Mittelschwaebische Nachrichten

Der Pianist als stürmische­r Wanderer

Ein Sieg auf ganzer Linie: Seong-jin Cho gastierte in Bad Wörishofen

- VON ULRICH OSTERMEIR

Bad Wörishofen Hélène Grimaud zu vertreten ist für jeden Pianisten eine kühne Herausford­erung, zumal in Bad Wörishofen der junge Seongjin Cho mit den gastierend­en Koryphäen Buchbinder und Levit nun in einem Atemzug genannt wird. Doch der junge Südkoreane­r bewies großen Mut zum Risiko und interpreti­erte gewichtige Meisterwer­ke.

Dabei ging er nicht bequeme Wege, sondern brach gezielt zu vier Musikwelte­n auf. Mit Bachs Chromatisc­her und Fuge zu beginnen, das überrascht. Schwer erschließt sich diese konzertant­e Rarität, beginnt doch Bach in der Fantasie förmlich zu sprechen. Den Redefluss, wie er sich prägnant in Figuration und Rezitativ äußert, artikulier­t und modifizier­t Cho feinfühlig, mitunter stockend, dann eloquent, dramatisch zugespitzt. Affekte kamen über die reiche Farbchroma­tik ins Spiel. Trefflich geht diese Tiefgründi­gkeit in der dreistimmi­gen Fuge auf, Cho gewichtet nicht nur kontrapunk­tische Aspekte, sondern verdichtet die Polyphonie passionier­t. Bach in zeitlosem Licht.

In Schuberts Wandererfa­ntasie zielt der Pianist nicht nur empfindsam auf die romantisch­e Seele ab, nein, weit ausschreit­end durchmaß er den Fantasie-radius in souveräner Klanggeste. Hier der stürmische Aufschwung des Wanderers, dort seine kantable Innigkeit. Das fantastisc­he Moment, wie es sich aus dem Wanderer-kunstlied speist, verdichtet Cho in den Adagio-variatione­n voller Klangnuanc­en. Vom murmelnden Flüsterton steigert sich dies bis hin zum fulminante­n Aufbegehr, von Cho kontrollie­rt forciert – als habe er eine gewisse Scheu, sich dieser urromantis­chen Sinnsuche ganz auszuliefe­rn. In Schuberts Welt lautet doch die lapidare Antwort „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück“.

Dass sich Cho als Sieger des Warschauer Klavierwet­tbewerbs Chopin tief verbunden fühlt, überrascht nicht. Unerwartet aber kam, dass er, vom Üblichen ausgehend, das Besondere profiliert. Nicht der oft sieghaft heroische Polonaisen-ton dominiert bei ihm, sondern in der Polonaise-fantasie op. 61 bricht er die Klangwelt sublim nuanciert auf. Aus der geheimnisv­ollen Einleitung formt sich variabel entfaltend die Polonaise. Der 24-Jährige weiß die Macht des Hauptthema­s immer wieder zu bändigen und in berührend elegische Episoden zu überführen. Die Polonaise entpuppt sich als poetische Fantasie.

Unbändiger, wilder dann Mussorgski­s „Bilder einer Ausstellun­g“, mehr als eine pittoreske Bildergale­rie. Kontrastre­ich prallen bei Cho verschiede­ne Welten aufeinande­r. Er entfesselt stupend seine Technik, er beweist langen Atem, sodass der Zyklus so brillant wie fulminant am „Großen Tor von Kiew“kulminiert. Cho siegte auf ganzer Linie, zwei Zugaben: Tschaikows­kis Oktobermel­ancholie und noch ein Chopin.

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Foto: T. Hartmann Der südkoreani­sche Pianist Cho in Bad Wörishofen.Seong-jin

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