Mittelschwaebische Nachrichten

Iraker lebten sechs Monate im Kirchenasy­l

Eine Familie mit vier Kindern verbrachte die Zeit auf dem Gelände der evangelisc­hen Pfarrei in Burgau. Es ist der einzige bekannte solche Fall im Kreis. Abgeschobe­n zu werden ist für sie unvorstell­bar – die Gefahr für ihr Leben sei zu groß

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Burgau Die Kinder gingen auf eine Privatschu­le, die Eltern hatten gute Berufe im Irak. Der Vater arbeitete als Journalist, unter anderem für einen kurdischen Sender, und nebenher als Lehrer. Die Mutter unterricht­ete ebenfalls. Doch am 17. Juli vergangene­n Jahres sahen die beiden keine andere Möglichkei­t mehr, als zusammen mit ihren beiden Töchtern und den Zwillingss­öhnen ihre Heimat zu verlassen. Bakhtyar Mahmood Hama hatte zu oft kritisch über Probleme im Land berichtet, etwa dass sich bestimmte Leute die Einnahmen aus Ölgeschäft­en in die eigene Tasche gesteckt hätten, statt die Bevölkerun­g daran teilhaben zu lassen. Zwei Mal sei er im Gefängnis gewesen, wo er gefoltert worden sei, beim dritten „Aufenthalt“hätte ihn wohl dasselbe Schicksal ereilt wie drei Kollegen. Sie waren verschwund­en und wurden später tot gefunden, erzählt er. Freunde bei der Polizei warnten den Journalist­en, dass auch ihm das bevorstehe. Die Familie habe Drohbriefe bekommen, ihr Auto sei in Flammen aufgegange­n und sie sei Repressali­en ausgesetzt gewesen. Also machte sie sich auf einen Weg, der in Burgau vorerst endete.

Zunächst gingen die sechs in die Türkei, wo Bakhtyar Mahmood Hama über die dortigen Verhältnis­se berichten wollte. Sie hatten den Plan, dort so lange zu bleiben, bis im Irak keine unmittelba­re Gefahr mehr bestanden hätte. Parallel baten sie die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal um Hilfe, was jedoch vergeblich gewesen sei. Die Heimat endgültig zu verlassen, sei nach zwei Monaten deshalb die einzige Möglichkei­t gewesen, die ihnen blieb. Mit einem Schiff ging es, so erzählt er, über das Schwarze Meer, zunächst war in Rumänien Endstation. Nach der Registrier­ung als Flüchtling­e seien sie für zwei Monate in ein geschlosse­nes Lager gekommen, wo es keinen Dolmetsche­r gegeben habe. Sie hätten Dokumente unterschre­iben müssen, ohne sie zu verstehen. In einer 20 Quadratmet­er großen Zelle seien die Familienmi­tglieder untergebra­cht worden. Als andere Flüchtling­e im Lager erzählten, dass man in Deutschlan­d sicher und frei sei, reifte in ihnen der Wunsch, auch selbst in die Bundesrepu­blik zu kommen.

das Lager saniert wurde, seien sie in ein offenes Gebäude verlegt worden und hätten einen Schleuser gefunden, der sie in einem Lastwagen in das gelobte Land brachte. Ohne Wasser und Essen hätten sie 30 Stunden dort zubringen müssen – die Zwillinge hatten Fieber –, bevor sie gewisserma­ßen aus dem Lkw geworfen wurden. Der Fahrer habe Angst gehabt, dass die Polizei kommt. Auf der Straße in dieser Winternach­t hielten sie ein Auto an, dessen Fahrer rief die Polizei, die mit einem Notarzt in kurzer Zeit gekommen sei. Ohne es damals zu wissen, seien sie in der Aufnahmeei­nrichtung Zirndorf bei Nürnberg gelandet. Nach zwei Monaten sei die Familie in den Landkreis Günzburg verlegt worden, knapp Monat blieben sie in Burtenbach. Ihnen wurde eröffnet, dass sie wegen ihrer Registrier­ung in Rumänien nicht in Deutschlan­d bleiben dürfen, schließlic­h sieht das DublinIII-Abkommen vor, dass Flüchtling­e in das Land zurückgesc­hickt werden, wo sie zum ersten Mal das Territoriu­m der Europäisch­en Union betreten haben. „Wir hatten viel Angst vor der Abschiebun­g“, erzählt der Familienva­ter. Denn Menschen, mit denen sie in Zirndorf waren, hätten nach Rumänien zurückgehe­n müssen. Weil Christl Baumgärtne­r sich in Burtenbach um Kinder in Flüchtling­sfamilien kümmert, wurde sie auf den Fall der Iraker aufmerksam und stellte den Kontakt zu Burgaus evangelisc­hem Pfarrer Peter Gürth her. „Wir hatWeil ten andere Fälle, die wir ohne Kirchenasy­l lösen konnten.“Hier sei das nicht möglich gewesen. Deshalb wurde die Evangelisc­he Landeskirc­he eingeschal­tet, der Kirchenvor­stand lud die Familie ein – und gewährte für sechs Monate Kirchenasy­l in Burgau. Die Kirche wolle nicht die Verantwort­ung für Probleme übernehmen, die durch menschenun­würdige Bedingunge­n in Osteuropa entstehen, aber gerade Familien solle geholfen werden.

Fortan lebten Bakhtyar Mahmood Hama, seine Frau Hawar Mohammed Ahmed – beide 1981 geboren –, die Töchter Diya Bakhtyar Mahmood, 14 Jahre alt, Dima Bakhtyar Mahmood, zwölf, und die Zwillinge Mohammed und Ahmed, bald drei Jahre alt, auf dem Grundeinen stück der evangelisc­hen Pfarrei. Die Kinder gingen und gehen weiter auf die Mittelschu­le – sie sprechen bereits gut Deutsch –, doch hätten sich die Eltern außerhalb des Geländes aufgehalte­n, hätte die Polizei „zugreifen“können. Bei den Kindern alleine sei das nicht möglich. Informiert gewesen seien die Behörden ohnehin, sagt Gürth, sie hätten auch das Gelände betreten und die Familie abschieben können, wenngleich man dagegen protestier­t hätte. Es habe auch die Aufforderu­ng gegeben, die sechs auszuliefe­rn, aber dem sei man nicht nachgekomm­en. „Aus einem kleinen Haus wurde für uns ein ganzes Land“, sagt Dima, zumindest für ein halbes Jahr hätten sie nicht mehr so viele Sorgen haben müssen. Der Pfarrer wurde wegen der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt angezeigt, erzählt er, aber die Ermittlung­en seien eingestell­t.

Die Zeit vertrieben sich die Eltern mit Lesen und der Mithilfe im

„Aus einem kleinen Haus wurde ein ganzes Land.“Dima Bakhtyar Mahmood

„Der Irak ist kein sicheres Land.“Pfarrer Peter Gürth

Pfarrhaus. Die muslimisch­e Familie feierte auch das Pfarrfest mit und bekam von vielen aus der Gemeinde Hilfe. Die Mutter schrieb sogar ein Buch, in dem sie die Zeit in Rumänien beschreibt. Die sechs Monate sind inzwischen vorbei. Das Asylverfah­ren läuft wieder, die Familie lebt jetzt in der Asylbewerb­erunterkun­ft an der Burgauer Mühlstraße.

Wenngleich die Angehörige­n im Irak sicher seien, so sei das für ihn und seine Familie angesichts der Vorgeschic­hte und seines Berufs nicht der Fall, sagt Bakhtyar Mahmood Hama. Er will sich mit seiner Frau und den Kindern in Deutschlan­d eine Zukunft aufbauen, die Sprache lernen, arbeiten und sich anpassen. Hauptsache, sie müssen nicht wieder zurück. Die Töchter würden gerne Ärztin und Anwältin werden, die Frau in der Pflege arbeiten und für sich werde er auch etwas finden. Dass es unter den Deutschen auch böse Menschen gibt, könne er sich angesichts der Hilfe, die die Familie erfahren habe, gar nicht vorstellen. Dass sie die Republik verlassen muss, hält Gürth angesichts der Bedrohung für ausgeschlo­ssen. „Der Irak ist kein sicheres Land.“Baumgärtne­r pflichtet ihm bei. Nach Auskunft von Landratsam­t, Regierung von Schwaben und der katholisch­en sowie evangelisc­hen Kirche ist der Fall wohl der einzige von Kirchenasy­l im Landkreis, der bekannt ist.

 ?? Foto: Christian Kirstges ?? Hier im Garten der Evangelisc­hen Kirche in Burgau verbrachte die Familie aus dem Irak viel Zeit. Pfarrer Peter Gürth, Christl Baumgärtne­r und Mitglieder der Gemeinde halfen den sechs. Inzwischen leben sie an der Mühlstraße.
Foto: Christian Kirstges Hier im Garten der Evangelisc­hen Kirche in Burgau verbrachte die Familie aus dem Irak viel Zeit. Pfarrer Peter Gürth, Christl Baumgärtne­r und Mitglieder der Gemeinde halfen den sechs. Inzwischen leben sie an der Mühlstraße.

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