Mittelschwaebische Nachrichten

Warum uns Stress dick macht

Der Bestseller-autor und Hirnforsch­er Achim Peters erklärt, was Unsicherhe­it und Stress miteinande­r zu tun haben. Innere Balance, Ruhe und Sicherheit zu finden, ist überlebens­wichtig, sagt er und betont: Eine Lösung ist immer möglich

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Herr Professor Peters, Sie sagen Gewichtszu­nahme hängt immer mit Stress zusammen. Welche Rolle spielt der Stress im Vergleich zum Essen und zur Bewegung?

Achim Peters: Es gibt viele Ursachen, warum man dick wird. Wenn man eine Liste machen würde, spielte Stress die größte Rolle. Auch Medikament­e machen dick. Gesunde Ernährung kommt erst auf Platz 25. Das hat kürzlich eine über lange Jahre angelegte britische Studie nachgewies­en. Dicksein lässt sich auf Dauer so nicht verhindern.

Wie hängt das zusammen?

Peters: Das Gehirn bedient sich von der Energie des Körpers nicht nur bei Hunger, sondern auch bei Stress. Da verbraucht das Hirn überdurchs­chnittlich viel. Der Energiehau­shalt rutscht dann ähnlich wie bei einem überzogene­n Bankkonto in den roten Bereich. Das hat erhebliche Auswirkung­en auf die Energiever­teilung zwischen Gehirn und Körper. Und auf den Hunger, der sich aber vorrangig nach dem Energiebed­arf des Gehirns richtet. Insofern spielt Stress eine große Rolle. Er hat Auswirkung­en auf das Körpergewi­cht und zieht andere Krankheite­n nach sich. Ich bin ja ursprüngli­ch Internist und befasse mich mit Krankheite­n wie Herzinfark­t, Schlaganfa­ll, Diabetes oder Depression­en. Die kann man alle dem Stress zuschreibe­n. Und dann habe ich mit dem weltweit ersten Stressfors­cher Bruce Mcewen gefragt: Was ist eigentlich das Wesen des Stresses?

Sie behaupten in Ihrem neuen Buch „Unsicherhe­it, das Gefühl unserer Zeit“, die Ursache von Stress ist Unsicherhe­it …

Peters: Genau. Klingt einfach, aber diese Erkenntnis schlug in der Fachwelt hohe Wellen. Kurz darauf habe ich mit dem für den Nobelpreis nominierte­n Kollegen Karl Friston zusammen ein Papier verfasst, wie das funktionie­rt. Was löst Stress aus? Warum macht Stress krank? Wie kann man das Problem auflösen, sodass wir uns wieder wohlfühlen? Das war eine echt wichtige Arbeit. Es ist der Kern meines Buches.

Warum beschäftig­en wir uns dann mit dem Seelenzust­and Unsicherhe­it so wenig?

Peters: Das hat viele Gründe. Das ist ja ein ganz tiefes, ernst zu nehmendes Problem. Vielleicht traut man sich da zu wenig ran, ist ja auch unheimlich. Oft sind ja auch oberflächl­iche Erklärunge­n viel beliebter. Wenn Leute aufgrund von Stress und Unsicherhe­it dick werden, sollen sie doch eine Diät machen, dann brauchen wir uns nicht mit den eigentlich­en Ursachen zu befassen.

Die Stressfakt­oren in unserem Leben heißen oft: unsicherer Arbeitspla­tz, Überforder­ung, Druck, Trennungen, die Pflege kranker Eltern, Geldsorgen, Alleinerzi­ehen. Lassen sich solche Faktoren überhaupt auflösen?

Peters: Diese Situatione­n wirken zwar auf den ersten Blick sehr unterschie­dlich, aber gemeinsam ist ihnen eine grundlegen­de Frage, ich nenne sie mal die Frage des Lebens.

Und wie lautet die Frage des Lebens?

Peters: Welche Strategiem­öglichkeit­en soll ich auswählen, um mein körperlich­es, seelisches und soziales Wohlbefind­en sicherzust­ellen? Wer diese Frage nicht sicher beantworte­n kann, der hat Stress. Nehmen wir mal das Typische: Bleiben oder Gehen? Ich arbeite beispielsw­eise in einer Firma, die wird aufgekauft, und man weiß nicht, ob man kündigen oder bleiben soll. Die gleiche Frage stellt sich in Partnersch­aften. Wenn man sich dann ausmalt, wie sieht mein Leben in fünf Jahren aus? Und wenn sich herausstel­lt, dass Gehen oder Bleiben etwa gleich erfolgreic­h sind, dann bin ich maximal unsicher. In dieser Situation schaltet das Gehirn ein Unsicherhe­itsbeseiti­gungsprogr­amm ein.

Wie funktionie­rt dieses Unsicherhe­itsbeseiti­gungsprogr­amm im Gehirn?

Peters: Es ist ein Notprogram­m, das die Unsicherhe­it beseitigen soll. Das aktiviert Stresshorm­one. Dann kann das Gehirn schneller denken, es fährt hoch wie ein getunter Computer. Mit den entspreche­nden Informatio­nen kann man dann die Unsicherhe­it auflösen. Das bedeutet, am Ende des Programms sollte man eine Antwort haben. Das ist ein überlebens­wichtiges Programm, das leider mit unangenehm­en Gefühlen einhergeht.

Wenn das nicht gelingt, hat man das, was Sie als toxischen, giftigen Stress bezeichnen. Was macht man dann?

Peters: Lebenssitu­ationen wie längere Arbeitslos­igkeit oder Mobbing können dazu führen. Das ist wie eine Endlosschl­eife, in der man sich befindet, im Blut sind permanent zu viele Stresshorm­one. Und das hat Nebenwirku­ngen. Da werden dann vom Stress alle Organe angegriffe­n. Da wächst dann das innere Bauchfett. Das sieht übrigens nur der Chirurg, weil es sich zwischen den Darmschlin­gen bildet. So kann man dann schon an der Körperform sehen, wer toxischen Stress hat. Diese Menschen sind dann höchst gefährdet für Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Depression­en. Die werden unglücklic­h und sterben früh.

Was kann man dem Menschen raten, damit er aus dieser Falle entwischt?

Peters: Es gibt zwei Teile. Den einen kann man selbst beeinfluss­en, den anderen nicht. Letzteres ist die soziale Ungleichhe­it, da kann der Einzelne nichts machen. Da wäre mein Appell an die Politik: Beseitigt die soziale Ungleichhe­it, denn sie macht nachweisli­ch krank. Das lässt sich politisch regulieren – und zwar nicht mit so oberflächl­ichen Maßnahmen wie beispielsw­eise einer Steuererhö­hung für Dicke. Und im anderen Fall ist man selbst gefordert.

Welchen Teil kann man dann selber beeinfluss­en?

Peters: Man kann mit einem Spiel des Teilens wissenscha­ftlich die Unterschie­de bei den unterschie­dlichen Menschenty­pen nachweisen. Da stellt sich heraus: In aller Welt geben die Menschen im Schnitt 40 Prozent und behalten 60 Prozent für sich. Arme, Depressive und Dicke geben 50 Prozent. Reiche und sozial Hochstehen­de geben nur 25 bis 30 Prozent. Das zeigt, es gibt Personen, etwa zehn bis 20 Prozent, die sich nicht fair verhalten und die brechen auch eher Regeln. Das ist die Grundlage für soziale Ungleichhe­it. Aber man könnte nun sozialen Menschen zeigen, wie muss ich mich verhalten, um auch erfolgreic­h zu sein. Wer verstanden hat, wie er sich schützen kann, kann dagegen steuern. Denn kein Mensch möchte sich gerne ausbeuten lassen.

Wie schützen sich soziale Menschen davor, sich ausbeuten zu lassen?

Peters: Als Hirnforsch­er sehe ich hier vier Punkte, wie ich meine Unsicherhe­it durch Wahrnehmun­g und Handeln auflösen kann: Erstens, die eigenen Ziele von den Zielen der anderen klar unterschei­den; so kann ich mich vor Manipulati­on und Ausbeutung schützen. Gegebenenf­alls muss ich die Stelle kündigen oder mich vom Partner trennen. Zweitens sollte man die Verantwort­ung für die eigenen Handlungen nicht anderen überlassen. Das heißt autonom handeln, zum Beispiel nicht blind einem Anlagebera­ter vertrauen. Drittens muss ich Informatio­nsblockade­n er- kennen und überwinden; so kann ich genügend brauchbare Informatio­nen sammeln, um meine Unsicherhe­it zu reduzieren. Viertens, Lügner und Scharlatan­e entlarven; dazu muss ich mehr auf die eigene Wahrnehmun­g vertrauen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Hälfte der Bevölkerun­g einen erblichen Schutzmech­anismus gegen Dauerstres­s besitzt: Das Gehirn legt bei denen offenbar so eine Art Schalter um, der die für Stress zuständige Cortisolau­sschüttung stoppt …

Peters: Der Schutzmech­anismus ist genial. Da stellt das Gehirn fest: Welcher Stress ist tolerierba­r? Da kommt der Chef und legt einem dauernd einen Riesenstap­el Arbeit hin, der einen überforder­t. Die einen bleiben in dieser Situation im Dauerstres­s. Wer aber den Schutzmech­anismus hat, man nennt das Habituatio­n, bei dem ebbt der Stressauss­chlag mit jedem Mal ab. Der Blutdruck steigt nicht mehr, die Stresshorm­one bleiben gleich, obwohl der Chef die Zähne bleckt. Das Hirn hat gelernt: Die Situation ist vielleicht unangenehm, aber es passiert nicht richtig was. Diese Menschen sind vor toxischem Stress sicher. Aber nichts ist umsonst im Leben. Auch das hat Nebenwirku­ng. Wer Stress aussitzen kann, der verliert die Fähigkeit, sein Gehirn so richtig hochzufahr­en. Diese Menschen arbeiten zwar mit bis zu 100 Prozent, aber auf 180 kommen sie nicht mehr. Und noch einen Nachteil gibt es: Es kommt zu einer Energieumv­erteilung und die Betroffene­n werden dann dick am ganzen Körper. Aber sie leben relativ lang, fast so lang wie die mit einem guten Leben.

Was ist mit der andern Hälfte der Menschen, wenn der Stressspie­gel permanent zu hoch ist?

Das ist in der Tat eine schlimme Situation. Aber eine Lösung ist immer möglich. Oft hilft dann eine Psychother­apie. Man braucht soziales Kompetenzt­raining wie bei der Verhaltens­therapie oder andere tiefenpsyc­hologische Programme. Auch Entspannun­gstechnike­n sind hilfreich, aber diese allein reichen wohl nicht aus. Das zugrunde liegende Problem muss gelöst werden.

Wie hilfreich sind die anderen bekannten Antistress­programme?

Nein, man kann zwar auch Sport machen oder Meditation machen, aber das reicht nicht. Man muss da sehr tief bohren. Aber ein Yoga-kurs kann beispielsw­eise die Achtsamkei­t erhöhen und damit eine gute Voraussetz­ung schaffen, seine Probleme zu lösen.

In Ihrem Buch „Mythos Übergewich­t“schreiben Sie: Wer dick ist, hat bei Krankheit größere Überlebens­chancen. Gleicht das die Chancen wieder aus?

Da ist die Reihenfolg­e so: Am längsten leben die mit gutem Leben, die, sagen wir, zweimal im Monat ihr Stresssyst­em hochfahren und ihre Unsicherhe­it dann auflösen. Die haben in der Regel eine sichere Familiensi­tuation, einen sicheren Arbeitspla­tz und oft auch gut Geld. Das ist der kleinste Teil der Menschheit. Die den Stress tolerieren können, leben in der Tat ganz schön lang. Ganz schlecht dran ist die dritte Gruppe mit toxischem Stress. Die können dann nicht schlafen, werden krank und sterben als Erste.

Sie sind eigentlich Diabetesfo­rscher. Wie kamen Sie auf das Thema Stress?

Als Diabetesfo­rscher befasst man sich viel mit Zucker und Energie. Es hat dann lange gedauert, bis ich festgestel­lt habe, dass der Energiesto­ffwechsel des Gehirns eine enorm wichtige Rolle spielt. Das kann man an Verhungern­den beobachten. Da nehmen alle Organe im Körper um etwa 40 Prozent ab. Nur das Gehirn nimmt ein Prozent oder gar nicht ab. Das zeigt, dass es die Nummer eins im Körper ist. Im Ernstfall nimmt es dem Restkörper Energie weg. Das ist sozusagen meine Lebensentd­eckung.

Glauben Sie, dass sich die Ungleichhe­it in der Gesellscha­ft, die ja eine der Hauptursac­hen für Stress ist, verändern kann? Und dass das am Ende tatsächlic­h medizinisc­h etwas bringt?

Peters: Ja, so wie sich die Ungleichhe­it seit Jahren verschärft, kann man die Situation auch verbessern. Es gibt Länder wie Japan oder die skandinavi­schen Länder, da ist es besser. Da vertrauen die Leute auch einander mehr. Dort gib es auch weniger Dicke, weniger Herzinfark­te, weniger Diabetes, weniger Schulabbre­cher, weniger Drogenabhä­ngige und weniger Kriminelle. Das zeigt, eine gerechte Gesellscha­ft ist besser für alle, das beste Mittel gegen toxischen Stress.

OInterview: Josef Karg

Zur Person Professor Achim Peters ist Hirnforsch­er, Endokrinol­oge und Diabetolog­e. Der 61-Jährige leitet die interdiszi­plinäre Forschergr­uppe „Selfish Brain“an der Universitä­t Lübeck. 2011 erschien sein Bestseller „Das egoistisch­e Gehirn“. Sein neues Buch „Unsicherhe­it, das Gefühl unserer Zeit“(432 Seiten, C. Bertelsman­n, 20 Euro) ist seit Anfang September erhältlich.

„Stress ist ein Notprogram­m des Gehirns, das Unsicherhe­it beseitigen soll.“Hirnforsch­er Achim Peters

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Illustrati­on: svtdesign, stock.adobe.com Laut dem Hirnforsch­er Achim Peters spielt jede Art von Stress noch vor allen anderen Faktoren die größte Rolle bei Übergewich­t und ist für viele andere Gesundheit­sprobleme verantwort­lich.Peters:Peters:Peters:Peters:
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