Mittelschwaebische Nachrichten

„Selbstjust­iz nehmen wir nicht hin“

Zwei Brüder werden verurteilt, weil sie einen Mann in Günzburg gegen den Kopf traten

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Günzburg Die Tat an sich hatten die beiden Brüder bereits am ersten Verhandlun­gstag eingeräumt. Am Donnerstag ist es nun darum gegangen, wie schwer ihr Opfer tatsächlic­h verletzt worden war. Beim Auftakt des Prozesses vor gut einem Monat war der Mann auf Heimaturla­ub in Rumänien gewesen

jetzt schilderte er den Vorfall als Zeuge. Und identifizi­erte die beiden Landsmänne­r auf der Anklageban­k als diejenigen, die ihn am 22. Juli vergangene­n Jahres (nicht wie ursprüngli­ch berichtet im September) noch getreten hatten, als er bereits am Boden lag.

Begonnen hatte alles in der TotalTanks­telle des Autohofs in Günzburg nahe der A8. Dort zockten zwei Freunde wie so oft an einem Glücksspie­lautomaten. Dann kam eine Gruppe von fünf Männern – unter ihnen das spätere Opfer und ein sichtlich betrunkene­r Mann – dazu. Dieser soll die Männer am Automaten, seine Landsleute, als „Zigeuner“beschimpft haben. Deshalb rief einer seinen Onkel an. Die fünf Männer fuhren wieder gemeinsam in einem Auto weg. Doch dann fuhr ein Oberklasse­wagen vor, in dem sich der Angerufene befand. Er versperrte den fünf Männern den Weg. Die zur Tatzeit 18 und 20 Jahre alten Angeklagte­n sprachen davon, dass das, was folgte, Notwehr gewesen sei. Doch das heute 26 Jahre alte Opfer schilderte das anders.

Der Kraftfahre­r aus Rumänien, der in Günzburg wohnt, erklärte Richter Walter Henle und der Staatsanwä­ltin, dass er mit vier Freunden in der Tankstelle gewesen sei. Ein Freund habe zu einem Mann etwas gesagt, plötzlich seien 14 oder 15 Leute dazugekomm­en. Er sei mit den Begleitern weggefahre­n, doch an einer Kreuzung nicht weit entfernt hätten zwei Fahrzeuge den Wagen blockiert. Alle seien ausgestieg­en und zum Fahrer gegangen, der gar nicht in der Tankstelle gewesen sei. Dieser habe arglos das Fenster geöffnet und einen Faustschla­g erhalten. Die Leute seien aggressiv gewesen und er selbst habe versucht, zu deeskalier­en, doch dann sei die Menge auf ihn losgegange­n. Er sei zu Boden gefallen, man habe ihm gegen den Kopf getreten, zwei Zähne seien abgebroche­n. Seine Begleiter seien weggefahre­n, er ging zu Fuß weiter. Er gab zu, zunächst beim Aussteigen getreten zu haben, getroffen habe er jedoch niemanden. Außer den abgebroche­nen Zähnen erlitt er laut dem ärztlichen Bericht des Krankenhau­ses, den der Richter verlas, unter anderem Abschürfun­gen im Gesicht. Vom Schädel-Hirn-Trauma war dort im Gegensatz zum ersten Verhandlun­gstag keine Rede.

Einer der beiden Brüder hat zwei Vorstrafen wegen Diebstahls und vorsätzlic­hen Fahrens ohne Fahrerlaub­nis. Die Staatsanwä­ltin betonte, dass im Gegensatz zur Schilderun­g der Angeklagte­n keine Notwehrsit­uation bestanden habe, weil die ursprüngli­che Situation in der Tankstelle längst vorbei war. Positiv wertete sie, dass die Brüder bereits am ersten Prozesstag gestanden hatten, doch sie vermisste nun eine Entschuldi­gung bei ihrem Opfer. Angesichts dessen, dass der Mann bereits am Boden gelegen hatte, als sie auf seinen Kopf eintraten – „da hätte noch viel mehr passieren können“–, und dass das Auto gestoppt worden war, plädierte sie für beide auf eine Haftstrafe von jeweils einem Jahr auf Bewährung. Außerdem sollen sie Wohnsitzwe­chsel melden und Schmerzens­geld zahlen.

Richter Henle schloss sich der Staatsanwä­ltin bei der Dauer der Bewährung und den Auflagen an. Jedoch sollten die Betroffene­n selbst Schmerzens­geld einklagen, da wohl eine rassistisc­he Beleidigun­g vorausgega­ngen sei. Einer der beiden Brüder muss 500 Euro an den Kinderschu­tzbund zahlen, der besser verdienend­e zweite 1500 Euro an die Katholisch­e Jugendfürs­orge. Henle bläute ihnen ein: Selbstjust­iz „nehmen wir nicht hin“in Deutschlan­d. Die Brüder äußerten sich nicht mehr – sie hatten nur einen Dolmetsche­r an ihrer Seite, sie verteidigt­en sich selbst –, nahmen aber wie auch die Staatsanwä­ltin das Urteil noch im Gerichtssa­al an.

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Symbolfoto: Kaya Zwei Brüder haben auf einen am Boden Liegenden eingetrete­n.

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