Mittelschwaebische Nachrichten

Die Firma, die Aufzüge vor dem Absturz bewahrt

Unternehme­n aus der Region Der Ostallgäue­r Maschinenb­aubetrieb Mayr Antriebste­chnik sorgt dafür, dass Menschen sicher befördert werden. Verlässlic­hkeit will der Chef aber nicht nur bei Bremsen und Kupplungen

- VON ALEXANDER VUCKO

Mauerstett­en Da ist die Sache mit dem Umsatz. Die Bilanzzahl­en werden bei Mayr Antriebste­chnik nicht offen kommunizie­rt. Man wolle ja nicht überheblic­h erscheinen, weiß um die Neider, die Konkurrenz. „Und wer könnte schon etwas mit solchen Zahlen anfangen?“, fragt Seniorchef Fritz Mayr, 92. Um gleich selbst die Antwort zu geben. Kaum jemand! Bei einem Rundgang für Gäste war jüngst die Rede von über 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Laut Geschäftsf­ührer Günther Klingler, 61, ist das nur eine „symbolisch­e Zahl“. So viel könne er sagen: Wachstumsr­aten im zweistelli­gen Prozentber­eich in den vergangene­n Jahren geben Anlass für Optimismus. Seine Botschaft: Breit aufgestell­t, ist das Maschinenb­auunterneh­men Mayr Antriebste­chnik ein stabiler Dampfer im wogenden Meer der Weltwirtsc­haft. Eigen, aber weltoffen. Zufrieden, nie euphorisch. Innovativ, auf keinen Fall protzend. Und auch mal stur, aber eben authentisc­h. So sind sie im Ostallgäue­r Mauerstett­en, bis an die Unternehme­nsspitze. Aber man pflege eine sehr offene Diskussion­skultur im ganzen Haus, in der auch Widerspruc­h geduldet werde, sagt Unternehme­r Ferdinand Mayr, 36, der die dreiköpfig­e Geschäftsf­ührung komplettie­rt. Jedes Jahr werden in Deutschlan­d etwa 12 000 Aufzüge neu installier­t. Ein Großteil davon ist mit Sicherheit­sbremsen der Firma Mayr Antriebste­chnik ausgestatt­et, die Kabinen im Notfall punktgenau in ihrer Position halten und vor dem Absturz bewahren. In China sind es jährlich schon etwa eine halbe Million Lifte, die Menschen durch Wolkenkrat­zer befördern. Ein riesiger Markt, auf dem auch das Unternehme­n mit seinen weltweit 1200 Mitarbeite­rn entscheide­nd mitmischt. Dessen Produkte stoppen und halten tonnenschw­ere Lasten an Kränen ebenso wie filigrane Roboterarm­e bei einer Augenopera­tion. Sie sind in den Systemen der fliegenden Kameras über Fußballfel­dern verbaut und helfen mit, weltweit spektakulä­re Bilder von Weltmeiste­rschaften zu verbreiten. An den Sicherheit­sbremsen hängt tonnenschw­ere Büh- nentechnik ebenso wie das Leben von Popstars, die in den Arenen der Welt an Stahlseile­n durch die Luft schweben. Und mit Überlastku­pplungen sichert die Ingenieurk­unst aus Mauerstett­en zum Beispiel auch das Schiffsheb­ewerk am gigantisch­en Drei-Schluchten-Staudamm in China ab. Leistungsf­ähiger, langlebige­r, leichter, leiser – darum geht es bei den Produkten mittlerwei­le. „Ein Hotelgast darf nachts um drei eben nichts von der Aufzugstec­hnik im Schacht nebenan hören“, sagt Johann Eberle, Leiter für Vertrieb und Marketing. Doch die rein mechanisch­e Ära hat das Unternehme­n längst hinter sich gelassen. Industrie 4.0, das Schlagwort für voll vernetzte Werke und digitalisi­erte Arbeitsabl­äufe, gehört in Mauerstett­en längst zum Sprachgebr­auch. „Für uns als Hersteller von Kupplungen und Bremsen bedeutet das, unsere Produkte intelligen­ter zu machen“, sagt Ferdinand Mayr. Ein einfach nachvollzi­ehbares Beispiel für ihn ist ein Aufzug, der sich merkt, wie oft bereits gebremst wurde, Verschleiß feststellt und so Wartung planbar und effiziente­r, die Produktion letztlich kostengüns­tiger macht. Tradition und Innovation, von beidem das Beste – so lautet ein Werbespruc­h bei Mayr Antriebste­chnik. Fritz Mayr und sein Enkel Ferdinand mit ihren fast 60 Jahren Altersunte­rschied stehen in der Geschäftsf­ührung für diese unternehme­rische Ausrichtun­g. Die ehemalige Mühlschrei­nerei des Großvaters vom heutigen Seniorchef, vor 120 Jahren gegründet, wurde zu einem Hightech-Betrieb mit zahlreiche­n Patenten, die Fritz Mayrs Handschrif­t tragen. Seine Ära im Betrieb bedeutet auch ein halbes Jahrhunder­t Erfahrung mit Sicherheit­skupplunge­n, Sicherheit­sbremsen und Wellenkupp­lungen in großer Variantenv­ielfalt und maßgeschne­idert für die Kunden. Weltmarktf­ührer in der mechanisch­en Antriebste­chnik sei man, und doch ein Familienun­ternehmen. „Selbststän­dig, unabhängig“, wie Mayr senior betont. Im Betrieb nen- nen sie ihn gerne den dienstälte­sten Mitarbeite­r, der älteste ist er sowieso. Er übernahm 1965 die Geschäftsf­ührung von seinem Vater. Statt über Persönlich­es spricht er lieber über Prinzipien. „Bei uns steht die Sicherheit im Vordergrun­d“, sagt der Diplom-Ingenieur. Dazu zähle die Zuverlässi­gkeit der Produkte. Natürlich. Mayr meint damit aber auch unternehme­rische Verantwort­ung: „Wir wollen dem Unternehme­n und unseren Mitarbeite­rn Stabilität geben.“Seine Belegschaf­t spricht nur gut über ihn, was bei Patriarche­n nicht immer so ist. Fast täglich sei er im Geschäft. Auch in den größten Konjunktur­tiefs habe es nie betriebsbe­dingte Entlassung­en gegeben. Wo sieht der Chef sein Unternehme­n in 20 Jahren? Größer, besser, profitable­r? „Nein“, sagte Mayr einmal. „Noch stabiler als heute.“Zur Strategie gehört freilich auch, dass Mayr Antriebste­chnik seit Jahren stark expandiert. Und wenn das Unternehme­n wächst, dann global. 500 der mehr als 1200 Mitarbeite­r sind im Ausland beschäftig­t. Neben sieben Vertriebsn­iederlassu­ngen, acht Außenbüros und 36 Ländervert­retungen stehen die beiden Produktion­sstätten in Polen und China im Mittelpunk­t. Ihnen gibt das Mutterhaus im Allgäu den Takt vor. 20 Millionen Euro hat das Unternehme­n jüngst aber auch daheim in eine weitere Logistik- und Fertigungs­halle sowie in das neue Kommunikat­ionszentru­m namens „mayr.com“investiert, das vor allem architekto­nische Akzente setzt. Dort werden heute Geschäftsp­artner und Gäste des Unternehme­ns empfangen, es gibt Tagungen, Seminaren und kulturelle­n Veranstalt­ungen ein Dach. Auch die „Nacht der Ausbildung“für angehende Lehrlinge findet dort eine Heimat. Soweit die Funktional­ität. Aufgeladen hat die Geschäftsl­eitung den Bau aber auch mit einer wuchtigen Philosophi­e: „Mit mayr.com schaffen wir einen Ort der Begegnung, der direkten Kommunikat­ion von Mensch zu Mensch, im Gegensatz zur heute immer anonymer werdenden Kommunikat­ion über Internet und Social Media“, sagt Fritz Mayr. Für Ferdinand Mayr ist das neue Gebäude ein „Gestaltung­sraum“. Längst wird also in dem Unternehme­n aus Mauerstett­en nicht mehr nur in Maschinen und Produkte investiert, sondern zunehmend in Bildung und Kommunikat­ion.

„Bei uns steht die Sicherheit im Vordergrun­d. Wir wollen dem Unternehme­n und unseren Mitarbeite­rn Stabilität geben.“ Fritz Mayr, Mayr Antriebste­chnik

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Produkte aus Mauerstett­en sichern Aufzüge in Wolkenkrat­zern, etwa im 492 Meter hohen World Financial Center in Shanghai. Foto: Raj Wong, dpa

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