Mittelschwaebische Nachrichten
Warum der Freista „Krumbacher
Revolution 1918/19 Revolutionär und Min räsident Kurt Eisner holt Ende 1918 seinen Freund Gustav Landauer von Krumbach nach München. Danmen die Geschehnisse eine tragische Wendung
„Freiheit fern von aller Zwangsbeglückung.“
Landauer-Experte Siegbert Wolf
Krumbach/München Unter Schreien „Der Landauer! Der Landauer!“bringt ein Trupp bayerischer und württembergischer Soldaten Gustav Landauer, auf dem Gang vor dem Aufnahmezimmer schlägt ein Offizier dem Gefangenen ins Gesicht ... Im Hof begegnet der Gruppe Freiherr von Gagern, er schlägt auf Landauer ein. Landauer sinkt zusammen, er steht jedoch wieder auf und will zu reden anfangen, der Vizewachtmeister schießt auf Landauer, ein Schuss trifft ihn in den Kopf. Landauer wird am 2. Mai des Jahres 1919 im Zuchthaus Stadelheim ermordet.
Seine grausame Ermordung hat sein Weggefährte in den Tagen der Münchner Räterepublik, Ernst Toller, in einem Bericht, entstanden nach Augenzeugendarstellungen, festgehalten. Landauer ist während der turbulenten Ereignisse in München 1918/19, die zum Ende der Wittelsbacher-Dynastie und zur Ausrufung des Freistaats Bayern führen, einer der engsten Freunde des Revolutionärs und Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Und das ist auch eine „Krumbacher Geschichte“.
Der Dichter Ernst Toller erinnert sich vermutlich gut an eine denkwürdige Krumbacher Episode im Jahr 1917, als er den Bericht über Landauers Tod verfasst. „Heimlich fahre ich eines Sonntags zu Gustav Laudauer nach Krumbach. Ich frage mich, warum in dieser Zeit, in der die Menschen auf die Stunde der Wahrheit warten, dieser glühende Revolutionär schweigt“, schreibt Toller rückblickend in seinem Buch „Eine Jugend in Deutschland“. Gustav Landauer war 1917 mit seiner in Hürben aufgewachsenen Frau, der Literatin Hedwig Lachmann, von Berlin nach Krumbach gezogen. Hedwig Lachmanns Mutter Mina war gestorben, so konnte das Paar mit den beiden Töchtern die frei gewordene Wohnung im jüdischen Schulhaus in der Hürbener Synagogengasse beziehen.
Im vierten Kriegsjahr spürt Landauer die Möglichkeit einer Zeitenwende, er begeistert sich für die Idee der Revolution: „Jetzt weiß ich, der Zusammenbruch wird kommen, morgen oder in einem Jahr. Ich habe das Recht und den Atem, mich für diese Zeit zu bewahren, wenn die Stunde es fordert, werde ich da sein und arbeiten“(nachzulesen in dem 2017 erschienenen Buch von Volker Weidermann: Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen). Einige Tage wird Landauer Kultusminister in einer bayerischen Republik, die keinen Bestand haben wird. Landauer wollte in den Schulen die Prügelstrafe abschaffen. Am 2. Mai 1919 wird er von den Wachsoldaten verprügelt und ermordet.
Diese Szenen des 2. Mai 1919 stehen für das Ende der Münchner Räterepublik, für das Scheitern der deutschen Revolution 1918/19. Und sie werfen einen dunklen Schatten voraus auf das, was nach 1933 kommen sollte.
Am 11. November 1918 muss Deutschland den Waffenstillstand unterzeichnen. Mehr als vier Jahre hatte der Weltkrieg gedauert, den man später den „Ersten“nennen wird. Nun ist das Kaiserreich am Ende seiner Kraft, muss die Niederlage eingestehen. Ende 1918/Anfang 1919 überschlagen sich die Ereignisse. Kaiser und Könige werden gestürzt, das Land befindet sich in einem regelrechten Revolutionstaumel, seine politische Zukunft ist ungewiss.
Das Leben des 1870 in Karlsruhe geborenen jüdischen Journalisten, Philosophen, Literaten und Übersetzers und bedeutenden Shakespeare-Interpreten Gustav Landauer wird zum Spiegelbild dieses Taumels.
Er lebt in Krumbach in einer Wohnung im jüdischen Schulhaus (unmittelbar westlich der Synagoge in der Synagogengasse). 1917 war Landauer, der viele Jahre seines Lebens in Berlin verbracht hatte, zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern Brigitte und Gudula dorthin gezogen. Landauer hatte die in Hürben aufgewachsene jüdische Übersetzerin und Lyrikerin Hedwig Lachmann 1903 in zweiter Ehe geheiratet. Seine Frau stirbt am 21. Februar 1918 an den Folgen einer schweren Grippe.
Hedwig Lachmanns Tod droht Landauer aus der Bahn seines Lebens zu werfen. Eine Art Anker bleibt die schriftstellerische Arbeit. Im Sommer 1918 schließt er in Krumbach die Herausgabe des Werkes „Die französische Revolution in Briefen“ab. In seinem in „Krumbach in Schwaben, Juni 1918“geschriebenen Vorwort finden wir einen bemerkenswerten Satz: „Die intime Kenntnis des Geistes und der Tragik der Revolution möge uns in den ernsten Zeiten, die vor uns stehen, eine Hilfe sein.“
Als Landauer diese Zeilen schreibt, hat er kein Jahr mehr zu leben. Landauer galt 1918/19 – und gilt teilweise bis heute – bei nicht wenigen als menschenverachtender, kommunistischer Gewalttäter. Es ist ein Bild, das nach seinem Tod von den Nazis mit zynischem Hintersi gepflegt wird.
Wer sich in die Biografie Lan auers vertieft, spürt sofort, dass für dieses makabere Vorurteil ni die geringste Grundlage gibt. E schieden spricht sich Landauer z seines Lebens für Gewaltfreih aus. In seinem anarchistischen Ko zept ist Freiheit „fern von al Zwangsbeglückung“, wie es Sie bert Wolf in seinem Werk „Gus Landauer – zur Einführung“(19 schreibt. Er setzt auf die Entwic lung des Individuums, damit leh er aber auch gesamtgesellschaftlic Entwürfe wie den Marxismus str ab, auch der Sozialdemokratie u dem klassischen parlamentarisch System steht er skeptisch gege über.
Landauer betont aber auch: Ni die Abschaffung des Privateige tums solle das Ziel sein, sondern Gleichgewicht des Besitzes. Mas setzt sich der überzeugte Pazif und Antinationalist für die Ehe Grundlage der Gesellschaft e Nach der Kapitulation und d Ende des Kaiserreiches sowie Königtums in Bayern sieht Lan auer die Chance für einen umfasse den gesellschaftlichen Neuanfa Und nach dem Tod seiner Fr Hedwig Lachmann stürzt er sich radezu besessen in diese neue A gabe.
Landauer wird zum geistigen u politischen Weggefährten von K Eisner (1867 bis 1919), einem Jo nalisten, der der Aufklärungsphi sophie Immanuel Kants nahe steh und nach dem Sturz der Monarc in München erster bayerischer M nisterpräsident wird – und den Fr staat Bayern begründet. Eis weiß, dass er sich auf seinen Kru bacher Freund verlassen kann. A 14. November bittet er Landauer
Demokratie, in dem Parlamentarier für einen bestimmten Zeitraum gewählt werden und im Prinzip dann autonom entscheiden sollen.
In Krumbach wird der unermüdliche Landauer immer mehr zum Motor der USPD. Zu einer regelrechten Häufung von Versammlungen kommt es am Sonntag/Montag, 22./23. Dezember 1918. Am 22. Dezember hält die christlich-konservative Bayerische Volkspartei (BVP) zwei Versammlungen ab: Jeweils nachmittags in der „Krone“(heute Heimatmuseum) für Männer sowie in der „Post“in der heutigen FranzAletsee-Straße für Frauen (in ihr wurde auch der Krumbacher Frauenbund gegründet). Am 23. Dezember (14 und 17 Uhr) spricht Kurt Eisner in der Löwenhalle. Die Halle gehört zum Gasthof Löwen in der Krumbacher Karl-Mantel-Straße (später Ost, heute Obermeier). Sie befindet sich ungefähr dort, wo dann in den 50er Jahren das Kino gebaut wird. Eisner spricht zunächst für die ländliche Bevölkerung aus dem Umland, dann für die Einwohner Krumbachs.
Er tritt vor insgesamt über 1000 Personen auf, wie im „Krumbacher Boten“berichtet wird. Es sind aber nicht nur Anhänger seiner Partei im Saal. „Eisner wird aufgeregt, schreit, tobt und schimpft; wird unverständlich“, kommentiert der Schreiber. Deutlich wird in der Berichterstattung, dass die Lokalzeitung das Programm Eisners ablehnt. Damit steht die Zeitung nicht allein.
„Der Berliner Jude Eisner hatte auf dem bayerischen Land, so sehr er sich auch um einen bayerischen Akzent bemühte und seine Liebe zu Bayern betonte, einen unendlich schweren Stand. Viel mehr: Er hatte keine Chance“, schreibt Volker Weidermann in seinem Buch für die Münchner Revolution. Insbesondere auf dem Land gibt es gegen die Bestrebungen Eisners, Landauers und seiner Weggefährten zunehmenden Widerstand – und eine zunehmende Bereitschaft, mit Gewalt gegen dieses Programm anzukämpfen.
Landauer, bereits seit dem 14. November 1918 Mitglied des „Revolutionären Arbeiterrats“in München, kandidiert am 12. Januar 1919 bei den Landtagswahlen in Krumbach auf der USPD-Liste. In seinem Wahlkreis Krumbach erhält er lediglich 92 Stimmen.
Eisners USPD verliert deutlich die Wahl. Am 21. Februar 1919 wird Eisner in München von dem rechtsextremen Studenten Graf von Arco-Valley erschossen. Es ist Gustav Landauer, der am Grab Kurt Eisners die Ansprache hält: „Eisner war ein Prophet, weil er mit den Armen und Getretenen fühlte, und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen.“
Der Attentäter wird in Landsberg inhaftiert – und 1927 begnadigt, weil seine Tat „glühender Liebe zum Vaterland“entsprungen sei. Eine Begründung, die beispielhaft ist für die „demokratische“Gesinnung der Weimarer Justiz.
In München überschlagen sich in den folgenden Wochen die Ereignisse. Am 7. April wird die Räterepublik ausgerufen. Landauer wird „Beauftragter für Volksaufklärung“und damit eine Art Kultusminister. Mit dem ihm eigenen Eifer geht er ans Werk, unter anderem setzt er sich für eine Abschaffung der Prügelstrafe in den Schulen ein, er spricht sich dafür aus, Elternräte zu schaffen. All das sind heute Selbstverständlichkeiten. In seiner Zeit wird Landauer mit seinem Programm von vielen verachtet. Seine Zeit war noch nicht gekommen, sein Leben findet im Blutrausch des Untergangs der Münchner Räterepublik ein grausames Ende. Am 13. April hatten die Kommunisten die Macht übernommen und der „Republik der Dichter“um Ernst Toller oder auch Erich Mühsam und auch Landauer ein Ende bereitet. Am 1. Mai marschieren Regierungstruppen und Freiwilligenverbände (Freikorps) in München ein. Landauer wird im Haus der Witwe Kurt Eisners verhaftet. „In ihrer Wohnung hatte sie ihn aufgenommen, seine beiden Töchter waren zusammen mit den Eisner-Kindern in Krumbach bei Verwandten“, berichtet Volker Weidermann.
Landauer wird ins Gefängnis von Stadelheim gebracht, schwer misshandelt und schließlich ermordet. Zunächst kann er auf dem Waldfriedhof in München bestattet werden. 1933 lassen die Nazis die Urne Landauers exhumieren, sie schicken Landauers sterbliche Überreste der jüdischen Gemeinde Münchens – und sie stellen dafür auch noch eine Rechnung. Landauer wird auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. In einem Gemeinschaftsgrab mit Kurt Eisner – mit dem er 1918 in Krumbach aufgetreten war und mit dem er das Schicksal der vergeblichen Revolution am Ende auf eine bittere Weise teilte. Die heutige Grabstelle auf dem Münchner Neuen Israelitischen Friedhof wird 1946 auf Initiative der Landauer-Tochter Gudula eingerichtet.
Eisner „wird aufgeregt, schreit, tobt.“
Krumbacher Bote