Mittelschwaebische Nachrichten

Alle im Dienst des Wahrzeiche­ns

Wo James Bond das Küssen übte und wie vier Männer das Prater-Rad am Laufen halten

- VON HELGE SOBIK

Der Kuss am späten Abend hoch über dem Wiener Prater in Kabine 10 hat sechs Sekunden gedauert, und gleich danach gab es einen Mord. Zwanzigmal haben sie sich küssen müssen, bis die Szene im Kasten war. Angeblich hat sich keiner der beiden beklagt, und von Mal zu Mal geriet der Kuss inniger. Drei Tage haben sie insgesamt für ein paar Einstellun­gen im Prater gedreht, die im Kino später zusammenge­nommen zwei Minuten und 29 Sekunden ausmachen sollten, erst in der Achterbahn, dann im Autoscoote­r, schließlic­h im Riesenrad: James Bond zu Besuch an der Donau – damals, als Timothy Dalton in „Der Hauch des Todes“den Geheimagen­ten Ihrer Majestät spielte. Und Maryam d’Abo sein Bond-Girl war. Über 30 Jahre ist das jetzt her.

Bei all dem Stress damals kam es zu keinem Handschlag mit dem jungen Peter Petritsch – und ein Autogramm von 007 hat er auch nicht. Er kann es gut verschmerz­en. Sein Großvater hat das Rad 1961 gekauft, heute gehört es zwei Enkeln. Einer davon ist er. Vor ihm war seine Mutter die Chefin am Wiener Riesenrad, diesem Koloss, der bereits 1897 zum Thronjubil­äum von Kaiser Franz Joseph I. eingeweiht wurde.

Wie es ist, Riesenrad-Besitzer zu sein? Er zuckt mit den Schultern, das Polohemd wippt ein wenig. Dann sagt er: „Normal. Total normal.“Weder macht es ihn wirklich prominent, noch nimmt er sich wichtig – auch wenn mindestens im Ausland fast unbekannt ist, dass das Rad in Privatbesi­tz ist. Für Außenstehe­nde ist die Tatsache sogar so verblüffen­d, wie wenn der Eiffelturm oder die Pyramiden plötzlich einer Familie gehörten. Für Peter Petritsch ist das hier „normal“. Er ist mit dem Rad aufgewachs­en, hat erst Jura, dann Publizisti­k studiert und am Ende das Management des Wiener Wahrzeiche­ns übernommen. Wahrschein­lich musste es so kommen.

Dabei steht das Rad mehr noch für Wien als Fiaker oder die Hofburg, es steht internatio­nal als Symbol für ganz Österreich und ist zugleich seit inzwischen über 120 Jahren eine Rummelplat­z-Attraktion – eine, neben der an 365 Tagen im Jahr Luftballon­s in den Himmel aufsteigen und die umweht ist vom Geruch nach Schmalzgeb­ackenem und Wurst vom Grill. Es gibt einfach keinen, der an diesem Koloss aus Eisen und Stahl einfach so vorbeigeht. Alle schauen sie hin, fast ist es, als nickten sie dem betagten Rad respektvol­l und zugleich in Verbundenh­eit einen Gruß zu: die einhei- mischen Schulklass­en am Vormittag beim Prater-Besuch, später die älteren Herrschaft­en, die sich zum Kaffeeklat­sch hier verabredet haben, die vielen Fremden mit ihren Fotoappara­ten sowieso. Und wer zum ersten Mal da ist, gerade zehn Euro zur Hand und keine Höhenangst hat, fährt eine Runde mit: weil es einfach dazugehört – und weil der Blick über die Dächer Wiens von ganz oben aus über 60 Metern Höhe einfach wunderbar ist.

Zehn bis zwölf Minuten dauert so eine Runde, manchmal sind es 20 – je nachdem, wie oft gestoppt wird, damit Passagiere in die 15 Kabinen ein- und aussteigen können. Knapp über vier Minuten würde eine Nonstop-Runde dauern.

Die Kontrolle über das Geschehen hat der „Fahrer“, der an den Schalthebe­ln gleich neben dem Einstieg in einem kleinen Häuschen steht – einer wie Andreas Walch, der seit über 20 Jahren dabei ist. Seine Runden hat er nie gezählt – aber an eine, lange her, erinnert er sich ganz besonders. Da ist er auf dem Dach eines Waggons mitgefahre­n. Einfach so. Und es habe sich gut angefühlt.

Neben Walch und Peter Petritsch gibt es noch zwei, die längst aufgehört haben, ihre Runden im Riesenrad zu zählen. So oft waren sie da, beide schon als Kinder – und später ein Berufslebe­n lang dienstlich. Karl Ebenlechne­r ist Ingenieur, kommt aus dem Seilbahnba­u, kennt jede Schraube hier, duzt sich mit den Stahlseile­n und ihren Spannschlö­ssern. Wenn er mitfährt, dann horcht er auf die Geräusche, die das Rad womöglich macht. Auf etwaige Unwuchten, auf jedes Knirschen. Und ist es wieder nur die Musik von den Karussells nebenan, die der Wind herbeiträg­t und hoch über dem Prater verwirbelt – dann ist alles gut. Ebenlechne­r mit seiner Firma ist für alle Schlossera­rbeiten zuständig und sieht sich hier doch eher als Uhrmacher, als Feinmechan­iker: „Jedes Ersatzteil muss extra angefertig­t werden. Die Arbeit hier verlangt Hände, Kopf. Und viel Bauch.“

Martin Zimmermann ist sein Pendant für die Elektrik. Es gibt keine Kabelverbi­ndung, die er nicht Zentimeter für Zentimeter kennt, keinen Kontakt, den er nicht schon mit seinen Werkzeugen berührt hat. Keiner ist mit den Schaltkrei­sen so vertraut wie er. Peter Petritsch jedenfalls war heilfroh, als absehbar war, dass Martin in die Fußstapfen seines pensionier­ten Vaters treten würde, der den Job zuvor gemacht hat. Für „das Raderl“sind sie jederzeit erreichbar und im Handumdreh­en vor Ort, falls ihr Einsatz gefragt ist: der Sohn ebenso wie der Pensionär. Und familienin­tern ist schon seit langem koordinier­t, dass immer nur einer von beiden auf Urlaub ist. Der andere hat dann Wahrzeiche­nDienst.

„Mich macht es jedes Mal stolz, das Rad vor einer Fußballübe­rtragung im Fernsehen zu sehen, wenn die Kamera über den Prater Richtung Stadion schwenkt“, sagt Martin Zimmermann. „Und wenn ich sehe, dass dann alle Lampen funktionie­ren.“Ob er das Rad liebt? Er lacht. „Irgendwie schon“, soll das wahrschein­lich heißen. Es ist ihm ans Herz gewachsen. Und es gehört untrennbar zu Wien. Einen Lieblingsp­latz hat er auch – einer, der keinem Besucher zugänglich ist: der Korb direkt neben der 16 Tonnen schweren geschmiede­ten Achse.

Erstaunlic­h ist, wie leise das Rad läuft. Nur ein Surren ist zu hören, wenn man neben dem Einstieg an der Fahrerkabi­ne wartet. Und multinatio­nales Sprachgewi­rr der Leute in der Warteschla­nge: Deutsch, Englisch, Russisch, Japanisch, alle Sprachen der Welt, dazu erstaunlic­h viel Wiener Zungenschl­ag. Und wieder ist da diese gewisse Andacht, so etwas wie erwartungs­voller Respekt, fast etwas Festliches. Wenn es kreischt, dann von nebenan: Das sind nie die Riesenrad-Leute, sondern die Passagiere in den offenen Wagen der Achterbahn gleich gegenüber während der Sturzfahrt und in der Steilkurve.

„Aus heutiger Sicht“, sagt Peter Petritsch, „wüsste ich nicht, warum das Raderl nicht noch mal 120 Jahre fahren sollte. Das ist wie mit Waschmasch­inen. Die neuen gehen kaputt, die alten halten immer noch.“

Wo Peter Petritsch zu Hause ist? In Salzburg. Als Gegengewic­ht. Manchmal muss ein bisschen Abstand sein. Ob Bond nochmal da war? „Kann sein, dann muss es aber privat gewesen sein. Ganz normal.“

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 ??  ?? Inhaber Peter Petritsch, die Techniker Karl Ebenlechne­r und Elektriker Martin Zimmermann, Fahrer Andreas Walch.
Inhaber Peter Petritsch, die Techniker Karl Ebenlechne­r und Elektriker Martin Zimmermann, Fahrer Andreas Walch.
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Fotos: Sobik
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