbst blickt inzwischen auf eine jahrzehntelange Laufbahn als Dressur-Richterin zurück. Am Rande des Günzburger Turniers wurde eine hübsche Anekdote erzählt, wie es dazu kam: Eines Tages, die damals junge Reiterin hatte gerade einen Grand Prix Intermediaire glänzend absolviert, habe ihr ein Richter einen Ritt „vom Feinsten“bescheinigt. Dennoch wurde sie nur auf Position sechs gesetzt und auf Nachfrage beim gleichen Richter habe der sinngemäß gesagt, sie möge sich, bitteschön, mal ansehen, welch große Namen vor ihr im Klassement aufgeführt seien. Angesichts dieser Ungehörigkeit entschloss sich Gangloff, selbst Richterin zu werden. Nicht auf den suboptimalen Springplatz-Untergrund zurückzuführen waren insgesamt vier Stürze, die sich während des Turniers ereigneten. Einer, der gar nicht besonders spektakulär aussah, sorgte sogar für eine gehörige Schrecksekunde unter den Augenzeugen. Eine junge Reiterin war auf die Hüfte gekracht. Weil sie über starke Schmerzen klagte, wurde sie vorsichtshalber mit dem Sanka ins nahe gelegene Krankenhaus gebracht. Zunächst geisterte gar das Unwort „Beckenbruch“durchs Publikum, doch die Sache ging glimpflich aus. Einen Tag später saß die Sportlerin schon wieder im Sattel – und gewann sogar eine Prüfung.