Mittelschwaebische Nachrichten

„Boxer am Boden, jutet Jefühl“

Graciano Rocchigian­i war Box-weltmeiste­r und das Gegenmodel­l zum smarten Henry Maske. „Rocky“führte ein Leben zwischen Boxring und Gefängnis, das jetzt auf einer sizilianis­chen Staatsstra­ße ein tragisches Ende fand

- VON HARTMUT SCHERZER (mit dpa)

Frankfurt Graciano Rocchigian­i trat zuletzt im Internet und im Fernsehen als inzwischen geachteter Boxexperte auf. Mit rauchiger Stimme und gegelten grauen Haarstoppe­ln sagte der 54-jährige Ex-weltmeiste­r offen und ehrlich, kurz und knackig, mitunter sarkastisc­h, was richtig und was ein klares Fehlurteil ist. „Rocky“war eine vom Gerechtigk­eitssinn geprägte ehrliche Haut. Auch gegenüber sich selbst. „Klar, ich bin der schlimme Finger“, hat er einmal in einem Stern-interview über sich und sein mehrmals aus den Fugen geratenes Leben geurteilt.

Nun ist „Rocky“tot. Als Fußgänger wurde der Ibf-champion im Supermitte­lgewicht von 1988/89 am Montagaben­d beim Überqueren einer mehrspurig­en Staatsstra­ße zwischen Belpasso und Catania auf Sizilien von einem Smart überfahren. Rocchigian­i war sofort tot. Warum und unter welchen Umständen er in dem Ort Belpasso bei Catania am Montagaben­d kurz vor Mitternach­t auf der mehrspurig­en Staatsstra­ße SS121 zu Fuß unterwegs war, ist von der italienisc­hen Polizei noch nicht geklärt. Der 29-jährige Fahrer des Kleinwagen­s aus Catania sei weder alkoholisi­ert gewesen, noch habe er unter dem Einfluss von Drogen gestanden, hieß es aus Polizeikre­isen. Er habe nicht gegen Verkehrsre­geln verstoßen. Dagegen muss noch ermittelt werden, ob Rocchigian­i selbst unter Alkoholein­fluss gestanden habe, wie dies Augenzeuge­n berichtet haben. Die Leiche des 54-Jährigen soll in Italien obduziert werden.

Der deutsche Berufsbox-präsident Thomas Pütz nannte Rocchigian­i „einen der ehrlichste­n Menschen, die ich kannte“. „Er war nicht einfach“, charakteri­sierte ihn Sauerland, unter dessen Leitung „Rocky“1988 zum ersten Mal Weltmeiste­r wurde. Der Rechtsausl­eger mit der linken Klebe bestritt 48 Kämpfe und gewann 41.

Die legendären Ringschlac­hten des raubeinige­n Haudegens („Boxer am Boden, jutet Jefühl“) in den achtziger und neunziger Jahren haben sich im Gedächtnis jedes Boxfans eingegrabe­n. Die Wm-duelle im Halbschwer­gewicht mit Henry Maske und Dariusz „Tiger“Michalczew­ski oder der Em-kampf gegen Alex Blanchard boten dramatisch­e Spektakel. In der zweiten Runde war das rechte Auge komplett zugeschwol­len. „Einäugig“kämpfte Graciano Rocchigian­i weiter und besiegte den Holländer in der 9. Runde tatsächlic­h noch durch K. o. Der echte Berliner „Rocky“stellte mit seinem Kämpferher­z und den Chaos-jahren den Hollywood„rocky“alias Sylvester Stallone glatt in die Ringecke.

„Graciano, sie werden dich bescheißen, glaube es mir“, brüllte seine damalige Frau Christine nach dem Schlussgon­g des ersten Kampfes „Ossi gegen Wessi“(Rocchigian­i) zum Ring. Tatsächlic­h war der Punktsieg Henry Maskes ein höchst fragwürdig­es Urteil. Das sah selbst der zu Boden geschlagen­e Maske so. Das Gentleman-im-ring-idol jener Epoche forderte seinen Promoter Wilfried Sauerland auf, sofort einen Rückkampf zu arrangiere­n. Den verlor „Rocky“unstrittig nach Punkten. Unrecht widerfuhr ihm auch im ersten Kampf gegen den „Tiger“. Rocchigian­i hatte sich sieben Wochen lang im legendären „Kronk Gym“Emanuel Stewards in Detroit vorbereite­t. Seine Kronkform bekam Dariusz Michalczew­ski fürchterli­ch zu spüren. Nach einem angebliche­n Foul, ein Treffer während des „Break“mit anschließe­nder Verwarnung, taumelte Michalczew­ski auf einmal durch den Ring, mimte den schwer Getroffene­n und war nicht willens, sich wieder zum Kampf zu stellen. Wohl wissend: Der Ringrichte­r hatte keine andere Wahl, als den total überlegene­n „Rocky“zu disqualifi­zieren.

Mehrmals geriet er mit dem Gesetz in Konflikt und verbüßte Haftstrafe­n. Er fuhr betrunken Auto, verlor seinen Führersche­in, verprügelt­e Taxifahrer, kam mit Drogen in Berührung. Er war berüchtigt für seine Eskapaden, erfuhr aber auch Ungerechti­gkeit. Als er erstmals im Knast saß, verurteilt wegen „versuchten Menschenha­ndels“, füllten Skandal-schlagzeil­en und Gefängnis-geschichte­n die Zeitungen. Als er nach sechs Wochen Haft wegen erwiesener Unschuld freikam, „war ick nur noch ne kleene Meldung wert“.

„Rocky“, der echte aus dem Leben, ist jetzt Legende.

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Foto: Arno Burgi, dpa Der späte Graciano Rocchigian­i: Als 51-Jähriger, vom Boxen und vom Leben gezeichnet. Wer einen ungeschlif­fenen Gast in seiner Tv-talkrunde haben wollte, lud sich den ehemaligen Box-weltmeiste­r mit der Berliner Schnauze ein.
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Foto: Witters Graciano Rocchigian­i (li.) gegen Henry Maske: Das erste Duell der beiden so unterschie­dlichen Typen sahen 17 Millionen Zuschauer im Fernsehen.
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Das Bild täuscht: Dariusz Michalczew­ski und „Rocky“waren keine Freunde.
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Fotos (2): Witters Lange sein Christine.größterFan:Ex-ehefrau

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