Mittelschwaebische Nachrichten
Der Irrtum mit den Wahlgeschenken
Hintergrund Mit dem Rentenversprechen, für verlässliche Absicherung im Alter zu sorgen, wollte die SPD heraus aus dem Umfragekeller. Warum diese Taktik bei den Wählern nicht aufgeht
Berlin Für die darbende SPD sollte es der große Befreiungsschlag werden: das Rentenpaket der Großen Koalition, über das jetzt der Bundestag debattiert. Die geplante Reform geht auf sozialdemokratische Versprechen im Bundestagswahlkampf zurück, ausgearbeitet hat sie mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ein SPD-Mann. Doch die Hoffnung, mit einer „doppelten Haltelinie“, dem Versprechen sicherer Renten und stabiler Beiträge bis 2025, das Comeback in der Wählergunst zu schaffen, scheint sich nicht zu erfüllen.
Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa und langjähriges SPD-Mitglied, erklärt das so: „Das Rentenpaket mutet mal wieder sehr bürokratisch an. Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Absicherung im Alter. Und dann knallt man ihnen Begriffe wie doppelte Haltelinie vor den Latz. Das versteht doch keiner.“Der SPD sei das Gespür dafür abhandengekommen, den Bürgern klare Antworten auf drängende Fragen anzubieten, sagt Güllner.
Und die Defizite in der Vermittlung von Politik stürzten die einst so stolze Volkspartei immer tiefer in die Krise. Nach aktuellen Umfrageergebnissen käme die SPD bei einer Bundestagswahl nur noch auf 15 Prozent der Stimmen. Und wäre damit viertstärkste Partei, hinter Union, AfD und Grünen. Dass es nach dem Ergebnis der Bundestagswahl vor einem Jahr, mit 20,5 Prozent das schlechteste aller Zeiten, noch einmal so deutlich abwärtsgehen könnte, hätten auch die Pessimisten in der SPD nicht geglaubt.
Gerade mit dem Thema Rente wollte die SPD in der Regierung verlorenen Boden gutmachen. Denn kaum etwas, so waren sich die Parteistrategen sicher, bewegt die Bundesbürger so sehr wie ihre Versorgung im Alter. Wer schon Rente bezieht oder kurz davor ist, macht sich Sorgen, ob sie für einen sorgenfreien Lebensabend überhaupt reicht. Die Jungen fürchten dagegen, in der Gegenwart immer mehr für die Rentner bezahlen zu müssen, haben aber ihre Zweifel, ob sie selbst in Zukunft noch mit einer vernünftigen Rente rechnen dürfen. Denn der Gesellschaft droht eine Überalterung, immer weniger Beitragszahler werden für immer mehr Rentner aufkommen müssen.
Das Rentenpaket der Bundesregierung zielt darauf ab, Alte und Junge gleichermaßen zu beruhigen. Es sieht vor, das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent und den Beitragssatz bei höchstens 20 Prozent festzuschreiben – bis zum Jahr 2025.
„In Zeiten rasanter Veränderungen ist es wichtig, dass wir den Menschen Sicherheit und Orientierung geben“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil am Freitag im Bundestag. Er kündigte an, dass zum jetzigen Rentenpaket im kommenden Jahr eine Grundrente hinzukommen soll. Menschen mit langer Lebensarbeitszeit, aber niedrigen Renten sollen so im Vergleich zu Beziehern von Grundsicherung bessergestellt werden. Eine Expertenkommission erarbeitet derzeit Vorschläge, wie es mit der Rente nach 2013 weitergehen soll. Bereits jetzt scheint klar: Nur durch höhere Zuschüsse durch den Bund können die Renten garantiert werden.
Ein Drittel der Rente kommt bereits jetzt aus Steuermitteln. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, sonst als gewissenhafter Kämmerer bekannt, will das Rentenniveau sogar bis 2040 garantieren. Doch bis dahin wird sich die demografische Situation deutlich verschärfen, weil Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Rentengarantien würden also einen noch tieferen Griff in den Steuertopf erfordern, sagen Kritiker, etwa in der FDP.
Und bei den Wählern kann die SPD mit dem Versprechen offenbar nicht punkten. Meinungsforscher Güllner: „Was da verloren gegangen ist, das ist die Idee vom Generationenvertrag“, sagt er. „Den älteren Menschen wird nicht deutlich, dass sie sich auf ein gutes Auskommen im Alter verlassen können. Und bei den Jungen werden Ängste geschürt, dass sie unverhältnismäßig stark bluten müssen für die Alten.“
Im Rentenpaket sieht Güllner den gescheiterten Versuch, es möglichst vielen Wählern recht zu machen und möglichst wenigen wehzutun. „Wenn die Leute sehen, da wird etwas nur mit Blick auf ihre Stimmen gemacht, dann wird dieser Opportunismus erkannt und auch bestraft.“Das Vertrauen in die Fähigkeit der Sozialdemokraten, Probleme zu lösen, habe aber auch durch den monatelangen innerparteilichen Streit massiv gelitten. Güllner sagt: „Im Moment traut man der SPD kaum mehr etwas zu.“
„Wenn die Leute sehen, da wird etwas nur mit Blick auf ihre Stimmen gemacht, wird Opportunismus erkannt und bestraft.“
Meinungsforscher
Manfred Güllner