Mittelschwaebische Nachrichten
Jeden Tag Erfolgserlebnisse
Gesundheit Warum Dieter Vingerhoed glaubt, dass sich die Physiotherapie viel positiver darstellen sollte
Herr Vingerhoed, Sie betreiben in Mindelheim und an drei weiteren Standorten im Landkreis Unterallgäu Physiotherapiepraxen. In mehr als der Hälfte der bayerischen Physiotherapiepraxen, so das Ergebnis einer Umfrage, warten Patienten drei Wochen und länger auf einen Termin. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Dieter Vingerhoed: Dass es einen Fachkräftemangel für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie in Deutschland gibt, steht außer Frage. Zu wenig praktizierende Therapeuten bringen folglich eine Unterversorgung mit daraus resultierenden Wartezeiten.
Und warum gibt es so wenig Fachkräfte?
Vingerhoed: Als Gründe dafür werden seit Jahren vor allem eine schlechte Entlohnung, hohe Schulkosten und schwere Arbeitsbedingungen aufgeführt.
Das soll sich ja nun ändern ... Vingerhoed: Der Staat hat mit der Abschaffung des Schulgeldes reagiert, und die Kassen mit Vergütungserhöhungen. Anscheinend werden sogar weitere Erhöhungen in Betracht gezogen. Dies ist auch dringend notwendig. Der Verdienst ist sicherlich ein Entscheidungsfaktor bei der Berufswahl und da können wir leider nicht mit anderen Branchen wie der Industrie konkur- rieren. Zeitungsartikel wie jüngst „Wenn Helfer Hilfe brauchen“tragen vielleicht sogar dazu bei, Aufmerksamkeit zu bekommen, dass sich etwas verändern muss. Wir haben nämlich keine Gewerkschaft, die für uns kämpft, keine starke Lobby oder die Möglichkeit zu streiken.
Aber ...?
Vingerhoed: Gleichzeitig wurde in dem Artikel der Beruf des Physiotherapeuten negativ dargestellt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin absolut der Meinung, dass die Vergütungen und die damit verbundenen Entlohnungen weiter steigen müssen. Wenn aber eine Praxisinhaberin sich darüber beschwert, dass sie soviel arbeiten muss und dass zu wenig dabei rauskommt und stellvertretend für eine Berufsgruppe zitiert wird, dann habe ich damit meine Probleme. Jeder Unternehmer geht das „unternehmerische Risiko“ein und dass man als Selbstständiger viel arbeiten muss, kann doch eigentlich keine Überraschung sein. Ich empfinde es auch als keinen guten Stil, den Kassen den schwarzen Peter zuzuschieben, weil sie gründ- lich kontrollieren. Ich habe die Kassen immer als einen fairen Gesprächspartner empfunden.
Was können Physiotherapie-Praxen tun, um Fachkräfte zu gewinnen? Vingerhoed: Wenn wir wollen, dass mehr junge Menschen sich für therapeutische Berufe interessieren, dann müssen wir als Berufsgruppe überlegen, was wir selber besser machen können. Ich bin der Meinung, dass wir uns viel positiver darstellen sollten, weg vom „eingestaubten“Image und negativer Publicity. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sind hochmoderne Berufe. Weiterbildungen ermöglichen es, immer auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand zu arbeiten. Man arbeitet meist in Teams zusammen, trifft oft auf dankbare Patienten. Die Berufswahl rein auf finanzieller Ebene zu treffen, ist sicherlich nicht richtig.
Ein Berufsleben geht von circa 20 bis 67 Jahren. Da sollte man einen Beruf wählen, der zu einem passt, einen Beruf, der erfüllt. Und mit besseren Gehältern und dem Wegfallen des Schulgeldes gibt es eigentlich kaum mehr Gründe, sich dagegen zu entscheiden.
Was spricht denn ganz grundsätzlich für den Beruf?
Vingerhoed: Die Physiotherapie, aber genauso Ergotherapie und Logopädie sind Berufe, bei denen man sehr intensiv mit Menschen zusammenarbeitet. Meist Menschen, die gesund werden oder bleiben wollen. Und wir können ihnen dabei helfen. Da gibt es doch eigentlich nichts Schöneres – für mich auf alle Fälle nicht! Es gibt jeden Tag Erfolgserlebnisse im Sinne von dankbaren Patienten und dem Gefühl, etwas Bedeutsames zu tun.