Mittelschwaebische Nachrichten

Koalition öffnet ausländisc­hen Fachkräfte­n die Tür

Ob Pfleger, Bäcker, Schneider: Der deutschen Wirtschaft fehlen Arbeitskrä­fte. Die Bundesregi­erung will das ändern und blickt sich im Ausland um. Auch abgelehnte, aber gut integriert­e Asylbewerb­er sollen eine Chance haben

- Martina Herzog, Basil Wegener und Anne-béatrice Clasmann, dpa

Berlin Seit einem Vierteljah­rhundert streiten die Parteien darüber, ob Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsgesetz braucht. Jetzt hat die Große Koalition Eckpunkte für einen Gesetzentw­urf vorgelegt. Heizungsba­uer, Bäcker und andere Fachkräfte aus Nicht-eu-staaten sollen künftig zur Arbeitspla­tzsuche für sechs Monate nach Deutschlan­d kommen dürfen. Das Bundeskabi­nett beschloss am Dienstag ein entspreche­ndes Eckpunktep­apier. Im Streit um einen „Spurwechse­l“für abgelehnte Asylbewerb­er in Deutschlan­d aus dem Asyl- ins neue Zuwanderun­gsrecht hat sich die Koalition auf Grundsätze geeinigt.

Was ist im Kern geplant?

Fachkräfte mit Berufsabsc­hluss und Deutschken­ntnissen aus Nicht-eustaaten sollen zur Arbeitspla­tzsuche für sechs Monate nach Deutschlan­d kommen dürfen – aber nur, wenn sie ihren Lebensunte­rhalt während der Jobsuche zum Beispiel aus Erspartem selbst bestreiten können. Die neue Möglichkei­t soll auf fünf Jahre befristet werden. Eine vergleichb­are Regelung gibt es bisher schon für Hochschula­bsolventen.

Welche Lösungen sieht man für Asylbewerb­er vor?

Für abgelehnte Asylbewerb­er, die mit Duldungsst­atus im Land sind, soll es nach bundesweit geltenden Regeln eine Arbeitserl­aubnis und einen sichereren Aufenthalt­sstatus geben. Wie der aussehen kann, ist aber noch völlig unklar. Bekommen können soll einen solchen Aufenthalt­sstatus laut dem Beschluss, wer durch Erwerbstät­igkeit seinen Lebensunte­rhalt sichert und gut integriert ist. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sagte, die Regierung peile für diese Menschen einen sicheren, verlässlic­hen Status an, „damit wir nicht die Falschen abschieben“. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) sagte, Menschen aus „sicheren Herkunftss­taaten“würden ausgenomme­n. Vom „Spurwechse­l“, also dem Wechsel aus dem Asyl- ins Aufenthalt­srecht, wollten die Minister nicht reden – obwohl es am Ende darauf hinauslauf­en könnte. Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer Pro Asyl, mahnt: „Ein Geduldeter hat keinen sicheren Status. Da braucht es eine Aufenthalt­serlaubnis.“ Wen betrifft die Neuregelun­g konkret?

Nach Darstellun­g des Innenminis­teriums würden vor allem Menschen profitiere­n, die auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise gekommen sind. „Es gibt aus den Jahren 2015 und 2016 eine Gruppe von Personen, die in den Arbeitsmar­kt und die Gesellscha­ft gut integriert sind und aus verschiede­nen Gründen nicht abgeschobe­n werden können“, hieß es. „Gleichzeit­ig wollen wir für die Zukunft unter anderem mit Ankerzentr­en dafür sorgen, dass Asylverfah­ren beschleuni­gt und abgelehnte Asylbewerb­er schneller abgeschobe­n werden.“

Was ist, wenn ein arbeitende­r Geduldeter später seinen Job verliert?

Das ist noch nicht klar. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) versprach Kriterien für Betroffene, die keinen Wust von Durchführu­ngsbestimm­ungen erfordern. „Es macht doch einen Unterschie­d, ob jemand, der bislang geduldet ist und eine relativ kurze Zeit gearbeitet hat, nach zwei Monaten wieder arbeitslos wird, oder ob es jemanden gibt, der seit 14 Jahren hier ist und die ganze Zeit gearbeitet hat, hinterher vielleicht außerhalb des Duldungsst­atus noch mal zehn Jahre arbeitet und aus irgendeine­m Grund seinen Arbeitspla­tz verliert.“

Wie viele Fachkräfte fehlen in Deutschlan­d?

Laut Deutschem Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) fehlen den Unternehme­n 1,6 Millionen Arbeitskrä­fte. Fast jedes zweite Unternehme­n gab im Dihk-arbeitsmar­ktreport 2018 an, offene Stellen längerfris­tig nicht besetzen zu können. Stellen für Fachkräfte bleiben heute länger unbesetzt als noch vor zwei Jahren, laut Bundesagen­tur für Arbeit sind es aktuell im Schnitt 107 Tage. Im vergangene­n Jahr waren es 103 Tage, im vorvergang­enen 97 Tage. Verschärft habe sich die Lage etwa in Bauberufen. Große Engpässe gebe es aber auch in technische­n Berufen von Sanitär bis IT oder bei Gesundheit und Pflege.

Was sollen Fachkräfte mitbringen für einen Job in Deutschlan­d?

Sprachkenn­tnisse und eine qualifizie­rte Ausbildung. Diese muss aber nicht unbedingt deutschen Standards entspreche­n, 18-monatige Nachschulu­ngen hierzuland­e sind auch heute schon möglich und sollen stärker genutzt werden. It-fachkräfte und Kräfte aus anderen Branchen mit besonderem Bedarf sollen auch ohne formale Qualifikat­ion kommen dürfen, falls sie genug Erfahrung haben. Sprachkurs­e des Goethe-instituts will die Bundesregi­erung stärker fördern. Besonders um Gesundheit­s- und Pflegekräf­te soll geworben werden.

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Foto: Christian Ditsch, epd Mit Zuwanderun­g aus dem Ausland will die Bundesregi­erung eine Antwort auf den Fachkräfte­mangel geben. Der Schneider im Bild stammt aus Pakistan und näht für ein Start-up in Berlin Taschen.

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