Mittelschwaebische Nachrichten
Die Briten sind um ihre Regierung nicht zu beneiden
Ja, Theresa May ist im Streit um den Brexit ein Befreiungsschlag gelungen. Sogar Schreihals Boris Johnson hält still. Am Ziel ist die Premierministerin aber nicht
Als „die Rede ihres Lebens“tauften politische Beobachter im Vorfeld die Ansprache von Theresa May zum Abschluss des konservativen Parteitags in Birmingham. Die glücklose und seit der verkorksten Neuwahl im vergangenen Jahr angezählte Premierministerin stand unter enormem Druck. Es ging um nichts weniger als ihre politische Zukunft in der Downing Street. Und tatsächlich hat sie es geschafft, die angespannten Nerven der Konservativen zumindest vorerst zu beruhigen und sich mit der möglicherweise besten Rede ihrer Amtszeit mehr Zeit zu verschaffen.
Die braucht sie nicht nur, um die Brexit-verhandlungen mit der EU aus der Sackgasse zu manövrieren. May muss auch irgendwie das Unmögliche schaffen: einen Vorschlag für den Eu-austritt unterbreiten, mit dem Europafreunde wie auch Eu-skeptiker auf der Insel leben können. Nur so wird sie ihre in der Europafrage zerstrittene Partei wie auch das tief gespaltene Land zumindest in Ansätzen befrieden können.
Will sie mit Kompromissbereitschaft die unabsehbaren, möglicherweise äußerst negativen Folgen der Scheidung abfedern und so die Unternehmenswelt zufriedenstellen? Aber wie kann die Premierministerin die Anhänger der ideologischen Hardliner für sich gewinnen, für die der Bruch mit Brüssel nicht radikal genug sein kann und die das Paradies außerhalb der EU versprechen? Sie halten mit ihrer obsessiven Abneigung gegen die EU das Königreich seit Jahren im Würgegriff und forderten in Birmingham den Sturz der Premierministerin. Die nun konterte.
Mit ihrem selbstbewussten Auftritt kann May zufrieden sein. Sie wies ihre parteiinternen Gegner in die Schranken und unterbreitete eine Vision für die Zukunft der Partei sowie des Landes, versprach gar ein Ende der Sparpolitik. Derzeit verschlingt die anstehende Scheidung von der Gemeinschaft alle Zeit und Energie der Regierung. Andererseits vernachlässigen die Konservativen zum Leidwesen der Menschen drängende Probleme – und davon gibt es im Königreich viele, angefangen beim unterfinanzierten Gesundheitssystem über den Wohnungsmangel bis hin zur sozialen Ungleichheit. Was viele Delegierte seit langem wünschen, lieferte May am Mittwoch: Sie präsentierte sich als Führungsfigur mit Ideen. Die Frage ist, wie sie die Rhetorik in die Realität umsetzt. Und ob die Grabenkämpfe bei den Konservativen aufhören.
Hardliner wie Boris Johnson gilt es nun zu entlarven. Der ehemalige Außenminister und Brexitschreihals wurde beim Parteitag zwar von seinen Fans gefeiert, die es kaum kümmert, dass seine Vorschläge auf ideologischen Fantasien beruhen. Johnson ging es stets nur um die eigene Karriere. Aber seine Zeit scheint vorüber, vielleicht hat er das trotz des Jubels der Delegierten erkannt. Denn zur Enttäuschung seiner Anhänger kündigte er keine Kandidatur an und forderte auch seine Chefin nicht zum Rücktritt auf. Für die zäh verlaufenden Brexit-verhandlungen mit Brüssel wäre noch mehr Chaos in Westminster ohnehin wenig förderlich.
Labour hätte die Aufgabe, in dieser verzwickten Situation für das dringend notwendige Korrektiv zu sorgen. Nur, die Sozialdemokraten unter Jeremy Corbyn sind zu sehr mit ideologischen Kämpfen beschäftigt. Wie würde ein Brexit unter Labour ablaufen? Man weiß es nicht. Labour könnte eine echte Alternative bieten. Tut sie aber nicht – und das dürfte sich unter Corbyn zum Leidwesen der mittlerweile großen Zahl politisch Heimatloser auch nicht ändern. Was die Parteitage vor allem offenbart haben: Das Königreich ist nicht zu beneiden – weder um seine Regierung noch um seine Opposition.
Kann sie ihre Worte auch in die Realität
umsetzen?