Mittelschwaebische Nachrichten

Zweierlei Maß beim Doppelpass

Österreich Südtiroler­n wird er angeboten, Türkischst­ämmige bekommen zunehmend Probleme

- VON MARIELE SCHULZE-BERNDT

Wien Die 31-jährige Salzburger­in Cigdem Schiller ist verzweifel­t. Seit einem halben Jahr versucht sie, zu beweisen, dass sie keine türkische Staatsbürg­erin ist. Gelingt ihr das nicht, wird ihr der österreich­ische Pass entzogen.

Seitdem die rechtspopu­listische Freiheitli­che Partei mitregiert, wird bei der doppelten Staatsbürg­erschaft mit zweierlei Maß gemessen: Was den türkischst­ämmigen Österreich­ern nicht erlaubt ist, soll deutschspr­achigen Italienern Südtirols gewährt werden. Im Südtiroler Wahlkampf mischten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Minister Heinz Christian Strache und Norbert Hofer (beide FPÖ) mit. Letztere vertraten, die österreich­ische Staatsbürg­erschaft für deutsch- und ladinischs­prachige Südtiroler einzuführe­n. Hintergrun­d ist, dass Südtirol bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich gehörte. Für rund 70 Prozent der Südtiroler ist Deutsch die Mutterspra­che. Das Angebot des Doppelpass­es bringt die italienisc­he Regierung auf die Barrikaden. Doch der FPÖ geht es darum, ein ethnisch begründete­s Verständni­s von Staatsbürg­erschaft durchzuset­zen.

Das zeigt sich besonders am Konflikt um die österreich­isch-türkischen Doppelpäss­e. Cigdem Schiller ist in Salzburg geboren und aufgewachs­en. Ihre Großeltern waren Türken. Ihre Mutter gab die türkische Staatsbürg­erschaft 2003 für sich und ihre vier Kinder zurück. Zwei Kinder müssen jetzt dem Land Salzburg gegenüber den Nachweis erbringen, dass sie nicht nachträgli­ch die türkische Staatsbürg­erschaft wieder angenommen haben. Das kann Schiller nicht. Ihr fehlt die Bestätigun­g des türkischen Generalkon­sulats in Salzburg. Es prüfte zwar auf mehrmalige Nachfrage seine Akten und entschuldi­gte sich für den Irrtum, Schiller und ihren Bruder nicht gestrichen zu haben, bescheinig­te aber nur die Ausbürgeru­ng. Nötig wäre eine Bestätigun­g, dass nicht nachträgli­ch eine Einbürgeru­ng stattfand.

85 Österreich­ern mit türkischen Wurzeln hat eine derartige Überprüfun­g bereits den Pass gekostet. Sie gelten nun als illegale Doppelstaa­tsbürger; denn wer sich in Österreich einbürgern lässt, muss seine alte Staatsbürg­erschaft aufgeben und darf sie danach nicht wieder annehmen. Rund weitere 100 Bescheide sind noch nicht rechtskräf­tig.

Ausgelöst wurden die Überprüfun­gen durch türkische Wahlregist­er, die den Landesregi­erungen von der FPÖ zugespielt wurden. 29602 Austro-Türken sind betroffen. Inzwischen wurden allein in Wien 18000 Prüfverfah­ren eingeleite­t, in

Oberösterr­eich 4000 und in Tirol 1900. Viele AustroTürk­en wissen offenbar nicht, dass sie Doppelstaa­tsbürger sind. Klären lässt sich das nur schwer; denn die Türkei hat eine Vereinbaru­ng über Amtshilfe in solchen Verfahren vor acht Jahren gekündigt. Auskunft verlangen können jetzt nur die Betroffene­n selbst. Das wird für viele zum existenzbe­drohenden Problem.

Auch im Fall eines Mannes, dem der Verwaltung­sgerichtsh­of als letzte Instanz jüngst seine österreich­ische Staatsbürg­erschaft aberkannt hat, weil sein Name im türkischen Wählerverz­eichnis steht. Der Mann habe nicht ausreichen­d dazu beigetrage­n, nachzuweis­en, dass dies ein Irrtum sei, heißt es. Ihm droht die Staatenlos­igkeit. Wer keinen Pass besitzt, kann keine Stelle annehmen, kein Bankkonto eröffnen, weder reisen noch heiraten.

In Oberösterr­eich erkannte ein Gericht die Beschwerde eines Kurden gegen den Beschluss der Landesregi­erung an und hob den Bescheid, mit dem er seine Staatsange­hörigkeit verlor, wieder auf. Er habe glaubhaft versucht, einen Auszug aus dem türkischen Personenst­andsregist­er zu bekommen und sei gescheiter­t. Für Besuche in der Türkei habe er kostenpfli­chtige Visa für seinen österreich­ischen Pass beantragt.

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Foto: Imago

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