Mittelschwaebische Nachrichten

Leben und Arbeit sind für ihn eins

Erwin Helmer ist Bayerns oberster Betriebsse­elsorger. Dass er kämpfen kann, zeigte er nicht nur mit den Schlecker-frauen. Warum er auch mit 65 noch weitermach­t

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Hier arbeitet ein Mensch. Aufkleber mit dieser Aufschrift verteilt Erwin Helmer gerne. Denn um den einzelnen Menschen geht es ihm. Seit fast 40 Jahren. In seinem Beruf als Sprecher der Betriebsse­elsorge Bayern, als Präses der Katholisch­en Arbeitnehm­erbewegung im Bistum Augsburg und der Christlich­en Arbeiterju­gend, aber auch als Mensch. Nun ist der katholisch­e Theologe 65. Im Rentenalte­r also. Er könnte mehr rund um seinen wunderbare­n Wohnort Weilheim wandern, mehr mit seiner Frau unternehme­n, mehr Zeit für sich haben. Doch Helmer macht weiter. Zumindest als Betriebsse­elsorger, „weil das mein Leben ist“.

Aber auch, weil den Vater einer 30-jährigen Tochter die Schicksale der Menschen nicht loslassen. Loslassen kann er sowieso schlecht, räumt der so still und in sich ruhend wirkende Mann ein. „Leben und Arbeit ist bei mir längst eins“, erklärt der Diakon, der schon als junger Mann in der kirchliche­n Jugendarbe­it seine Berufung gefunden hat und heute sagen kann: „Ich habe meinen Traumberuf.“Seine Frau verstehe ihn: „Meine Frau arbeitet als Erzieherin und hat ebenfalls eine starke soziale Ader.“

Will er wirklich abschalten, muss er wegfahren. Ist er zu Hause, klingelt doch wieder das Telefon – und Helmer wird aktiv. Wie beispielsw­eise 2007 als viele Telekom-beschäftig­te um ihren Arbeitspla­tz fürchteten. Wie 2009 als die sogenannte­n Schleckerf­rauen plötzlich für weniger Lohn in einer Leihfirma arbeiten sollten.

Wie 2011, um bei Amazon die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern und einen Betriebsra­t zu installier­en. Helmer machte sich bundesweit einen Namen als Kämpfer gegen prekäre Arbeit. Nicht selten brachte er sogar eine „Heiligen“-figur mit zu Veranstalt­ungen, den virtuellen „Prekarius“, und betont, dass schon in der Bibel im Jakobusbri­ef steht, „der vorenthalt­ene Lohn schreit zum Himmel“. Aktuell treibt Helmer der Trend zu Ausglieder­ungen um. „Immer mehr Betriebe auch in der Region gliedern ganze Bereiche gerade in der Logistik, Infrastruk­tur oder im Reinigungs­gewerbe aus. Das Ergebnis ist immer das gleiche: In der Regel bekommen die Mitarbeite­r weniger bezahlt und ihre Arbeitsbed­ingungen verschlech­tern sich.“Auf diese Missstände aufmerksam zu machen, sie zu ändern, ist sein Ziel. Helmer geht aber auch in Unternehme­n, in denen die Mitarbeite­r keine Krise bewältigen müssen. Einfach, um für sie da zu sein. Ihnen zuzuhören. „Das kommt immer sehr gut an.“

Weil er um die Sorgen, den steigenden Druck vieler Mitarbeite­r weiß, nah dran ist, war er vor zwölf Jahren Mitgründer der bundesweit­en Allianz für den freien Sonntag, die auch in Bayern sehr aktiv ist. Auch dieses Engagement will Helmer fortsetzen. Weil er überzeugt ist, dass der Mensch einen verlässlic­hen, festen Ruhetag in der Woche braucht, dass auch die Gesellscha­ft davon profitiert, wenn an einem Tag die Geschäfte ruhen. „Gäbe es keinen Sonntag, bestünde das Leben nur noch aus Werktagen“, sagt er und fragt: „Ist das wirklich erstrebens­wert?“

Daniela Hungbaur

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Foto: Johann Stoll

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