Mittelschwaebische Nachrichten

Fujitsu: Fairness für Mitarbeite­r

Der türkische Präsident Erdogan weiht den Riesen-Flughafen am Bosporus ein – ein umstritten­es Prestige-Projekt. Es wurde in vier Jahren aus dem Boden gestampft. Dabei sind mindestens 30 Bauarbeite­r gestorben

- VON SUSANNE GÜSTEN

Augsburg Die Standortch­efin des Augsburger Fujitsu-Werks, Vera Schneevoig­t, zeigt sich betroffen über das Aus für den Standort. „Der Freitag war ein schwarzer Tag für uns“, sagte sie im Interview mit unserer Zeitung. Der japanische ITKonzern will den Standort bis Herbst 2020 schließen. Etwa 1850 Stellen sind betroffen. Schneevoig­t kündigt an, nun mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn über die Perspektiv­en für die Mitarbeite­r zu verhandeln. „Fujitsu als japanisch-deutscher Arbeitgebe­r ist sich seiner sozialen Verantwort­ung vollkommen bewusst.“Die Stadt Augsburg will sich bemühen, Mitarbeite­r in der Stadt zu halten. Das ist ein Ergebnis eines Runden Tisches im Rathaus. Das Interview mit Vera Schneevoig­t lesen Sie auf der Wirtschaft. (AZ)

Istanbul „Dieses Riesenproj­ekt sucht weltweit seinesglei­chen“, sagte der türkische Präsident am Montag in der gigantisch­en Abfertigun­gshalle des neuen Großflugha­fens von Istanbul. Ein Vorbild für die ganze Welt sei das Bauwerk, betonte Erdogan bei der Einweihung des Mega-Airports am Schwarzen Meer, der eines Tages der größte der Welt werden soll. Ganz einfach Istanbul solle der neue Flughafen nördlich der Metropole heißen, verkündete Erdogan und beendete damit Spekulatio­nen, er werde den Airport nach sich selbst benennen.

Schon in der ersten Phase sollen bis zu 90 Millionen Passagiere pro Jahr in dem neuen Flughafen abgefertig­t werden. Damit würde Istanbul als größtes Drehkreuz in Europa den Londoner Heathrow-Flughafen ablösen. Im Endausbau in zehn Jahren sollen es dann 200 Millionen Passagiere sein. Erdogan will den Airport als Symbol der neuen Türkei verstanden wissen. Auch wenn der Bau noch nicht fertig ist und die Aufnahme des vollen Flugbetrie­bes deshalb auf Neujahr verschoben werden musste, ist die Regierung stolz darauf, dass sie den Großflugha­fen in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft hat. Viel schneller, als das anderswo geht, etwa im oft verspottet­en Berlin.

Doch der Preis für dieses Tempo ist hoch. Nicht alle, die am Flughafen mitgebaut hatten, konnten an der Einweihung teilnehmen. Mehrere Dutzend Arbeiterve­rtreter saßen am Tag der feierliche­n Eröffnung in Haft, darunter der Gewerkscha­fter Özgür Karabulut. Als einer von 35000 Arbeitern schuftete der Vorsitzend­e der Baugewerks­chaft Dev Yapi-Is auf der Großbauste­lle außerhalb von Istanbul unter miserablen Bedingunge­n – und als die Beschäftig­ten kürzlich aufbegehrt­en, ließ Ankara viele verhaften.

Karabulut hatte sich für die Rechte der Arbeiter auf der Großbauste­lle eingesetzt, auf der er auch selbst schuftete. „Mit unserem Protest wollen wir das Land darauf aufmerksam machen, dass wir hier leben und arbeiten wie im Mittelalte­r“, sagte Karabulut während eines Arbeiterau­fstandes im September. Die Forderunge­n der Arbeiter waren keineswegs aufrühreri­sch: Sie wollten ihre ausstehend­en Löhne ausgezahlt haben und sie wollten die Bettwanzen aus ihren Unterkünft­en entfernt haben. Dennoch tauchte die Polizei auf und nahm hunderte Arbeiter als Rädelsführ­er fest, vor allem die Gewerkscha­ftsmitglie­der.

In der regierungs­nahen Presse wurden die Gewerkscha­fter als Provokateu­re gebrandmar­kt, die im Auftrag feindliche­r Mächte das Prestigepr­ojekt von Staatspräs­ident Erdogan unterwande­rn wollten. Özgür Karabulut schüttelte den Kopf über die Behauptung der Regierung, die ganze Welt beneide die Türkei um dieses Projekt. „Worum soll uns die Welt beneiden? Um die vielen Unglücke auf der Baustelle?“

Erdogan konnte den Flughafen am Montag nur symbolisch eröffnen. Der ursprüngli­che Plan, den Istanbuler Flugverkeh­r zum Nationalfe­iertag am 29. Oktober quasi über Nacht auf den neuen Airport umzustelle­n, musste aufgegeben werden, weil der Airport nicht rechtzeiti­g fertig wurde. Der eigentlich­e Umzug des Flugverkeh­rs vom bisherigen Atatürk-Flughafen zum neuen Airport musste auf den 31. Dezember verschoben worden. Bis dahin starten nur zwei Auslandsun­d drei Inlandsflü­ge vom neuen Airport. Für Reisende aus Deutschlan­d, für die Fluggesell­schaften und für die bisherigen Konkurrenz­Flughäfen in Europa und am Golf ändert sich zuerst einmal nichts. Einige Experten rechnen überdies mit einer abermalige­n Verschiebu­ng bis März.

Bis der Vollbetrie­b am neuen Flughafen startet, gehen die Bauarbeite­n mit Volldampf weiter. Kritiker des Projekts befürchten, dass auch die Ausbeutung der Arbeiter fortgesetz­t wird. Mindestens 27 Arbeiter sind auf der Flughafenb­austelle schon ums Leben gekommen das räumte die Regierung kürzlich ein, die Opposition spricht von mindestens 38 Toten.

Kritische Fragen dazu hat Ankara nicht gerne. Dem inhaftiert­en Gewerkscha­fter Özgür Karabulut wirft die Staatsanwa­ltschaft Eingriffe in das Recht auf Arbeit vor. Karabuluts Ehefrau Ayla hat ihren Mann bisher nur einmal in der Haft besuchen können. Das Ehepaar hat eine fünfjährig­e Tochter und erwartet demnächst ein zweites Kind. Ayla Karabulut hat ihrer Tochter nicht sagen können, dass ihr Vater eingesperr­t ist: „Ich habe ihr gesagt, dass er auf einer Baustelle ganz weit weg arbeitet.“

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Noch ist der Flughafen in Istanbul nicht fertig. Nur fünf Flugzeuge am Tag verlassen den Airport. Doch im Dezember will Turkish Airlines komplett dort hinziehen. Dann sollen jährlich 90 Millionen Passagiere hier ankommen und abfliegen. Foto: Kilic, afp

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