Mittelschwaebische Nachrichten
Der Star ist das Gebäude
Schauspiel II Georg Kaisers „Gas“auf neuer Ausweichbühne im einstigen Augsburger Gaswerk
Was für ein Kontrast. Augsburg ist jetzt Staatstheater, aber der Spielstätte der ersten Premiere ist das nicht anzusehen. Gespielt wird auf dem Gaswerksareal, einer alten Industriebrache in Augsburgs Westen: früher ein Energieknotenpunkt, jetzt eine zusätzliche Ausweichspielstätte des Theaters. Gegeben wird dort als erstes Stück Georg Kaisers Gas-Trilogie, die mit der Industriekathedrale eine perfekte Kulisse gefunden hat. Bühnenbildnerin Ute Radler hat in der Halle gekonnt Details hinzugefügt: Etwa die Apparate links und rechts, die aussehen, als ob sie im Kühlergebäude tatsächlich einmal zum Einsatz gekommen wären.
Sanft gleiten die Zuschauer in den Abend. Vor dem Start mischen sich Darsteller und Statisten als Bedürftige unter das Publikum, die dann in der ersten Szene des Stücks vom Milliardär, dem Besitzer einer großen Gasfabrik, Almosen erhoffen. Einzeln werden sie aufgerufen und in den Nebenraum geführt. Was dort geschieht, ist nicht zu sehen, aber zu hören. Um möglichst viel Raum in der Halle und daneben zu nutzen, hat Regisseurin Antje Thoms einen überraschenden Dreh gefunden. Das Publikum trägt Kopfhörer. Geräuscheffekte und Musik werden unterlegt. Toll auch, dass im ersten Teil des Stücks ein beiläufig-weltmännischer Ton vorherrscht. Gesprochen wird nah an der Flüstergrenze, das erzeugt Nähe. So geht es hinein in dieses Kaiser-Drama, dieses expressionistische Stück, das Kapitalismus und Sozialismus durchspielt, nach dem Mensch-Sein fragt – während das Leben in Maschinenparks verschwendet wird. Am Ende verglüht alles im Ersten Weltkrieg.
Wer sich bis dahin von den Figuren nicht selbst erschossen hat, wird niedergemäht. Die Regierung verfügt über das Menschenmaterial, das sie opfert, sobald es seinen eigenen Willen äußert. Es sind übrigens genau dies die schwächsten Momente des Abends. Die großen Dinge werden als große Dinge verhandelt. Alles strotzt vor Ausrufezeichen und moralischer Entrüstung.
Der Abend endet als Leitartikel im Expressionisten-Stakkato und macht schon vor der Maschinengewehrsalve seine Figuren platt. Aber: Diese Premiere hat – vor allem zu Beginn und bis zur Pause – starke Seiten.
Da zeigt das Darstellerensemble, wie wandlungsfähig es ist. Gespielt wird eine Familiensaga, für jeden Schauspieler bedeutet dies, mehrere Rollen zu geben. Andrej Kaminsky ist erst der unerschütterliche Milliardär, zum Schluss dann der abgezockte Großingenieur, dem es gelingt, ohne Pathos die streikenden Arbeiter wieder an die Maschinen zu bringen. Roman Pertl ist anfangs der zweifelnde Sohn, im Anschluss der schusselige Schreiber und am Ende der rebellierende Arbeiter. Am stärksten wirkt Sebastian Müller-Stahl, der vor allem im zweiten Teil als philanthropischer Milliardärssohn auf der Achterbahn emotionaler Ausnahmezustände unterwegs ist: voller Gram nach der Gasexplosion im Werk, danach besessen vom Plan, Wohnraum statt neue Fabriken zu bauen.
Dazu hat Thoms starke Bilder im Kühlergebäude gefunden: eine Schiffsfahrt draußen vor der Scheibe, die Explosion, die über die Kopfhörer durch Mark und Bein geht, große Chorszenen im Kühlerhaus. Stiller Star des Abends ist das Gebäude selbst, das von Thoms gekonnt in Szene gesetzt wird. Beim Premierenpublikum kommt der dreistündige Abend – gemessen am Applaus – sehr gut an, langer Jubel.
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