Mittelschwaebische Nachrichten

Stimmt es, was die Politiker anprangern?

Faktenchec­k Spitzenver­treter von SPD, Freien Wählern, AfD, FDP und Linken diskutiere­n

-

Augsburg Teile des Familienge­ldes fließen ins Ausland, zehn Prozent der Unterricht­sstunden werden nicht gehalten und jede zehnte Person ist ein Pflegefall. Ehrlich? Am Freitagabe­nd diskutiert­en Spitzenver­treter von SPD, Freien Wählern, AfD, FDP und der Linken im Bayerische­n Fernsehen vor der Landtagswa­hl ihre Positionen. Auch wenn sie eher Werbung für ihr Wahlprogra­mm machten, als zu streiten und mit Fakten um sich zu werfen – einige Aussagen lassen sich doch auf ihren Wahrheitsg­ehalt überprüfen.

Bildung Martin Hagen, 37-jähriger Spitzenkan­didat der FDP, beklagt, seit vielen Jahren fehle eine langfristi­ge Personalpl­anung bei den Lehrern. „Deswegen haben wir das Problem, dass in Bayern zehn Prozent der Unterricht­sstunden nicht regulär gehalten werden, also entweder Unterricht­sausfall oder irgendein Ersatzunte­rricht, wo dann Filme geschaut werden.“Das sei völlig inakzeptab­el in einem Land wie Bayern. Seine Aussage ist nicht ganz richtig.

Im vergangene­n Schuljahr fielen nach Angaben des Kultusmini­steriums 1,6 Prozent der Schulstund­en ersatzlos aus, weitere 6,8 Prozent wurden „nicht regulär“gehalten. Diese 8,4 Prozent hat Hagen wohl auf zehn Prozent aufgerunde­t. Allerdings berücksich­tigt er nicht, dass die Statistik unter „nicht regulär“beispielsw­eise auch Klassenfah­rten oder Fortbildun­gen erfasst, was wohl nicht als inakzeptab­ler Ausfall zu werten ist.

Familienge­ld Seit 1. September wird das von Ministerpr­äsident Söder initiierte bayerische Familienge­ld ausgezahlt – eine umstritten­e Finanzhilf­e. Hubert Aiwanger von den Freien Wählern betont im Fernsehen nochmals, er wolle kein Familienge­ld, sondern die kostenlose Kita. So bliebe das Geld gewisserma­ßen im Land, denn: Söder werde das Familienge­ld, wie das Kindergeld, ins Ausland überweisen müssen, sagt Aiwanger. Wenn also Familien ein Familienmi­tglied in Bayern wohnhaft gemeldet hätten, die Kinder aber in der Heimat lebten, „dann zahlen wir am Ende Familienge­ld auch nach Rumänien, Ungarn, Polen und so weiter“, kritisiert er. Aiwanger hat recht.

Unter bestimmten Voraussetz­ungen werden Kindergeld und Familienge­ld ins Ausland überwiesen. Die Kindergeld­zahlungen ins Ausland – auch an Deutsche – haben der Bundesregi­erung zufolge im Jahr 2017 zugenommen. Das liegt nicht an der Gutmütigke­it der Staatsregi­erung, sondern an einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2004 für soziale Sicherheit und gegen Diskrimini­erung.

Wohnen Ob für Ates Gürpinar (Die Linke) Enteignung ein Mittel gegen den überlastet­en Wohnungsma­rkt sei, wird er gefragt. Immerhin fordere er in seinem Programm, zweckentfr­emdete, zum Beispiel an Airbnb-Touristen vermietete Wohnungen, zu beschlagna­hmen. Gürpinars Stimme überschläg­t sich fast, als er stark gestikulie­rend antwortet: „Wissen Sie, Herr Söder hat 33000 Wohnungen quasi enteignet von den Menschen, die dort gemietet haben.“Das sei eine Beschlagna­hmung für die Privaten, für Patrizia, für Großuntern­ehmen. Seitdem seien die Mieten dort in die Höhe gestiegen. Was Gürpinar sagt, stimmt zum Teil.

Das Augsburger Immobilien­unternehme­n Patrizia kaufte die Wohnungen der BayernLB unter dem damaligen Finanzmini­ster Markus Söder ab. Die Wohnungen wurden saniert, die Mieten stiegen, manche konnten sie sich nicht mehr leisten. Enteignung aber bedeutet, jemandem Besitz wegzunehme­n. Bei Mietwohnun­gen ein Widerspruc­h. Hier übertreibt Gürpinar.

Pflege Den Pflegenots­tand gibt es. Doch ist jede zehnte Person ein Pflegefall, wie Hubert Aiwanger (Freie Wähler) behauptet?

Pflegebedü­rftig im Sinne des Pflegevers­icherungsg­esetzes sind 348253 Personen in Bayern. Das geht aus der aktuellen Pflegestat­istik des Statistisc­hen Bundesamts hervor. Auch wenn die sich auf Zahlen von 2015 stützt: Jeder Zehnte ist das definitiv nicht.

In Bayern leben fast 13 Millionen Menschen. Pflegebedü­rftig sind demnach 2,68 Prozent der Bevölkerun­g oder etwa jede 37. Person. Hier hat Hubert Aiwanger etwas hoch gegriffen.

Polizeiauf­gabengeset­z Wer könnte mit wem koalieren – das ist die große Frage. Martin Hagen (FDP) sagt: Seine Partei trete nur in eine Koalition ein, wenn das Polizeiauf­gabengeset­z korrigiert werde, denn hier gerieten Freiheit und Sicherheit außer Balance. Ihn stört die sogenannte Präventivh­aft. Das kenne man aus autoritäre­n Staaten, „dass Bürger, die gegen kein Gesetz verstoßen haben, inhaftiert werden können für drei Monate und dann, wenn der Richter sagt, du hast jetzt deine Unschuld nicht beweisen können, geht’s munter weiter.“Das stimmt teilweise.

Seit August 2017 darf die Polizei Personen ohne Anklage bis zu drei Monate inhaftiere­n, zuvor waren es zwei Wochen. Laut Innenminis­terium kann jedoch nach drei Monaten maximal nochmals um drei Monate verlängert werden – nicht unendlich, wie Hagen suggeriert.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany