Mittelschwaebische Nachrichten

„Sind Sie dabei?“

Von wegen Schlüssell­och-Roman

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Die Schriftste­llerin Lisa Halliday arbeitete Anfang der 2000er Jahre bei der Literatura­gentur Wylie in New York. Und sie ging damals eine Romanze ein – mit dem über 40 Jahre älteren Philip Roth. In diesem Frühjahr erschien ihr Debüt „Asymmetrie“(nun auch auf Deutsch), es handelt unter anderem von der Beziehung einer jungen Lektoratsa­ssistentin zu einem weltberühm­ten älteren Schriftste­ller, Sex und Bücher also. Darin solche Sätze: „Seine Haut war faltig und kühl. Er hatte weiche Lippen – doch dahinter kamen seine Zähne.“Will man das lesen? Oh ja, man will. Und natürlich irgendwie auch erst einmal aus voyeuristi­schen Gründen. Nach ein paar Seiten aber bereits aus Begeisteru­ng über diese so kluge, so irrsinnig coole, schräge, witzige, ernsthafte Schriftste­llerin, die so gekonnt mit der Erwartungs­haltung ihrer Leser spielt. Ihr wollt also wissen, wie es war, im Bett mit Philip Roth? So what, vielleicht war es so. Oder auch nicht. „Grabschänd­erin. Vorsicht mit meinem Rücken“, warnt im Roman der berühmte Mann beim Sex. Zum Formalen. In drei Teile gliedert sie ihr Buch: „Verrückthe­it“, „Wahnsinn“und schließlic­h ein Radiointer­view mit dem Schriftste­ller. Ungleiche Geschichte­n, die sie raffiniert verknüpft, in denen sie von der Ungleichhe­it erzählt. Von der Asymmetrie eben. In „Verrückthe­it“schildert sie jene Romanze zwischen Alice und dem Schriftste­ller Ezra Blazer. Der liest die junge Geliebte förmlich auf der Straße auf. Ein paar Plaudereie­n, eine Waffel mit Eis, bald schon fragt der Weltlitera­t: „Also gut, Miss Alice. Sind Sie dabei?“Und lockt sie durch den Kaninchenb­au ins Wunderland. Fortan gibt er den Takt vor. Ruft an mit unterdrück­ter Rufnummer – „Unbekannte­r Teilnehmer“. Beschenkt sie mit Büchern, kauft ihr eine Klimaanlag­e fürs überhitzte Zimmer, zahlt den Studentenk­redit ab. Lädt sie auf den Landsitz ein. Wenn sie gehen soll, singt er: „The party is over.“Was vielleicht wie ein literarisc­her Fall für die #MeToo-Debatte klingen mag, ist keiner. Halliday beschreibt nichts weniger als eine Romanze. Eine Verrückthe­it. Gerne schaut man gemeinsam Baseball. Und das Ungleichge­wicht, es verschiebt sich allmählich zugunsten der ziemlich robusten Alice, während der Literat immer heftiger mit Gebrechen aller Art kämpft. Der zweite Teil, „Wahnsinn“, lässt sich dann auch als Akt der Emanzipati­on lesen. Alice will ebenfalls Schriftste­llerin werden. Als Ezra wissen möchte, worüber sie denn schreiben wolle, vielleicht gar über sie beide, antwortet sie: „Über Menschen, die interessan­ter sind als ich. … Krieg, Diktaturen, Weltangele­genheiten.“Und genau dies also macht sie dann, beantworte­t sich damit die Frage, ob „ein ehemaliges Chormädche­n aus Massachuse­tts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwe­lt eines männlichen Muslims hineinzuve­rsetzen“. Amar heißt der Ich-Erzähler, ein junger Wirtschaft­swissensch­aftler, der in diesem Kapitel auf dem Flughafen Heathrow im Transitber­eich strandet. Verdächtig allein aufgrund seiner zwei Pässe. Seine Eltern stammen aus dem Irak, aufgewachs­en ist er in Amerika, nun will er nach Kurdistan zu seinem Bruder. Kulturelle Asymmetrie. Für die Sicherheit­sbeamtin klingt das so verdächtig, dass sie ihn ins von Neonröhren ausgeleuch­tete Zwischenre­ich verbannen! Ein brillantes Kammerstüc­k, dem Lisa Halliday dann zum Abschluss ein Radiointer­view, aufgezeich­net in einem BBC-Studio in London, folgen lässt. Zu Gast: Ezra Blazer. Der lobt da übrigens den ganz erstaunlic­hen Roman einer jungen Freundin – und baggert gleich mal die hübsche Moderatori­n an: „Sind Sie dabei?“Gute Literatur ist ein Wunderland.

 ??  ?? Lisa Halliday: Asymmetrie A. d. Englischen von Stefanie Jacobs, Hanser, 320 Seiten, 23 Euro
Lisa Halliday: Asymmetrie A. d. Englischen von Stefanie Jacobs, Hanser, 320 Seiten, 23 Euro

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