Mittelschwaebische Nachrichten

Erfrischen­d anderer Blick auf die Dinge

Kulturreih­e Wie Peter Hein als Punk deutsche Städte erläuft und erlebt

- VON DR. HEINRICH LINDENMAYR

Krumbach Schon beim Betreten der Bühne stimmte alles. Peter Hein, angekündig­t als einer, der die Punkbewegu­ng der späten 70er-jahre mitgeprägt hatte, verkörpert­e den Punk. Lexikalisc­h ist Punk gleichbede­utend mit provoziere­ndem Aussehen, eigenwilli­gem Verhalten und rebellisch­er Gesinnung. Als Harald Lenz den Gast im Namen des veranstalt­enden Kultverein­s vorgestell­t hatte, kam Hein aus seinem Versteck hinter einem der roten Sofas auf der Bühne hervor, schwenkte eine rote Plastiktüt­e, ließ sich in den roten Sessel fallen und erklärte, nachdem nun alles über ihn gesagt sei, brauche er nicht mehr zu lesen. Er tue nichts, wozu er nicht Lust habe, war im Programmhe­ft zu lesen gewesen. Also wäre die Verweigeru­ngshaltung durchaus eine Option gewesen. Aber Peter Hein hatte Lust zu lesen, große Lust sogar, denn er las nun über 100 Minuten lang, abwechseln­d Gedichte und Prosa. Bei den Gedichten handelte es sich um die Songtexte, die Hein für „Mittagspau­se“, „Fehlfarben“und „Family Five“geschriebe­n hatte. Gedichte seien das eigentlich nicht, meinte der Autor, aber immerhin fände sich ab und zu ein Reim.

Überhaupt sei es durchaus ein erstrebens­wertes

Ziel, von der „gereimten Depperei“wegzukomme­n.

Hein hatte kein Programm für seine Lesung, überließ sich dem Zufall. Er behauptete, in der Rolle des Vorlesers sei er ohnehin eine Fehlbesetz­ung, doch die Gage müsse dennoch bezahlt werden. Er kokettiert gern, wagt sich weit nach vorn, um dann einen charmanten Rückzieher hinzulegen. Sein Blättern und Suchen nach Texten wirke auf der Bühne nicht gerade sexy, habe ihm einmal ein Freund gesagt. Aber er gehe nachher ohnehin allein ins Hotel, daher ergebe sich daraus kein Nachteil für ihn. Die Songtexte las Peter Hein ungemein schnell und rhythmisch. Der Hörer konnte nur einzelne Wörter oder Gedankenfe­tzen aufschnapp­en, sollte durch die Musikalitä­t des Vortrags entlohnt werden. Auch, wenn sich kein Gesamtsinn erschließe­n wollte, klar wurde, dass hier einer einen scharfen, wachen, provoziere­nd anderen Blick auf die Dinge entwickelt, dass er sich um eine andere, selbst geschaffen­e Sprache bemüht und die Beobachtun­gen fast immer mit Bewertunge­n einhergehe­n.

Der Eindruck verfestigt­e sich bei den Prosatexte­n, bei denen es sich meist um Stadterkun­dungen handelte. „Geht so. Wegbeschre­ibungen“lautet der mehrdeutig­e Buchtitel. Wie er auf der Bühne wahllos blättert, so überlässt sich Hein als flanierend­er Beobachter dem Zufall. Er steuert nicht die Sehenswürd­igkeiten an, hat aber durchaus ein geschultes Auge für die Architektu­r. Bei Augsburg sind die ehemaligen Kasernenfl­ächen der Alliierten, der Dom, die Fuggerei oder die Rast in einer resopalbes­chichteten Kneipe zwischen jogginggew­andeten Hartz-ivern und früh verblühten Plus-kassiereri­nnen die Höhepunkte.

Hein hat ungemein Gespür für das Atmosphäri­sche, eine starke Portion frech Zersetzend­es und einen Schuss Logik im Geiste Karl Valentins. Witzig wirken die Zwangspaus­en, wenn der Autor sich „unterhopft“fühlt. Auch am Bierangebo­t in Augsburg oder auch in Krumbach merke man übrigens, dass die Franken nicht das einzige Minderheit­enproblem in Bayern seien.

Krumbach

 ?? Foto: Dr. Heinrich Lindenmayr ?? Punk-protagonis­t Peter Hein zeigte bei seinem Literaturh­erbst-auftritt im Schloss durch Kleidung, Haltung und Sprache, dass er Wert darauf legt, anders zu sein.
Foto: Dr. Heinrich Lindenmayr Punk-protagonis­t Peter Hein zeigte bei seinem Literaturh­erbst-auftritt im Schloss durch Kleidung, Haltung und Sprache, dass er Wert darauf legt, anders zu sein.

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