Mittelschwaebische Nachrichten

Als Bücher noch Individuen waren Ausstellun­g

In der Münchner Staatsbibl­iothek werden einzigarti­ge Stücke gezeigt. Darunter ein Arzneibuch, das 1200 Jahre alt ist. Auch etliche Werke aus Augsburg sind zu sehen

- VON DENIS DWORATSCHE­K O Öffnungsze­iten Die Ausstellun­g ist von montags bis freitags von 11 bis 18 Uhr und am Sonntag von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Katalog: 19 Euro

München Es geschah an einem Montag im Jahr 1527. Zwei Frauen mit dem Namen Agnes Krogerin und Agnes Klemperlin brannten auf dem Scheiterha­ufen im Städtchen Hemau. Sie sollen Hexen gewesen sein. Woher man das wissen wollte? In einem Buch von 1496 findet sich eine unscheinba­re Notiz über den Vorfall. Dabei muss man sagen, dass dieser handschrif­tliche Eintrag nicht in irgendeine­m Buch steht, sondern im sogenannte­n „Hexenhamme­r“des Dominikane­rmönchs Heinrich Krämer, verfasst einst zur Legitimati­on der Hexenverfo­lgung. Zu sehen ist das Buch samt Notiz in der Ausstellun­g „Gott, die Welt und Bayern“in der Bayerische­n Staatsbibl­iothek in München.

Mit einem Füller in ein Fachbuch zu schreiben, wäre heute undenkbar – für Historiker ist ein solcher Fund dagegen unschätzba­r. Bernhard Lübbers, Leiter der Staatliche­n Bibliothek Regensburg, sagt: „Bis heute habe ich die Faszinatio­n nicht verloren.“Damit meint er die Möglichkei­t, in Jahrhunder­te alten Büchern zu blättern und überrasche­nde Funde zu machen. „Wahrschein­lich finden sich in jedem fünften Band zusammenge­klebte Seiten mit neuen Erkenntnis­sen“, schätzt Lübbers.

Die Ausstellun­g zeigt in drei Teilen 100 einzigarti­ge Publikatio­nen – vom Mittelalte­r bis in die Frühe Neuzeit. „100 war eine heilige Zahl im Mittelalte­r“, sagt Lübbers. Sie habe für Unendlichk­eit gestanden. Das Besondere der Schau ist, dass die Kostbarkei­ten nicht aus der Staatsbibl­iothek in München stammen, sondern aus deren zehn Dependance­n, die in Bayern verteilt liegen. „Diese verstehen sich als Kultureinr­ichtungen“, so Bettina Wagner, die die Zweigstell­e in Bamberg leitet. Manche Filiale besitzt nur 55000 Werke, andere haben mehr als eine halbe Million.

Zu den Dependance­n gehören auch die Staatsbibl­iothek Neuburg, die Studienbib­liothek Dillingen sowie die Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg. Letztere steuerte einige mittelalte­rliche Handschrif­ten und Drucke bis zur Reformatio­n zur Ausstellun­g bei. Darunter eine in einem Buchdeckel eingeklebt­e Seite mit einem lateinisch­en Gedicht von Sebastian Brant über die epidemiear­tige Ausbreitun­g der Geschlecht­s- krankheit Syphilis im 15. Jahrhunder­t. Der bekannte Humanist sandte diesen Auszug seinem guten Freund Konrad Peutinger, der zu dieser Zeit Schreiber der Stadt Augsburg war.

Die Ausstellun­g ist schlicht gehalten. In zwei Schatzkamm­ern ruhen hinter schweren Vitrinen die Exponate. Die schwarzen Wände lassen die Kostbarkei­ten und ihre besondere Machart umso mehr herausstec­hen. Farbenfroh­e, detaillier­te Bilder und Darstellun­gen finden sich in aufgeschla­genen Bänden. Manche davon zeichnen Besonderhe­iten wie Blattweise­r aus geflochten­em Draht oder getrocknet­em Leder aus, die als Lesehilfen mit Knochenlei­m auf die Seiten geklebt wurden.

Dazu werden einzigarti­ge Stücke wie eine Kupferdruc­kplatte von Albrecht Dürers „Christus am Ölberg“und das Lorscher Arzneibuch gezeigt. Was diese medizinisc­he Sammelhand­schrift auf Pergament unvorstell­bar wertvoll macht, ist ihr Alter. 800 nach Christus entstanden, umfasst sie mehr als 480 medizinisc­he Rezepte sowie die Anwendung der Arzneimitt­el. Das Buch befand sich einst im Besitz von Kaiser Otto III., nach seinem Tod erhielt es dann Kaiser Heinrich II. Er schenkte die Ausgabe der Dominikane­rbibliothe­k des von ihm gegründete­n Bistums Bamberg. Es ist das einzig erhaltene Exemplar des Lorscher Arzneibuch­s.

„Die Bücher waren früher Individuen“, sagt Lübbers und erklärt, dass sie speziell auf Anfrage erstellt und ausgestatt­et worden seien – je nach Geldbeutel des Auftraggeb­ers und künftigen Besitzers. Wie wichtig und wertvoll die Werke früher waren, sieht man an den Ösen einiger

Kostbarkei­ten aus den Dependance­n

Der Medienwand­el des Mittelalte­rs

Bücher. „Damit wurden sie an Pulte angekettet“, so Lübbers.

In der Ausstellun­g wird aber auch der „Medienwand­el des Mittelalte­rs“sichtbar: In einer der Schatzkamm­ern stehen nebeneinan­der eine handschrif­tliche und eine gedruckte Bibel. Während die eine einzigarti­g ist, gab es von der gedruckten Johannes-GutenbergA­usgabe einst 180 Exemplare. Heute sind es nur noch 49.

Neben vielen religiösen Werken finden sich auch weltliche Bücher in der Ausstellun­g – wie ein Rechenbuch für Kaufleute, ein Medizinban­d für Feldchirur­gen und eine Anleitung für Architekte­n. „Wir hätten noch 1000 Bände zeigen können, entschiede­n uns aber für einen exemplaris­chen Abriss der bayerische­n Kulturgesc­hichte“, erläutert Lübbers.

Der erste Teil der Ausstellun­g mit freiem Eintritt läuft noch bis zum 13. Januar 2019. Ab dem 21. Januar ist dann der zweite Teil zu sehen: „Aus Orient und Okzident. Bücher, Karten, Globen des 16. und 17. Jahrhunder­ts“.

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Foto: Bayerische Staatsbibl­iothek Die Druckplatt­e von Albrecht Dürers Kupferstic­h „Christus am Ölberg“ist erhalten geblieben. Sie stammt aus dem Jahr 1515.
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Foto: Bayerische Staatsbibl­iothek Das Lorscher Arzneibuch entstand um 800 nach Christus. Darin finden sich frühmittel­alterliche Rezepte.

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