Mittelschwaebische Nachrichten
„In der CSU geht es brutal zu“
Interview Der Kabarettistin Luise Kinseher vergeht beim Blick auf die politischen Kämpfe bisweilen das Lachen. Warum ihrer Ansicht nach der CSU mehr Ehrfurcht guttäte und die AfD in Niederbayern besonders stark ist
Frau Kinseher, mal ganz ehrlich: Braucht es bei all dem Tohuwabohu, das die Politik aufführt, überhaupt noch Kabarettisten? Die schrillste Pointe liefert doch inzwischen das wahre Leben.
Luise Kinseher: Man steht schon nur noch kopfschüttelnd daneben, das stimmt. Nur: Es ist leider nicht zum Lachen, was die Politik da treibt. Wir Kabarettisten haben deshalb die Aufgabe, den etwas anderen Blick auf das Geschehene zu werfen und eine zweite Ebene in die Realität einzuziehen. Manchmal denke ich mir: Wenn schon in der Politik so viel Tohuwabohu ist, müssen wir im Kabarett vielleicht wieder ein wenig nachdenklicher werden.
Sie haben Ihren Blick inzwischen stark geweitet und fragen in Ihrem Programm: Welche Bedeutung hat Bayern vom Weltraum aus betrachtet? Was sehen Sie denn von da oben? Luise Kinseher: Ja eben nichts! Und deshalb glaube ich, es würde jedem helfen, ab und zu mit Distanz auf sich selbst zu schauen – auch und gerade in der CSU, wo sie alle nur so vor Kraft strotzen. Mit Ehrfurcht auf die Erde blicken, das würde vielen helfen. Immer dieses KleinKlein! Schauen Sie sich den Fall Maaßen an oder den Streit zwischen CDU und CSU – man hat das Gefühl, es geht nur noch um Einzelpersonen und deren Befindlichkeit und das Streben nach Macht. Man bemüht sich ja nicht einmal mehr, einen anderen Eindruck zu erwecken. Da verrückt der Blick auf das eigentlich Wichtige komplett. Das versteht doch keiner mehr.
Ist das der Grund, warum die CSU momentan in den Umfragen so meilenweit von der absoluten Mehrheit entfernt ist?
Luise Kinseher: Die Gesellschaft hat sich verändert – auch in Bayern. Das Problem der CSU ist, dass sie da nicht mehr mitzukommen scheint. Früher war sie gesetzt, das ist heute nicht mehr so. Die „Zuagroasten“wählen nun mal nicht von Geburt an CSU, die wollen überzeugt werden. Da muss auch eine Partei umdenken, und genau deshalb gibt es innerhalb der CSU auch ein großes Ringen.
Als langjährige „Mama Bavaria“kennen Sie Ihre Kinder ganz besonders gut. Können Sie erklären, was die CSU umtreibt?
Luise Kinseher: Ganz ehrlich: Ich versteh’s auch nicht mehr. Nehmen Sie die #ausgehetzt-Demo in München vor einiger Zeit. Das Gros der Demonstranten waren ganz normale Leute, die sagen: Wir haben ein Herz, wir sind empathisch, wir wollen nicht von Politikern vertreten werden, bei denen dies völlig verloren geht. Horst Seehofer sagt, die Mutter aller Probleme sei die Migration. Wenn man sich aber in Bayern umschaut, dann wären wir ohne die vielen gut integrierten Türken oder Italiener aufgeschmissen. Bedauerlicherweise gibt es bei den Demonstrationen auch einen linken Block, der die Namen der Vertreter der CSU mit Hakenkreuzen versieht. Und ich kann mir vorstellen, dass sich einzelne Personen davon persönlich sehr verletzt fühlen. Das ist absolut verständlich! Aber deswegen wieder die vermeintliche „Linke“als Feindbild zu beschwören, halte ich für unklug! Es ist eine alte Methode der CSU. Auch Alexander Dobrindt sieht immer wieder gern die 68er-Hippies als Feindbild – ich weiß gar nicht, ob es die in Bayern jemals gab. Da frage ich mich schon: Wo leben denn die eigentlich? Wollen die so wirklich den älteren CSU-Wählern, die in ihren Augen nicht mitbekommen haben, dass sich die Welt in den letzten 50 Jahren weitergedreht hat, nach dem Mund reden? Man beschwört die alten Feindbilder, aber das geht doch hinten und vorn nicht auf. In solchen Aktionen spiegelt sich die persönliche Verletzung, aber auch die absolute Ratlosigkeit der CSU wider, wie sie ihre absolute Mehrheit halten soll. Sie haben einmal gesagt: Jeder hat die Politiker, die er verdient. Nun haben wir Bayern den Markus Söder… Luise Kinseher: Markus Söder ist ein Politiker, der sehr, sehr gut in die Zeit passt. Er zerreißt sich in dem Spagat, den er hinlegen will: Die Globalisierung gestalten, aber gleichzeitig die Heimat und die bayerische Identität bewahren. Zwischen Mia san mia und Fortschritt. Die Menschen in Bayern wollen, dass sich etwas ändert – aber eben auch, dass alles so bleibt, wie es schon immer war. Das ist ein sehr schmerzhafter Prozess. Markus Söder passt deshalb so gut dazu, weil er schmerzfrei tut. Ich bin mir nicht sicher, ob er mit seiner Art den richtigen Weg geht. So zu tun, als wisse er, wie alles geht, macht ihn andererseits unglaubwürdig.
Jetzt sitzt Söder ausgerechnet auf einem Stuhl, an dem er selber immer und ganz besonders fleißig gesägt hat. Ist es deshalb so ungemütlich für ihn?
Luise Kinseher: In der CSU geht es brutal zu, da zählt nur der Erfolg. Markus Söder muss liefern, das weiß er. Es geht für ihn um ein paar Prozentpunkte. Wenn er unter 35 Prozent landet, kann er sich eventuell nicht halten. Noch hört man nichts von der innerparteilichen Konkurrenz, aber das kann sich sehr schnell ändern.
Ganz ehrlich: bayerisches Pflegegeld, bayerische Eigenheimzulage, seit Jahren praktisch Vollbeschäftigung – wie kann man denn in so einer Lage überhaupt unzufrieden sein mit der Politik? Luise Kinseher: Ich glaube, dass das ein diffuses Gefühl ist, das ganz woanders herrührt. Es geht allen sehr gut, aber da ist eben immer diese Sorge um die Zukunft. Werden die Kinder tatsächlich in der Schule gut auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte vorbereitet? Wer pflegt mich einmal, wenn ich alt bin? Kann ich mir die Miete noch leisten? Ich glaube auch, dass die Finanzkrise vielen noch in den Knochen sitzt. Die Angst, das Ersparte zu verlieren, das hat die DNA der Leute nachhaltig verändert. Noch leben die meisten Menschen im Wohlstand – aber ist das morgen auch noch so? Dieses „Meinen Kindern wird es einmal besser gehen als mir“entspricht einem völlig anderen Lebensgefühl, als wenn ich sagen muss: „Hoffentlich geht’s meinen Kindern auch mal gut.“Das treibt die Menschen um. Und darauf hat die Politik keine echten Antworten. Natürlich sind die Erwartungen hoch. Aber das, was dieses Gefühl der Menschen speist, ist doch die Quittung für einen jahrelangen ungezügelten Kapitalismus, den auch die CSU recht beherzt vorangetrieben hat.
Bildung, Pflege, Mieten – trotzdem scheint sich alles nur noch um das Thema Flüchtlinge zu drehen. Läuft da etwas schief?
Luise Kinseher: Ich glaube, dass das Thema Flüchtlinge den Scheideweg umschreibt, vor dem die Menschheit gerade steht. Entscheide ich mich für eine Vision eines friedlichen Miteinanders? Kümmere ich mich um Klimawandel oder werden die Industrienationen ihren Lebensstandard um jeden Preis erhalten? Unterstütze ich eine gerechte Verteilung der Ressourcen oder treibe ich weiterhin die Schere zwischen Arm und Reich oder zwischen den Religionen auseinander? Welchen Grundwerten vertrauen wir? Kann sich die Demokratie halten? Diese großen Fragen der Menschheit kulminieren letztlich alle in der Flüchtlingsfrage. Wenn man dann noch überlegt, dass weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, sind wir doch dazu gezwungen, uns zu überlegen, wie wir eine vernünftige und humane Flüchtlingspolitik schaffen können.
Ist das auch der Grund, warum ausgerechnet die Grünen in den Umfragen kräftig zulegen?
Luise Kinseher: Die Grünen haben ihre Glaubwürdigkeit gefestigt. Sie sind sehr kämpferisch aufgetreten. Und dann ist Bayern ein Land, das von seiner Landschaft, von der Natur lebt. Die Menschen sind sehr naturverbunden. Die Grünen haben ihr Ziel, diese Natur zu schützen, sehr glaubhaft rübergebracht. Während die CSU zwar auch vorgibt, die Landschaft zu schützen, aber trotzdem eine Skischaukel am Riedberger Horn bauen wollte.
Wenn man sich das Lebensgefühl vieler Menschen in Bayern und die Umfragen anschaut, dann wäre doch eine schwarz-grüne Koalition ein logischer Schritt. Oder nicht?
Luise Kinseher: Diejenigen, die gerade in der CSU etwas zu sagen haben, lehnen das kategorisch ab, weil sie mit den Grünen ihr Feindbild des „realitätsfernen alternativen Hippies“pflegen können. Aber nach der Wahl wird sich zeigen, ob das zu halten ist.
Tut Ihnen eigentlich inzwischen die SPD leid?
Luise Kinseher: Nein, die SPD ist Kummer gewohnt in Bayern. Die haben zwar so schlechte Umfrageergebnisse wie noch nie. Aber das Ziel der SPD war immer, dass die CSU die absolute Mehrheit verliert und dass Bayern bunt ist und lebendig. Und das ist doch aktuell der Fall. Von daher schwimmt die SPD doch voll auf der Erfolgswelle – zumindest, wenn es um Bayern geht.
Gebürtig kommen Sie aus Geiselhöring, Niederbayern, knapp 7000 Einwohner, Ihr Vater hatte einen Malerbetrieb. Wie ist da die Stimmung? Luise Kinseher: Zu Edmund Stoibers Zeiten haben in Geiselhöring 97 Prozent CSU gewählt. Da dachte sich mein Vater, er geht jetzt auch zur CSU – auch wegen des Geschäfts. Die Antwort war: Die CSU ist voll! Da gibt es ein Selbstbewusstsein in dieser Partei, das bisweilen in eine sehr unangenehme Richtung schlagen kann. Deshalb wurden irgendwann auf dem Land die Freien Wähler sehr erfolgreich. Eigentlich ging damals die Erosion der CSU schon los. Die Menschen sind nicht mehr so einheitlich, vieles zerfasert. Das sind schmerzhafte Prozesse, aber die haben schon auch ihre guten Seiten. Als ich 18 Jahre alt war, haben bei der Kommunalwahl in Geiselhöring drei Menschen die Grünen gewählt. Und einer die SPD. Die CSU konnte im Grunde machen, was sie wollte, auch wenn es schon damals eine gewisse Unzufriedenheit gegeben hat. Aber wer in diesen Kreisen dabei war, hatte natürlich Vorteile – besonders wirtschaftliche. Aber diese Zeiten sind einfach vorbei. Diese GutsherrenArt will heute keiner mehr.
Nun haben in Niederbayern bei der Bundestagswahl besonders viele Menschen ausgerechnet die AfD gewählt. Wie erklären Sie sich das?
Luise Kinseher: Das ruft bei mir blankes Entsetzen hervor. Ich vermute, dass das von einer tief verankerten Fremdenfeindlichkeit herrührt. Die Familie meiner Mutter kam nach dem Krieg als Flüchtlinge aus Böhmen, schon die haben Dinge erlebt, die nicht besonders nett waren. Die Gegend war schon immer misstrauisch gegenüber Fremden. Der Graben innerhalb meiner Familie, der zwischen der Flüchtlingsfamilie meiner Mutter und der alteingesessenen niederbayerischen Familie meines Vaters verlief, war immer spürbar. Dieses Misstrauen war also schon immer da und bekommt nun wieder eine Stimme. Diese Ablehnung von allem Fremden war nie weg, sie war nur im Funkloch. Sie ist offenbar ganz tief in der Mentalität in Niederbayern verankert.
Ist Ihnen eigentlich beim Blick auf die Politik schon einmal das Lachen vergangen?
Luise Kinseher: Ich mochte ja den Horst Seehofer immer. Der Mann hat Humor. Aber seit er in Berlin ist, wollen ihm seine Witze nicht mehr gelingen. Es ist ganz unangenehm, da vergeht selbst mir das Lachen. Als er an seinem 69. Geburtstag von den 69 abgeschobenen Flüchtlingen erzählt hat, ging das dermaßen in die Hose – da bleibt mir der Kiefer komplett hängen.
Zum Schluss noch Ihr Tipp: Wie geht die Landtagswahl aus?
Luise Kinseher: Wenn sie so ausgeht, wie die Umfragen sagen, haben wir sehr viele Parteien im Landtag – das wird schon allerhand, wenn man überlegt, dass da früher nur drei, vier Parteien saßen. Das mit der AfD ist für mich sehr schwer zu ertragen. Umso wichtiger ist es, dass es ein schlagkräftiges Gegengewicht gibt. Ich glaube ja, dass die Frauen nach vorn müssen. Es gibt tolle Frauen im Landtag: Ilse Aigner, Katharina Schulze und Natascha Kohnen wuppen Bayern in Zukunft.
Interview: Margit Hufnagel
● Luise Kinseher, 49, „derbleckte“von 2011 bis 2018 in der Rolle der Bavaria am Nockherberg die Politiker. Geboren wurde sie in Niederbayern, sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaften und Geschichte in München.