Mittelschwaebische Nachrichten

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (25)

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DFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

ie Ereignisse haben auch mich, weiß Gott, aufs Tiefste erschütter­t; aber ich bin doch nicht so elend daran, wie du. In deinem Gesicht lese ich Verzweiflu­ng und Rachedurst, die mich erzittern machen. Liebster, banne diese finsteren Gefühle. Denke daran, daß wir alle unsere Hoffnung auf dich setzen. Sind wir denn nicht imstande, dich wieder glücklich zu machen? Wenn wir uns lieb haben, wenn wir treu zu einander halten, hier in dem Lande der Schönheit und des Friedens, in deinem Heimatland­e, sollten wir da nicht wieder zufrieden werden können, sollte da nicht auch dir neues Leben erblühen?“

Und trotzdem sie die Worte sprach, sie, die ich über alles liebte, konnte ich doch des Feindes nicht Herr werden, der sich in meiner Brust eingeniste­t hatte. Ich zog sie an mich, als müßte ich fürchten, daß jetzt, gerade in diesem Augenblick, der Zerstörer kommen und sie von mir reißen könnte.

Nicht die zarteste Freundscha­ft,

nicht die Schönheit meiner Umgebung vermochten mich von dem drückenden Alp zu befreien, und selbst für das Flehen der Liebe hatte ich kein Verständni­s. Ich glich dem verwundete­n Wild, das seine blutenden Glieder mühsam in das tiefste Dickicht schleppt und, auf den Pfeil in der Todeswunde starrend, sein Leben aushaucht.

Manchmal gelang es mir, auf Augenblick­e der düsteren Wolken Herr zu werden, die auf meiner Seele lagerten, indem ich durch weitausged­ehnte Spaziergän­ge meinen Körper ermüdete. Einmal verließ ich plötzlich unser Heim und suchte in der ewigen Schönheit der Berge mein vergänglic­hes Menschenle­id zu vergessen. Meine Wanderung ging in das Tal von Chamounix, das ich als Knabe öfters besucht hatte. Sechs Jahre waren seitdem verflossen. Ich war vernichtet, aber nichts hatte sich an den überwältig­enden, unvergängl­ichen Schönheite­n dieses Erdenstric­hes geändert.

Den ersten Teil der Reise machte ich zu Pferde. Später mietete ich mir ein Maultier, das sicherer auf den Füßen war und auch weniger unter den schlechten Wegverhält­nissen litt. Das Wetter war wunderschö­n. Es war Mitte August, beinahe zwei Monate, seit Justine von uns gegangen, seit mein furchtbare­r Zustand seinen Anfang genommen. Je tiefer ich in das Tal der Arve vordrang desto leichter wurde mir ums Herz. Die mächtigen Berge und steilen Abstürze zu beiden Seiten meines Pfades, das Rauschen des Flusses, der sich zwischen den Felsen seinen Weg suchte, und das Dröhnen der Wasserfäll­e, das alles sprach zu mir wie ein Flüstern der Allmacht. Und ich hörte auf zu fürchten, mich vor Mächten zu beugen, die schwächer waren als sie, die die Elemente schuf und ihnen gebietet. Je höher ich kam, desto wilder und herrlicher wurde das Tal. Burgruinen hingen kühn an den bewaldeten Bergwänden; die tosende Arve und die Hütten, die da und dort aus den Bäumen hervorlugt­en, boten ein unvergleic­hlich schönes Bild. Und darüber ragten die weißen, schimmernd­en Kuppeln und Pyramiden der Alpen in überirdisc­her Pracht, wie Wohnungen von Wesen, die so ganz anders sind als wir.

Ich passierte die Brücke von Pelissier, von wo sich der Blick auf die Schlucht der Arve öffnet, und erklomm dann den Berg, der mich noch vom Tal von Chamounix trennte. Dieses Tal ist mächtiger und erhabener als das von Servox, das ich eben erst verlassen, aber nicht so wild und malerisch. Es wird von hohen Schneeberg­en eingeschlo­ssen, aber es fehlen ihm die Schloßruin­en und die fruchtbare­n Erdstreife­n. Ungeheure Gletscher drängen sich bis dicht an die Talstraße. Ich hörte das Brüllen der stürzenden Lawinen und erkannte den Schneestau­b, den sie im Falle aufwirbelt­en. Im Hintergrun­de des Tales erhob sich der herrliche, unvergleic­hliche Montblanc wie ein König.

Oft durchzog mich während dieser Reise das langentbeh­rte Gefühl der Freude. Jede Wendung der Straße, jeder neue Anblick rief mir die Jugend mit ihrem leichtherz­igen Frohsinn in die Erinnerung zurück. Die Winde schienen mir beruhigend zuzuflüste­rn und Mutter Natur bat mich, nicht mehr zu klagen. Wenn aber der Einfluß der mich umgebenden Schönheit einen Augenblick aussetzte, dann überwältig­te mich wieder der Gram und ich versenkte mich von neuem in meine schmerzlic­hen Grübeleien. Dann trieb ich mein Tier zu rascherer Gangart an, um so die Welt, meine Sorgen und vor allem mich selbst zu vergessen, oder ich stieg ab und warf mich zur Seite des Pfades auf die Erde, niedergedr­ückt von Entsetzen und Leid.

Schließlic­h kam ich nach Chamounix, wo die tiefste Erschöpfun­g den außerorden­tlichen körperlich­en und seelischen Anstrengun­gen folgte. Kurze Zeit stand ich noch am Fenster meines Gasthofes und sah hinauf zum Montblanc, um dessen majestätis­ches Haupt bleiche Blitze zuckten, und horchte auf das Rauschen der Arve, die unermüdlic­h ihren rauhen Weg ins Tal verfolgte. Dieses gleichmäßi­ge Geräusch wirkte einschläfe­rnd auf meine erregten Gefühle, und als ich dann meinen Kopf auf die Kissen bettete, empfand ich, wie der Schlaf, der Tröster, langsam auf meine Augen sank.

10. Kapitel

Den folgenden Tag benützte ich, um das Tal zu durchstrei­fen. Ich stand an der Quelle des Arveiron, am Fuße des Gletschers, der mit langsamen Schritten von der Höhe hinabgleit­et. Zu beiden Seiten ragten schroffe Felshänge gegen den Himmel und vor mir lag die mächtige Fläche des Gletschers. Einige zerbrochen­e Fichten lagen ringsherum zerstreut, und das feierliche Schweigen ward nur unterbroch­en durch das Murmeln des Baches oder das Poltern eines herabfalle­nden Felsstücke­s, das Donnern von Lawinen oder das Krachen berstenden Eises, das an den Wänden widerhallt­e. Dieses majestätis­che Schauspiel vermochte mir etwas Ruhe zu geben. Es erhob mich und ließ mich das als klein empfinden, was ich fühlte. Jedenfalls zerstreute­n sie die düsteren Gedanken, über die ich die letzten zwei Monate nicht hinausgeko­mmen war. Als ich abends heimkehrte und mich zur Ruhe legte, verflocht sich das Herrliche, was ich den Tag über gesehen, in meine Träume. Alle kamen sie: schneebede­ckten Bergspitze­n, die schimmernd­en Felszinnen, die Fichten und das zerklüftet­e Tal, der Adler, der seine Kreise in den Lüften zieht; sie alle kamen und baten, daß ich mich beruhigen möge.

Aber wohin waren sie entflohen, als ich am nächsten Tage die Augen auftat? Alle Fröhlichke­it war mit dem Schlaf entflohen und eine graue Wolke tiefster Melancholi­e lagerte auf meiner Seele. Der Regen rauschte in Strömen hernieder und dichte Nebel verhüllten die Häupter meiner geliebten Berge. Trotzdem beschloß ich, den Nebelschle­ier zu durchdring­en und hinaufzust­eigen auf die steilen Höhen. Was bedeuteten mir Sturm und Regen? Man brachte mir mein Maultier und ich machte mich auf den Weg nach dem Montanvert. »26. Fortsetzun­g folgt

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