Mittelschwaebische Nachrichten

Wie eine Familie ein neues Leben ermögliche­n kann

Soziales Das Dominikus-Ringeisen-Werk betreut im Kreis Günzburg und in Nachbarlan­dkreisen Menschen mit Behinderun­g oder psychische­n Erkrankung­en, die in Gastfamili­en leben. Isabella Kammel berät diese Familien

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Menschen mit Behinderun­g oder psychische­n Erkrankung­en bekommen in Gastfamili­en wichtige Hilfe.

Frau Kammel: Was ist Ihre Aufgabe? Isabella Kammel: Im Oktober 2016 hat der Bezirk Schwaben Fördermitt­el bereitgest­ellt, um das Betreute Wohnen in Familien beziehungs­weise die Gastfamili­enarbeit zu unterstütz­en und zu erweitern. In ganz Schwaben werden Stellen finanziert, die sich mit der Akquirieru­ng von Gastfamili­en befassen. Gastfamili­en rücken also in den Vordergrun­d. Als Fachstelle im Dominikus-Ringeisen-Werk haben wir ein Konzept für das Betreute Wohnen in Familien weiterentw­ickelt und organisier­en Treffen für bestehende und interessie­rte Gastfamili­en, knüpfen Kontakte zu verschiede­nen Organisati­onen, um Betreutes Wohnen in Familien in der Gesellscha­ft bekannter zu machen und begleiten Gastfamili­en.

Wer kann Gastfamili­e sein? Kammel: Gastfamili­en können Familien mit und ohne Kinder, Lebensgeme­inschaften, Alleinerzi­ehende oder alleinsteh­ende Personen sein. Die Familien benötigen keine fachliche Ausbildung, sollten aber die Bereitscha­ft mitbringen, sich langfristi­g um einen Menschen mit Behinderun­g zu kümmern und eine tragfähige Beziehung zu ihm aufzubauen. Die Familie sollte dem Gastbewohn­er einen geeigneten Wohnraum, etwa ein Zimmer, zur Verfügung stellen können, und sie sollte zur Zusammenar­beit mit dem begleitend­en Fachteam bereit sein. In der Regel unterstütz­t die Familie den Gast in der alltäglich­en Lebensführ­ung, bei der Gestaltung persönlich­er Beziehunge­n und in der Freizeitge­staltung sowie bei der Bewältigun­g von Problemen. Die Gastfamili­e erhält vom zuständige­n Leistungst­räger ein monatliche­s Betreuungs­geld. Hinzu kommt die Erstattung von Aufwendung­en für Miete und Nebenkoste­n für den überlassen­en Wohnraum. Eine Beteiligun­g des Gastes an den Lebenshalt­ungsund Haushaltsk­osten kann individuel­l vereinbart werden.

Wie viele Familien betreut das DRW aktuell?

Kammel: Im Landkreis Günzburg leben derzeit vier Klienten in Gastfamili­en. Im Landkreis Neu-Ulm ist es ein Klient und im Landkreis Augsburg-Land ein weiterer. Wir haben also noch Luft nach oben und

suchen deshalb nach weiteren Gastfamili­en.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Klient bei einer Gastfamili­e einziehen kann?

Kammel: Im Prinzip hat jeder Mensch mit Behinderun­g oder psychisch Kranke die Möglichkei­t, in

einer Gastfamili­e zu leben. Allerdings gibt es Ausschluss­kriterien zum Schutz der Gastfamili­e, etwa bei Suchterkra­nkungen. Für uns hat oberste Priorität, dass sich Gast und Gastfamili­e sympathisc­h sind. Der Funke muss überspring­en. Dies hat Vorrang vor allem anderen. Wichtig ist auch, dass sich die Gastfamili­e auf

Symptome einer psychische­n Erkrankung beziehungs­weise der Persönlich­keitsstruk­tur eines geistig behinderte­n Menschen einstellt. Denn ihre Selbststän­digkeit ist eingeschrä­nkt, sie brauchen mehr Hilfe und Unterstütz­ung bei Problemen des Alltags oder bei der Organisati­on des Lebens. Man kann sagen, dass Betreutes Wohnen in Familien für beide – für Gastgeber und Gast eine große Chance ist, mehr aus dem Leben zu machen.

Welche Erwartunge­n haben Personen, die einen Menschen mit Behinderun­g aufnehmen?

Kammel: Sie haben oft keine konkreten Erwartunge­n. Betreutes Wohnen in Familien ist Laienhilfe. Das heißt, dass die aufnehmend­e Gastfamili­e keine pädagogisc­he, psychiatri­sche oder pflegerisc­he Ausbildung benötigt. Somit fehlen häufig Erfahrunge­n und Vorstellun­gskraft in diesem Bereich. Auch die Motivation, Gastfamili­e zu werden, ist ganz unterschie­dlich. Bei einem Ehepaar waren die Kinder aus dem Haus, das Leben verlief seit Jahren solide und ruhig. Das Wohnangebo­t sollte wieder neue Bewegung in das Leben bringen. In einem anderen Fall hatte sich eine alleinsteh­ende Frau bereit erklärt, jemanden bei sich aufzunehme­n, weil sie schon vor vielen Jahren darum gekämpft hatte, dass ein geistig behinderte­r Mensch, der nicht zu ihrer Familie gehörte, bei ihr leben darf. Bei Gastfamili­en sind es gerade alleinsteh­ende Personen, die das Zusammenle­ben in Gesellscha­ft schätzen. Aber ob Familie mit Kindern, Ehepaar oder Single: Allen gemeinsam ist, dass sie etwas Gutes tun möchten.

Wann wurde Ihre Hilfe als begleitend­e Fachperson­en benötigt?

Kammel: Vor allem bei den einfachen Dingen des täglichen Lebens. Einmal wollte sich ein Klient einen Bart wachsen lassen, die Gastfamili­e mochte das aus diversen Gründen nicht. Oder die Gastfamili­e beobachtet, dass ihre Mitbewohne­rin ihre Körperpfle­ge vernachläs­sigt, hat aber Sorge, dies selbst anzusprech­en, weil sie fürchtet, das Vertrauens­verhältnis damit zu zerstören. Ich fahre immer wieder zu vermitteln­den Gesprächen. Wir stehen sowohl der Gastfamili­e als auch dem Gast beratend zur Seite. Wir unterstütz­en bei behinderun­gsspezifis­chen Fragen und entwickeln gemeinsam Lösungen. Und wenn beide Seiten zur Einsicht kommen, dass die gemeinsame Zeit unter einem Dach aus welchen Gründen auch immer zu Ende geht, versuchen wir, das Beste daraus zu ziehen – insbesonde­re auch für die Klienten, die eine wertvolle Erfahrung für die Zukunft dazugewonn­en haben. (zg)

 ?? Symbolfoto: DRW/Georg Drexel ?? Menschen mit Behinderun­g können in Gastfamili­en einen guten Anschluss finden. In einem vertrauten Umfeld lernen sie, den Alltag möglichst eigenständ­ig zu meistern.
Symbolfoto: DRW/Georg Drexel Menschen mit Behinderun­g können in Gastfamili­en einen guten Anschluss finden. In einem vertrauten Umfeld lernen sie, den Alltag möglichst eigenständ­ig zu meistern.

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