Mittelschwaebische Nachrichten
Die Wut schwarzer Kids
US-Autoren geben ihnen eine Stimme. Das interessiert auch deutsche Leser
Tomi Adeyemi ist die neue J.K. Rowling, davon sind viele Leser in den USA überzeugt. Die Erwartungen an die Erzählkunst der erst 25-jährigen Autorin (und den damit erhofften Kassenerfolg) waren groß, und das, bevor überhaupt eine Zeile von ihr erschienen ist: Für den ersten Teil ihrer Trilogie „Children of Blood and Bone“kassierte sie einen Vorschuss von einer Million Dollar, auch die Filmrechte verkauften sich recht schnell. Prompt setzte sich das Buch dann auch, als es im Frühjahr dieses Jahres in den USA erschien, an die Spitze der Bestseller-Listen. Was dieses Phänomen allerdings so bemerkenswert macht, ist weniger, dass hier ein Fantasy-Thriller mal wieder den Geschmack einer großen Menge Leser trifft. Vielmehr ist „Child of Blood and Bone“das erste Werk dieses Genres, das ausschließlich von schwarzen Charakteren handelt und sich in seinem Weltentwurf deutlich an afrikanischer Kultur, Geschichte und Mythologie orientiert. Was zuletzt im Hollywood-Kino mit dem Film „Black Panther“schon für Aufsehen sorgte, ist jetzt auch in der Jugendliteratur und im Fantasy-Genre zu beobachten. „Children of Blood and Bone“, dessen erster Teil „Goldener Zorn“nun auch auf Deutsch erschienen ist, handelt von der 17-jährigen Zélie, die im afrikanischen Königreich Orïsha lebt. Sie gehört zu den Maji, einer Bevölkerungsgruppe, die früher magische Fähigkeiten hatte. Die Zauberer, darunter auch Zélies Mutter, wurden verfolgt und ermordet, ihre Nachfahren werden unterdrückt, ihre Magie zerstört. Doch Zélie kommt durch Zufall in den Besitz einer Schriftrolle, die ihre magischen Kräfte wieder zurückholen könnte. Die Reise, die sie nun mit zwei Weggefährten unternimmt, bringt sie nicht nur in erhebliche Gefahr, sondern führt sie auch an die Wurzeln ihres Volkes und ihrer eigenen Identität. Ein Schmöker also, wie er sein soll: episch, ergreifend und spannend bis hin zu einem spektakulären Cliffhanger, der auch dem zweiten Band eine große Zahl an Lesern sichern wird. Mit großer Energie und Kraft erzählt Tomi Adayemi von Ungerechtigkeit, Hass, Kämpfen, Freundschaft, Liebe und Tod – und erweitert das Fantasy-Epos dabei um eine politische Dimension: Die verloren gegangene Magie wird zum Sinnbild für die jahrhundertelange Versklavung, Unterdrückung und Diskriminierung der Schwarzen durch die Weißen. Mit welchen Grausamkeiten diese verbunden waren, macht die Autorin fast unerträglich deutlich in drastischen Gewaltszenen, und sie legt Wert darauf, dass diese nicht erfunden, sondern bis hin zu aktuellen, an Videos überprüfbaren Beispielen tatsächlich geschehen sind. „Es war mein großer Wunsch, für schwarze Teenager zu schreiben, die bisher keine Stimme in der Fantasy-Literatur hatten. Ich wollte ihnen das Gefühl geben, gesehen zu werden“, beschreibt Tomi Adeyemi, die in Chicago als Kind nigerianischer Einwanderer geboren wurde, ihre Beweggründe für dieses Buch. Damit steht sie in der amerikanischen Jugendliteratur nicht allein. Schon im vergangenen Jahr erschienen ist „The Hate U Give“von Angie Thomas, dessen Verfilmung demnächst in die Kinos kommt. Sehr eindrücklich beschäftigt sich die junge schwarze Autorin darin mit Hass und Wut einer von Rassismus geprägten Gesellschaft. Wie sehr dieses Thema auch Jugendliche hierzulande interessiert und umtreibt, wie es ihnen eine neue, authentische Perspektive auf dieses Thema eröffnet, lässt sich daran ablesen, dass das Buch in diesem Jahr auf den Nominierungslisten der Kritikerjury und der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis gelandet ist. Rassismus und Gewalt gegen Schwarze sind auch zentrale Themen in den Büchern von Jason Reynolds. Nicht nur wegen seines coolen Auftretens in Jeans, Hoodie und Sneakers, mit dicken Dreadlocks auf dem Kopf und Ringen an den Fingern ist der 34-jährige Autor aus Washington zu einer Identifikationsfigur schwarzer Jugendlicher geworden. „Sie haben keine Träume, weil ihnen eingeimpft wurde, keine Träume haben zu dürfen“, sagte der Autor, als er im Sommer in München Gast des White Ravens Festivals der Internationalen Jugendbibliothek war. Diesen Träumen will Reynolds Raum geben, will zeigen, dass sie ihre Berechtigung haben, dass man aber dafür einstehen muss. „Ich bin der Nachfahre von Menschen, die eigentlich nicht überleben sollten“, sagte er und macht damit deutlich, wie wichtig das Bewusstsein einer schwarzen Identität ist. Das will er schwarzen Jugendlichen vermitteln in seinen Büchern. Autobiografisch schreibt Reynolds dabei nicht, doch eigene Erfahrungen und Beobachtungen verdichten sich in seinen Geschichten, und das macht sie glaubwürdig. „Es ist viel über uns geschrieben worden, aber jetzt wollen wir selbst darüber schreiben, wie es sich anfühlt, als amerikanischer Jugendlicher mit schwarzer Hautfarbe zu leben, wie wir essen, wie wir lachen, wie wir arbeiten, denn wir sind nicht alle Martin Luther King“, wehrt er sich gegen stereotype Festschreibungen. „In der Literatur waren wir bisher nicht repräsentiert.“Erst mit 17 habe er das erste Buch von Anfang bis zum Schluss gelesen, weil er das Gefühl hatte, es habe etwas mit ihm zu tun: „Black Boy“von Richard Wright. Aber Hip-Hop sei damals seine Rettung gewesen. „Das gab mir die Möglichkeit, Sprache in einer bestimmten Weise zu benutzen, und ließ mich einer Gemeinschaft zugehörig sein.“Geprägt ist sein Stil von dieser Erfahrung bis heute: temporeich, rhythmisch und direkt. Damit will er Jugendlichen, die wie er keinen Zugang zu Büchern finden, den Weg in die Literatur öffnen. „Denn es stimmt ja nicht, dass sie nicht lesen wollen. Sie hassen es nur, gelangweilt zu werden. Deshalb muss ich Bücher schreiben, die nicht langweilen“, ist sein Anspruch. Das gelingt ihm, unter anderem mit dem gerade auf Deutsch erschienenen Titel „Ghost – Jede Menge Leben“. Es ist der erste Teil einer Buchreihe, in der es um eine Gruppe von Jugendlichen geht, die sich zu einem Laufteam zusammengeschlossen haben. Vier von ihnen widmet er jeweils einen eigenen Band. Im Mittelpunkt des ersten steht Castle Crenshaw, der sich Ghost nennt und ein Basektball-Star werden möchte wie sein großes Vorbild LeBron James. Davon ist er weit entfernt, schafft er es doch nicht einmal, in der Schule sein Temperament zu zügeln und sich einzuordnen. Bald wird klar, warum der Junge voller Zorn ist: Sein alkoholkranker Vater hatte versucht, ihn und seine Mutter zu erschießen, und nur die schnelle Flucht hatte sie gerettet. Als Ghost im Park auf eine Gruppe Jungen und Mädchen trifft, die dort ihr Lauftraining absolvieren, beeindruckt er deren Trainer mit seiner Schnelligkeit. Mit ausgelatschten Turnschuhen und hochgekrempelter Jeans muss er sich neben den anderen Jugendlichen beweisen, muss sich einordnen, um in die Gruppe aufgenommen zu werden. Erstmals in seinem Leben erfährt er Bestätigung. Und er versteht, dass er vor sich selbst und seinen Problemen nicht weglaufen kann, ist er auch noch so schnell.
„Plötzlich stand für mich zu viel auf dem Spiel“