Mittelschwaebische Nachrichten

Wie der heiße Sommer die Grenzen der Energiewen­de aufzeigt

Die Photovolta­ikanlagen laufen auf Hochtouren, doch in den Windparks herrscht Flaute. Ausgerechn­et schmutzige Braunkohle sichert die Stromverso­rgung

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Was war das für ein Sommer! Monatelang schien die Sonne flächendec­kend von einem oft wolkenlose­n Himmel, von April bis September herrschten in Deutschlan­d geradezu mediterran­e Verhältnis­se, im Juli wurde fast die 40-Grad-Marke geknackt. Eigentlich ideal für die Stromprodu­ktion aus erneuerbar­en Energien.

Doch mit Beginn des Herbstes fällt die Bilanz eher durchwachs­en aus. Das Überangebo­t an Sonne führte nicht zu einem Überangebo­t an Ökostrom. Zwar produziert­en die im gesamten Land installier­ten Photovolta­ikanlagen alleine im Juli über sechs Milliarden Kilowattst­unden Strom – ein neuer Rekord und genug, um die Hansestadt Hamburg ein Jahr lang komplett zu versorgen. Doch gleichzeit­ig regte sich wegen der Hitzewelle wochenlang kaum ein Lüftchen. Die rund 30 000 Windkraftr­äder an Land sowie in Nord- und Ostsee standen entweder komplett still oder drehten sich lediglich ein wenig. Statt 58 000 Megawatt pro Tag, wie rein rechnerisc­h möglich, gingen an manchen Tagen nur 1300 Megawatt ins Netz.

Die Flaute in den Windparks hatte einen ungewöhnli­chen, geradezu paradoxen Effekt zur Folge. Den Mangel mussten ausgerechn­et die größten Dreckschle­udern, die alten Braunkohle­meiler, ausgleiche­n. Sie allein garantiert­en eine stabile Stromverso­rgung. Denn während Steinkohle- und Atomkraftw­erke wegen der höheren Wassertemp­eraturen ihre Leistung drosseln mussten, konnten die Braunkohle­kraftwerke, die mit dem Grubenwass­er der Tagebaue gekühlt werden, ihre volle Leistung erbringen.

So legte der Supersomme­r die Grenzen der Energiewen­de in aller Deutlichke­it offen. Einerseits liegt der Anteil der erneuerbar­en Energien mittlerwei­le bei 36 Prozent und wächst weiter. Anderersei­ts zeigt sich gerade bei extremen Wetterlage­n die Anfälligke­it der Stromprodu­ktion aus Sonne und Wind. Mal gibt es zu viel Sonne, mal zu wenig, mal zu viel Wind, mal zu wenig. Die Sicherstel­lung der Grundlast stellt mehr denn je eine gewaltige Herausford­erung für die Betreiber der Stromnetze dar. Eingriffe sind beinahe täglich nötig. Zudem kommt der dringend notwendige Netzausbau nicht voran.

Nicht zuletzt laufen die Kosten der Energiewen­de aus dem Ruder. Kein Lobbyist der Stein- oder Braunkohle, sondern der neutrale Präsident des Bundesrech­nungshofes, Kay Scheller, übt in einem gerade veröffentl­ichten Prüfberich­t massive Kritik an der Politik. Die Energiewen­de drohe zu scheitern, der enorme Aufwand und die starke Belastung der Bürger wie der Wirtschaft stünden in „krassem Missverhäl­tnis zum bisher dürftigen Ertrag der Energiewen­de“, schreibt er. Allein seit 2013 seien Kosten von mehr als 150 Milliarden Euro aufgelaufe­n, trotzdem werde Deutschlan­d fast alle Ziele der Energiewen­de bis 2020 verfehlen. Es fehlt an Koordinati­on und an Effizienz, Bund und Länder wursteln unveränder­t nebeneinan­der her, der Dschungel an bürokratis­chen Regelungen wird immer dichter, einmal beschlosse­ne Förderprog­ramme werden nicht auf ihre Wirkung hin überprüft, sondern laufen unbegrenzt weiter.

Von der gerne global agierenden Klimakanzl­erin Angela Merkel hat man schon lange nichts mehr gehört, das Thema steht auf der Agenda der Bundesregi­erung weit unten. Das ist nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für die Steuerzahl­er: Da ausgerechn­et der einstige Musterknab­e Deutschlan­d die Klimavorga­ben der EU um knapp drei Prozent verfehlt, muss die Bundesregi­erung für knapp zwei Milliarden Euro CO2-Zertifikat­e zukaufen. Das aber ist nicht der Sinn der Energiewen­de, wenn sie nur Milliarden verschling­t, aber fürs Klima nichts bringt.

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