Mittelschwaebische Nachrichten
Bayern und Krumbach
„Nie habe ich unsere alte Erde mehr geliebt als in diesen letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nie mehr auf Europas Einigung gehofft, nie mehr an seine Zukunft geglaubt als in dieser Zeit, da wir meinten, eine neue Morgenröte zu erblicken.“
Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, Erinnerungen eines Europäers, Stockholm, 1944.
Sie feiern drei Tage lang. 100 Jahre königlich-bayerisches 12. Infanterieregiment: Das ist ein Großereignis in jenen Junitagen des Jahres 1914. Die Festlichkeiten finden in Neu-Ulm statt, angereist sind aber auch zahlreiche ehemalige Regimentsangehörige aus Krumbach und Umgebung. Über die Hundertjahrfeier berichtet der Krumbacher Bote ausführlich. Das Regiment feiert – dann folgt der Krieg. Ein Weltkrieg, den man später den „Ersten“nennen wird.
Spätherbst 1918. Die Stadt Günzburg hatte zum Empfang eine Art Triumphbogen errichten lassen. Er wölbt sich an der Stelle des 1868 abgebrochenen Oberen Stadttores über der Straße. Schulbuben hatten tagelang Reisig gesammelt, um den Bogen zu verzieren. Doch in diesen grauen Spätherbsttagen erleben die Menschen keinen Triumphzug. In Günzburg werden die Männer des 12. Königlich-Bayerischen Infanterieregiments demobilisiert. Als sie in die Stadt kommen, freuen sie sich über den herzlichen Empfang. Aber wer in ihre ausgezehrten Gesichter blickt, ahnt etwas von dem, was hinter ihnen liegt. Jahrelang standen sie an der Westfront in Frankreich, sie haben das Grauen der Materialschlachten überlebt. Doch als im Herbst 1918 Deutschland die Alliierten um einen Waffenstillstand bitten muss, wissen sie, dass ihre Anstrengungen vergeblich waren. Die „KöniglichBayerischen“kehren in ein Bayern zurück, das nicht mehr Königreich ist. In München überschlagen sich die Ereignisse. In Bayern ist Revolution. Der Journalist Kurt Eisner ruft Bayern am 7. November zum „Freistaat“aus.
100 Jahre danach hat die Bayerische Staatskanzlei eine Internetseite auf den Weg gebracht. „Wir feiern Bayern“heißt sie. „Von Bürgern für Bürger und in´ganz Bayern“steht „ vorne“drauf. Und da ist ja auch kein Zweifel: Bayern geht es im europäischen und sogar weltweiten Vergleich richtig gut. Das gilt gleichermaßen für die heimische Region, den Kreis Günzburg. 7. November, 10.30 Uhr Staatsakt, 7. November, 14 Uhr Fest der Demokratie, ist da auf der Internetseite nachzulesen. Fest der Demokratie? Ja, Bayern ist in der Tat klasse. Aber da ist der Gedanke an Kurt Eisner, den Begründer des „Freistaats“vor 100 Jahren, in einer improvisierten Demonstration, kurz darauf ermordet. Und da ist auch der Gedanke an seinen im Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim ermordeten Krumbacher Freund Gustav Landauer. Das ist sozusagen die „Krumbacher Nebenlinie“des Freistaats. Über sie berichten wir heute auf unserer Doppelseite (S. 32/33) ausführlich. Der langhaarige, hochgewachsene und gleichermaßen hoch gebildete ShakespeareInterpret Landauer hatte 1918/19 bei nicht wenigen Krumbachern den Ruf eines „Bürgerschrecks“. Soldaten haben diesen hoch gebildeten, friedlichen Mann mit einem speziellen Krumbacher Bezug im Mai 1919 erschlagen. Doch der „Freistaat Bayern“– das ist heute auch „seine Stunde“. »