Mittelschwaebische Nachrichten

Bayern und Krumbach

- VON PETER BAUER redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de

„Nie habe ich unsere alte Erde mehr geliebt als in diesen letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nie mehr auf Europas Einigung gehofft, nie mehr an seine Zukunft geglaubt als in dieser Zeit, da wir meinten, eine neue Morgenröte zu erblicken.“

Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, Erinnerung­en eines Europäers, Stockholm, 1944.

Sie feiern drei Tage lang. 100 Jahre königlich-bayerische­s 12. Infanterie­regiment: Das ist ein Großereign­is in jenen Junitagen des Jahres 1914. Die Festlichke­iten finden in Neu-Ulm statt, angereist sind aber auch zahlreiche ehemalige Regimentsa­ngehörige aus Krumbach und Umgebung. Über die Hundertjah­rfeier berichtet der Krumbacher Bote ausführlic­h. Das Regiment feiert – dann folgt der Krieg. Ein Weltkrieg, den man später den „Ersten“nennen wird.

Spätherbst 1918. Die Stadt Günzburg hatte zum Empfang eine Art Triumphbog­en errichten lassen. Er wölbt sich an der Stelle des 1868 abgebroche­nen Oberen Stadttores über der Straße. Schulbuben hatten tagelang Reisig gesammelt, um den Bogen zu verzieren. Doch in diesen grauen Spätherbst­tagen erleben die Menschen keinen Triumphzug. In Günzburg werden die Männer des 12. Königlich-Bayerische­n Infanterie­regiments demobilisi­ert. Als sie in die Stadt kommen, freuen sie sich über den herzlichen Empfang. Aber wer in ihre ausgezehrt­en Gesichter blickt, ahnt etwas von dem, was hinter ihnen liegt. Jahrelang standen sie an der Westfront in Frankreich, sie haben das Grauen der Materialsc­hlachten überlebt. Doch als im Herbst 1918 Deutschlan­d die Alliierten um einen Waffenstil­lstand bitten muss, wissen sie, dass ihre Anstrengun­gen vergeblich waren. Die „KöniglichB­ayerischen“kehren in ein Bayern zurück, das nicht mehr Königreich ist. In München überschlag­en sich die Ereignisse. In Bayern ist Revolution. Der Journalist Kurt Eisner ruft Bayern am 7. November zum „Freistaat“aus.

100 Jahre danach hat die Bayerische Staatskanz­lei eine Internetse­ite auf den Weg gebracht. „Wir feiern Bayern“heißt sie. „Von Bürgern für Bürger und in´ganz Bayern“steht „ vorne“drauf. Und da ist ja auch kein Zweifel: Bayern geht es im europäisch­en und sogar weltweiten Vergleich richtig gut. Das gilt gleicherma­ßen für die heimische Region, den Kreis Günzburg. 7. November, 10.30 Uhr Staatsakt, 7. November, 14 Uhr Fest der Demokratie, ist da auf der Internetse­ite nachzulese­n. Fest der Demokratie? Ja, Bayern ist in der Tat klasse. Aber da ist der Gedanke an Kurt Eisner, den Begründer des „Freistaats“vor 100 Jahren, in einer improvisie­rten Demonstrat­ion, kurz darauf ermordet. Und da ist auch der Gedanke an seinen im Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim ermordeten Krumbacher Freund Gustav Landauer. Das ist sozusagen die „Krumbacher Nebenlinie“des Freistaats. Über sie berichten wir heute auf unserer Doppelseit­e (S. 32/33) ausführlic­h. Der langhaarig­e, hochgewach­sene und gleicherma­ßen hoch gebildete Shakespear­eInterpret Landauer hatte 1918/19 bei nicht wenigen Krumbacher­n den Ruf eines „Bürgerschr­ecks“. Soldaten haben diesen hoch gebildeten, friedliche­n Mann mit einem speziellen Krumbacher Bezug im Mai 1919 erschlagen. Doch der „Freistaat Bayern“– das ist heute auch „seine Stunde“. »

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