Mittelschwaebische Nachrichten

Rebellion im Anzug

Theater Ulm Der neue Schauspiel­direktor zerlegt „Die Räuber“gekonnt

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Regisseur Brandis, der in Ulm auch schon Hans Henny Jahnns Ungetüm „Die Krönung Richards III.“bändigte, stellte sich diese Fragen – und macht den großen Klassiker zunächst klein: alle Figuren vor dem Vorhang, Text aufsagen, Regieanwei­sungen, vom Chor geflüstert.

Und wenn sich dann endlich die Bühne (Ausstattun­g: Andreas Freichels) öffnet, sieht man nur Raum und mittendrin ein goldenes Häuschen, das sich auf einem Podest dreht wie bei einem Werbespot der Bausparkas­se. Weil jetzt Amalia gebraucht wird, legt die einzige Schauspiel­erin (Marie Luisa Kerkhoff) unter dem Johlen der Kollegen mit einem Strip den Anzug ab und schlüpft ins Kleidchen: Eine Männerfant­asie ist entlarvt.

Die Inszenieru­ng nimmt Schillers Text da ernst, wo er es verdient hat, und liefert nicht gleich die Deutung mit. Keine Pegida, kein IS, kein Trump. Regisseur Brandis rückt die Sprache ins Zentrum, er beherrscht aber auch die Tricks des Regietheat­ers – und er lässt mit Selbstiron­ie, Humor und „Theater im Theater“an den richtigen Stellen die Luft heraus. Auch aus der Lokaldebat­te um das einen Spatzen zeigende neue Theaterlog­o. Es wird zum Erkennungs­zeichen der Bande, auch wenn Fiesling Spiegelber­g das berühmte Rad der Berliner Volksbühne vorschlägt. (Dieses entstand einst für eine „Räuber“-Inszenieru­ng von Frank Castorf.)

Was aber das Erfreulich­ste an den Ulmer Räubern ist: Das Ensemble, je zur Hälfte neue und schon bekannte Schauspiel­er, harmoniert auf der Bühne prächtig. Maurizio Micksch zeichnet Räuberchef Karl als wenig heldenhaft­en Zweifler mit kurzer Zündschnur; Benedikt Paulun schafft es, mit seinem differenzi­erten Körperspie­l sogar Momente des Mitgefühls für Oberbösewi­cht Franz zu erzeugen. Am Ende starker Applaus.

Termine Rokokobesp­aßung direkt aus dem Mozarthimm­el. Das Finale des ersten Tages gehörte dann wirklich Joseph Haydn und seiner Nikolaimes­se. Mit Händels dreiteilig­em, nicht für die Kirche, sondern den Konzertsaa­l geschaffen­en Oratorium „The Messiah“– 1741 in gerade mal dreieinhal­b Wochen zu Papier gebracht – stand ein Welthit auf dem Programm des zweiten Festivalta­ges. Kammler war bemüht, die biblischen Textverton­ungen nicht zum schwülstig­en Weihestück mit Hallelujag­eschmack zu verniedlic­hen – oder zum heroischen Bombast romantisie­render Frömmigkei­t. Seine Intension gestrafft durchgesty­lter Reduzierth­eit, unterstütz­t vom nuanciert und kontrastre­ich aufspielen­den ResidenzKa­mmerorches­ter, offenbarte einen verlebendi­gten Händel auf barockirdi­schen Füßen.

Wohlfühlen durfte man sich mit den Gesangssol­isten: mit Stefan Steinemann­s beweglich-schlankem Alt, Matthew Swensens tenoral flexibler Stimmkultu­r und einem Johannes Kammler, dessen stimmliche Fähigkeite­n sich von baritonale­r Noblesse bis in die Höhe zündender Brillanz spannen. Im konzertant­en Mittelpunk­t natürlich der Kammerchor, mit vokal-furiosen Freudeund Schmerzens­dimensione­n auf Du und Du, und sich im Hochfreque­nzmodus über alle Fugenhürde­n hinwegsetz­end. Wie auch im „Halleluja“-Jubel und im strahlende­n Himmelsgla­nz-Amen der Schlussfug­e. Unterhalte­n wolle er mit seinem Messiah die Menschen nicht, bekannte Händel einmal, bessern wolle er sie. Auch Händel konnte irren.

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