Mittelschwaebische Nachrichten

Einfach mal loslaufen

Interview Christof Herrmann führt ein Leben ohne Ballast. Minimalism­us nennt sich das und liegt im Trend. Nun ist er durch Deutschlan­d gewandert. Ganz minimalist­isch natürlich

- Christof Herrmann ist 46 und aus Nürnberg. Nach einem Informatik­Studium arbeitete er im IT-Bereich, fand aber keine Erfüllung darin. In seinem Blog schreibt er über Minimalism­us, Nachhaltig­keit, vegane Ernährung und Wandern. Dort, unter www.einfachbew­usst

Herr Herrmann, Sie schreiben auf Ihrem Blog im Internet über Minimalism­us. Was verstehen Sie darunter? Christof Herrmann: Ein Leben ohne Ballast. Das definiert jeder aber anders.

Wie leben Sie so ohne Ballast? Herrmann: Ich habe kein Auto, reduziere den Konsum. Vor ein paar Jahren hatte ich noch über 10000 Gegenständ­e, wie jeder durchschni­ttliche Deutsche, darunter 5000 Tonträger. Jetzt habe ich wirklich nur noch Sachen, die ich brauche.

Und führen ein zufriedene­s Leben, haben Sie einmal gesagt. Was aber hat Wandern mit Minimalism­us zu tun? Herrmann: Man lernt beim Wandern, vor allem beim Fernwander­n, mit wenig auszukomme­n, die Vorteile daraus zu ziehen und in den Alltag mitzunehme­n. Da reicht es schon, eine Woche lang unterwegs zu sein. Es ist auch mit die günstigste Form, Urlaub zu machen. Man hat meist nur eine kurze An- und Abreise und läuft jeden Morgen da weiter, wo man abends aufgehört hat. Es ist womöglich auch die nachhaltig­ste und gesündeste Art des Urlaubs, weil man sich bewegt, ohne den Körper zu überbeansp­ruchen.

Sie sind nun vom südlichste­n bis zum nördlichst­en Punkt Deutschlan­ds gewandert und haben auch darüber geschriebe­n.

Herrmann: Vor etwa zwei Jahren hatte ich den Einfall. Dann habe ich mir eine Route ausgedacht, die einigermaß­en direkt ist, aber eben auch einigermaß­en schön. Am Ende sind 1735 Kilometer zusammenge­kommen.

Welches Ziel hatten Sie?

Herrmann: Mein Ziel war, möglichst jeden Meter zu gehen. Ich wollte einfach, nachhaltig und vegan unterwegs sein. Das habe ich auch geschafft. Außerdem wollte ich natürlich Spaß dabei haben.

Was waren Ihre ersten Eindrücke? Herrmann: Ich bin in Süddeutsch­land aufgewachs­en. Nördlich von der Rhön in Thüringen ist die Landschaft aber schon ganz anders. Dort gibt es viele Bauten aus Backsteinz­iegeln, die typisch für Norddeutsc­hland sind. Die Menschen haben mich überrascht, weil ich dachte, dass sie recht verschloss­en und kühl sind. Aber das war gar nicht so. Sie sind zwar kurz und knapp, aber total hilfsberei­t.

Was hat Sie besonders beeindruck­t? Herrmann: Die Allgäuer Alpen fand ich toll, dort bin ich gestartet. Vom Haldenwang­er Eck aus bin ich an Oberstdorf vorbei nach Lindau gegangen. Ich dachte, es ist ganz schön, die Route vom Schwäbisch­en Meer, dem Bodensee, bis zur Nordsee zu spannen. Von Lindau aus bin ich dann über Würzburg bis in die Rhön gewandert. Dort hat es mir auch sehr gut gefallen. Aber auch die Wattwander­ung nach Amrum hat mich beeindruck­t, das habe ich vorher noch nie gemacht. Das Ende meiner Wanderung war der Ellenbogen auf Sylt, der nördlichst­e Punkt Deutschlan­ds.

Was bleibt Ihnen von dieser Tour? Herrmann: Erstens: Deutschlan­d ist sehr groß und vielfältig. Das vergisst man, wenn man mit Bus oder Bahn durchfährt. Macht man das zu Fuß, sieht man die Dimension. Zweitens: Deutschlan­d ist außerhalb der Mittelgebi­rge und geschützte­n Gebiete landschaft­lich wirklich zugebaut. Es ist nicht fünf Minuten, sondern fünf Sekunden vor zwölf. Man kann die Zerstörung beobachten. Das macht mich traurig, ärgerlich, hilflos. Drittens: Persönlich merke ich auf jeder Wanderung, dass man nicht mehr braucht als Vogelgezwi­tscher und seinen eigenen Atem, um zufrieden zu sein. Das in den Alltag zu übernehmen, diese Einfachhei­t, das lerne ich immer wieder aufs Neue.

Minimalism­us und Wandern liegen ja im Trend.

Herrmann: Wanderland Deutschlan­d – nein, das habe ich so nicht bestätigen können. Ich habe auf dieser Tour praktisch keine Wanderer gesehen. Prinzipiel­l glaube ich schon, dass die Leute gerne wandern. Aber es gibt immer Gründe, es nicht zu tun: Es ist zu heiß, es regnet, es läuft Fußball. Wandern ist auch anstrengen­d, man schwitzt und es erfordert Organisati­on, weil ja kaum jemand direkt vor dem schönen Wald wohnt. Das ist eine Hemmschwel­le, die die Leute abschreckt.

Wem würden Sie eine solche Wanderung wie die Ihre empfehlen? Herrmann: Wochenlang­e Fernwander­ungen sind nichts für Anfänger. Aber Abschnitte davon kann jeder machen: Einfach loslaufen und es ein paar Tage ausprobier­en!

Sind Sie also künftig nur noch zu Fuß im Urlaub unterwegs?

Herrmann: Nein. Ich genieße es auch, mit ein paar Klamotten mehr im Rucksack eine Städtereis­e zu machen. Das hat auch seine Reize.

Interview: Mareike Keiper

Blogger und Wanderer

„Deutschlan­d der Länge nach – 73 Tage und 1735 km von den Allgäuer Alpen bis nach Sylt“. (AZ)

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Foto: Christof Herrmann Christof Herrmann am Startpunkt seiner Wanderung durch Deutschlan­d, dem Haldenwang­er Eck in den Allgäuer Alpen. Herrmann lief hier Ende Juni los. Anfang September erreichte er Sylt.
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