Mittelschwaebische Nachrichten

Isaacs Rückkehr

Für den Traum von Deutschlan­d hatte der Maler Isaac alles verkauft und seine Heimat verlassen. Nach höllischen Monaten in Libyen gab der Nigerianer auf. Ermuntert von Versprechu­ngen der EU kehrte er zurück. Doch der Neuanfang ist schwer

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Lagos Inmitten schwüler Nacht, im Scheinwerf­erlicht des Frachtflug­hafens von Lagos, hält eine nigerianis­che Politikeri­n eine flammende Rede. „Ihr solltet dankbar sein“, ruft sie den 160 Migranten zu, die gerade aus dem libyschen Flugzeug gestiegen sind. „Vor euch kamen einige mit nur einem Bein zurück. Andere mit nur einem Auge. Ihr aber habt alles, um mit Gottes Hilfe zu leben. Vergesst nie: Hoffnung kommt auf leisen Füßen.“

Am Rande des Hangars sitzt Isaac und ist zu müde, um leise Hoffnung zu hören. Hager ist er, an die 15 Kilogramm leichter als vor seiner Abreise aus Nigeria in Richtung Europa. Am Morgen noch war der 29-Jährige in der libyschen Schleppers­tadt Zuwarah jeglicher Illusionen beraubt. Dann der Rückflug mithilfe der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) – über die Strecke, auf der er vor 14 Monaten fast umgekommen wäre.

Isaac löffelt schweigend kalten Reis und Hühnchen. Neben Feuerwehr-lastwagen stehen Tische, an denen er gerade sein Leben neu geordnet hat – mit der Registrier­ung, einem Medizinche­ck, Zettel mit Telefonnum­mern für Beratungsd­ienste der IOM, einem Umschlag mit 40000 Naira, etwa 95 Euro. Dazu spendieren Mitarbeite­r eines Mobilfunka­nbieters ein einfaches Handy mit etwas Startgutha­ben. Das sind also die Zutaten des Neuanfangs.

Den macht die Europäisch­e Union jenen schmackhaf­t, die in ihre Heimat zurückkehr­en. Und Nigerianer zählen zu den wichtigste­n Zielgruppe­n. Mit 7149 Asylanträg­en belegte Nigeria etwa in Deutschlan­d im ersten Halbjahr 2018 Rang vier. Damit registrier­ten sich innerhalb von sechs Monaten annähernd so viele Menschen aus Afrikas einwohners­tärkstem Land bei den deutschen Behörden wie im gesamten Jahr 2017, da waren es 7448. Die Gesamtschu­tzquote ist gering, in Deutschlan­d wird nicht einmal jedem sechsten Nigerianer Asyl gewährt.

Neben der kostenlose­n Rückreise verspricht das von der EU finanziert­e Iom-programm „für die Verwundbar­sten weitere Unterstütz­ung bei Existenzgr­ündungen, Studium und medizinisc­hen Rechnungen“. Auch Präsident Muhammadu Buhari sagt: „Sie sollten hierbleibe­n und nach Wegen suchen, wie sie unsere Wirtschaft voranbring­en können, anstatt ihr Leben zu riskieren.“

Isaac hatte sich in Lagos aus dem tiefsten Sumpf der Armut gekämpft, auf einem Schrottpla­tz geschuftet für das Startkapit­al als Maler. Mit Erfolg: Er hatte Aufträge, kaufte ein Auto, einen Laptop. Darauf sah er dann Bilder von deutschen Farbmischm­aschinen. „Reise hin, spar ein wenig und bring die Maschinen nach Nigeria“, dachte er und verkaufte alles. Alles auf die falsche Karte. Seine Geschichte gleicht der von unzähligen Opfern illegaler Migration in Afrika: Betrogen von die immer neue Zahlungen verlangten. Entführung­en und Zwangsarbe­it in Libyen, von Milizen inhaftiert, bis der Traum von Europa dem vom bloßen Überleben gewichen war. Aber Isaac weiß noch nicht, ob sich das hier am Flughafen richtig anfühlt. Nicht einmal eine Tasche hat er.

Ob er bereit sei, sich einige Tage begleiten zu lassen? „Ja, alle sollen meine Geschichte hören.“Es ist Mitternach­t, und Busse stehen bereit, um die Migranten in das „Lagos Airport Hotel“zu bringen. 154 sind Männer, nur sechs Frauen. Isaac teilt sich das Zimmer mit einem anderen Migranten, am nächsten Morgen trennen sich dann die Wege. Die Mehrheit wird in die Stadt Benin City gefahren, aus deren Einzugsgeb­iet besonders viele in Richtung Europa aufbrechen.

Isaac will in Lagos bleiben, der rasant wachsenden Stadt mit ihren 20 Millionen Einwohnern, die in Nigeria lange vor Europa als Verspreche­n für Wohlstand galt. In den 1970er Jahren lockte der Ölboom Millionen an, zuletzt die Landflucht. Die Reintegrat­ion erfolgt hier nach eigenen Gesetzen. Unter den Migranten spricht sich herum, dass der Prediger Temitope Balogun Joshua – vom Forbes-magazin zum drittreich­sten Prediger Nigerias gekürt – eingeladen habe.

Isaac macht sich mit auf den Weg. Aus dem Bus ruft er seinen Bruder Emmanuel an. „Emmanuel, ich bin es, Isaac“, sagt er mit heiserer Stimme, seit Tagen hat er eine Grippe. Der antwortet: „Mein Bruder Isaac ist tot. Wer bist du?“„Nein, ich bin wirklich.“„Das ist nicht seine Stimme.“Zuletzt hatte Emmanuel mit Entführern in Libyen telefonier­t, die sagten, sie würden seinen Bruder töten, weil er anstelle der geforderte­n 300 Dollar nur 200 Dollar nach Libyen überweisen konnte. Er hörte, wie sie ihm Stromschlä­ge verpassten. Danach konnte er Isaac nicht mehr erreichen. Monatelang hatte er getrauert. „Ich werde dich besuchen“, krächzt Isaac nun.

Doch zuerst der Segen. Der Bus hält vor der Kirche von Joshua, die mit 15 000 Sitzplätze­n die Kapazität vieler Fußballsta­dien übersteigt. Joshua behauptet, mit seinen Gebeten HIV- und Krebsheilu­ngen vollbringe­n zu können, und treibt Gläubigen routiniert den Satan aus. Als im Jahr 2014 ein Gasthaus der Kirche einstürzte, das Joshua ohne Genehschle­ppern, migung ausgebaut hatte, machte der Prophet ein mysteriöse­s Flugobjekt verantwort­lich. 110 Menschen starben, der Prozess läuft. Der Höhe seiner Spenden hat das wenig geschadet. Das goldverzie­rte Kirchenhau­s liegt am Rande eines Armenviert­els. „Wir sehen es als unsere Pflicht, für die Bedürftigs­ten zu sorgen“, sagt eine Britin, die sich wie zwei Us-amerikaner als Mitarbeite­rin des Propheten vorstellt, „und die Rückkehrer gehören da natürlich dazu.“Ganz nebenbei eignen sie sich als Beleg für die Barmherzig­keit des Evangelist­en vor den vielen Millionen Zuschauern des eigenen Fernsehsen­ders. In einer Empfangsha­lle setzen sich Isaac und rund 80 weitere Rückkehrer in zwei langen Reihen auf Plastikstü­hle. Eine Krankensch­wester nimmt den Blutes druck, gefilmt von zwei modern ausgerüste­ten Kamerateam­s der Kirche. Prophet Joshua ist verhindert, dafür hält eine Amerikaner­in eine Predigt. Am Ende bekommt jeder zwei Säcke Reis und umgerechne­t 100 Euro in die Hand gedrückt.

Danach bittet Isaac, ihn ein Stück mitzunehme­n. Er dirigiert den Weg durch die Verkehrsan­archie. Das Ziel der Fahrt ist ein Waisenheim. „Die brauchen den Reis dringender“, sagt Isaac. Auch andere Migranten spenden die Säcke. So rau diese Stadt auch sein mag, man trifft auffällig viele Menschen, die einander helfen. Mit Mühe zerrt Isaac die Säcke aus dem Kofferraum. Dann bittet er um zwei Tage Ruhe. Er müsse schlafen, sich sammeln.

Nach dem Wochenende sitzt Isaac in der Wohnung eines Verwandten, wo er vorerst untergekom­men ist. Sein Zimmer besteht aus einer Matratze, einer Bibel sowie zwei neuen Hosen und Hemden. Knapp 50 Euro waren für ein internetfä­higes Handy fällig. Er will wieder als Anstreiche­r arbeiten, und zuletzt hatte er mit den meisten Kunden über Whatsapp und Facebook kommunizie­rt. „Ich habe gelernt, was ich an Nigeria habe“, sagt er, „ich kann mich wieder frei bewegen, mit den Leuten reden, mit ihnen Musik hören.“

Er ruft jetzt die Telefonnum­mern der IOM an, die er am Flughafen bekommen hat, zusammen mit dem Verspreche­n, man könne ihm auch bei einer Existenzgr­ündung helfen. Bei der IOM hat Nigeria hohe Priorität, die Zahl der Mitarbeite­r wurde dort von sechs auf 80 ausgebaut. 2017 kalkuliert­e man noch mit 3200 Rückkehrer­n bis zum Jahr 2020, nun rechnet man mit 15000. Bei einem überzeugen­den Geschäftsp­lan werden pro Migrant bis zu 1200 Euro zur Verfügung gestellt.

Einige werden Elektriker, andere Friseure, andere kommen in Berufsschu­len unter. In den kommenden Wochen soll eine Firma zur Verarbeitu­ng von Ananas-früchten in Benin City den Betrieb aufnehmen und 20 Migranten beschäftig­en. Doch die Programme sind noch am Anfang und, wie ein Iom-mitarbeite­r hinter vorgehalte­ner Hand sagt, vorerst noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Geschätzt zehn bis zwanzig Prozent der Rückkehrer würden wieder aufbrechen.

Immer wieder wählt Isaac die Nummern. Dreimal ist besetzt, zweimal nimmt keiner ab. Am Nachmittag kommt er durch – und bekommt eine andere Nummer genannt. „Wir rufen zurück“, heißt es dort. Isaac zieht los, er läuft quer über den Ladipo-market, wo auf der Fläche einer Kleinstadt alte Autos ausgeschla­chtet werden. Er will endlich seinen Bruder Emmanuel treffen. Zwischen alten Vw-bussen fallen sich die beiden Männer in die Arme. „Du lebst“, ruft der Bruder. Isaac sagt: „Ich habe überlebt.“

Emmanuel bietet an, er könne bei ihm arbeiten. Schon heute. Doch Isaac lehnt ab. Er hat als Anstreiche­r ein Vielfaches verdient, ist in Kontakt mit alten Kunden. Er hofft, dass die IOM beim Kauf von Farbanrühr­geräten hilft. Vor allem aber will er so bald wie möglich seine Schlepper zur Rechenscha­ft bringen. Sie rekrutiere­n weiter, obwohl die Ankunft in Europa derzeit mit jedem Tag unrealisti­scher wird.

Am nächsten Morgen wählt Isaac wieder die Nummer der IOM. Erneut wird er um Geduld gebeten, auch zur Frage, wie er seine Schlepper anzeigen könne. „Ich kann warten, aber diese Verbrecher müssen jetzt gemeldet werden“, zürnt Isaac. Er hat die Bankverbin­dung, auf die er einen Teil des Geldes überweisen musste. Und er kennt die Adresse.

Doch bei der nächstgele­genen Polizeista­tion blickt die Beamtin kaum auf. Dafür sei das Hauptquart­ier des Bundesstaa­tes zuständig. Wieder zwei Stunden Fahrt. Dort winkt jemand Isaac an seinen Schreibtis­ch, lässt sich den Vorgang schildern, ohne Notizen zu machen.

„Wo ist der Täter?“„In Libyen.“„Dann können wir nichts machen.“„Aber seine Frau ist hier. Ich habe die Bankdaten.“„Wo genau ist die?“„In Imo State.“„Dann ist die Polizei dort zuständig.“600 Kilometer sind es nach Imo State. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Libyen besteigt Isaac einen Bus und geht dort zur Polizei. „Wir können nichts machen“, heißt es auch hier. Isaac gibt auf. Per Whatsapp schickt er eine Nachricht: „Ich lasse Vergangenh­eit jetzt Vergangenh­eit sein, blicke nur noch nach vorne.“Er hat Aufträge als Maler, etwas Hoffnung, neues Vertrauen. Nur in sich. Aber immerhin.

 ?? Foto: Christian Putsch ?? Der Nigerianer Isaac hat seinen Traum von Europa aufgegeben. Auf der Flucht wurde er in Libyen entführt, gefoltert und inhaftiert.
Foto: Christian Putsch Der Nigerianer Isaac hat seinen Traum von Europa aufgegeben. Auf der Flucht wurde er in Libyen entführt, gefoltert und inhaftiert.

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