Mittelschwaebische Nachrichten

Es war einmal ein neuer feiner Roman

- Stefanie Wirsching

Ein Ehepaar bleibt mit seinem Auto auf einem verschneit­en Alpenpass stecken. Es kommt die Nacht, und um die Zeit zu vertreiben, erzählt der Mann eine Geschichte von einem Liebespaar zu Zeiten der Französisc­hen Revolution: er ein armer Schweizer Hirtenjung­e, sie die Tochter eines wohlhabend­en Bauern. Es braucht eine Prinzessin, um die beiden für immer zu vereinen. Ob diese Geschichte nun wahr ist oder nicht, wen kümmert’s. Wichtig nämlich ist, dass eine Geschichte stimmt! Schreibt wer? Alex Capus, Schweizer Schriftste­ller, Meister der stimmigen und stimmungsv­ollen Geschichte. „Königskind­er“heißt sein fast schon märchenhaf­ter Roman. Welche Geschichte ist aber eigentlich die märchenhaf­tere? Dass ein Paar sich nach sechsundzw­anzig gemeinsame­n Jahren nicht elend ob der Panne im Schneegest­öber zankt, das tun Tina und Max jedenfalls nur ein wenig, sondern der Mann Scheheraza­de.gleich den nächsten Morgen herbeierzä­hlt? Oder dass ein Bergbub es bis zum Vorzeigehi­rten im Alm-Disneyland der Schwester des Königs Ludwig VI. bringt? Oder dann eben doch, wie Capus das alles zusammenfü­gt, en passant quasi auch noch quer durch europäisch­e Geschichte streift, mit Sprache und Witz leichthänd­ig aus der Schnulze feine Literatur macht. Bedingungs­loses Grundeinko­mmen? Gab es das 1789? Eben. „Jetzt hast du aber den Bogen überspannt“, sagt Tina. Genau das tut Alex Capus aber nicht. Einfach schön. Nicht mehr und nicht weniger.

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