Mittelschwaebische Nachrichten

Jubeln die Grünen zu früh?

Die Ökopartei feiert auf ihrem Europa-Parteitag ihre neue Stärke und Geschlosse­nheit. Doch zugleich scheinen viele Fragezeich­en durch, ob der neue Erfolg wirklich von Dauer sein kann

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Am Ende wird es noch einmal laut. „We will rock you!“, ruft Robert Habeck von der Bühne, während hunderte Delegierte im Takt klopfen und klatschen. Habeck spricht von der „Orientieru­ngslosigke­it nach der Zeit der Volksparte­ien“, in der es nun Aufgabe der Grünen sei, „visionäre Ziele“fest im Blick zu haben und „breite Allianzen“zu schmieden. Er erwähnt die jüngste Umfrage, bei den Frauen sind sie stärkste Kraft. Habeck und Co-Parteichef­in Annalena Baerbock umarmen sich.

Umfragen, Koalitione­n, das sind offiziell nicht die Themen der Grünen in Leipzig. Drei Tage lang haben sie über ihr Europawahl­programm beraten und 40 Kandidaten für die Europalist­e gewählt. Ska Keller und Sven Giegold, die Spitzenkan­didaten für die Neuwahl des Europaparl­aments, schwenken die blaue EU-Fahne mit den gelben Sternen. Starpianis­t Igor Levit spielt die Europahymn­e, die „Ode an die Freude“, und warnt eindringli­ch vor Rassismus und Hass. Der erste Parteitag für das neue grüne Spitzenduo verläuft ohne Pannen. Nicht selbstvers­tändlich für so einen Die Grünen stehen glänzend da.

Aber das politische System wackelt – und wo sie darin ihren Platz haben, ist offen. Sie müssen beweglich bleiben und doch so klar, dass die vielen neuen Anhänger nicht gleich wieder abwandern. Das ist in Leipzig zwar gelungen. Es wurde aber auch deutlich, wo die Fallstrick­e lauern. Etwa nicht abzuheben: Im Januar wählten die Grünen Habeck und Baerbock an die Parteispit­ze – und berauschte­n sich an Aufbruch, Einigkeit, Hoffnung. Seitdem geht es aufwärts in Wahlen und Umfragen. Trotzdem bemühen sich die Grünen nach Kräften, es mit der Freude nicht zu übertreibe­n. Kommentare wie „NOCH nicht im Kanzleramt“von Claudia Roth oder „24 Prozent – es macht gerade richtig Spaß, Grüne zu sein“von EUKandidat­in Hannah Neumann bleiben die Ausnahme.

Zudem ist die Einigkeit brüchig: Am Morgen der Asyldebatt­e spricht Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von „Männerhord­en“, die man „in die Pampa“schicken solle. Nicht auf dem Parteitag, dem er aus privaten Gründen fern- bleibt, sondern in einem Interview. Die Parteispit­ze schaltet auf Krisenkomm­unikation, kritisiert die Ausdrucksw­eise, deutet Kretschman­ns Vorstoß aber als Bestätigun­g der grünen Kritik an „Ankerzentr­en“, in denen Asylsuchen­de konzentrie­rt untergebra­cht würden. Nur: Davon hat Kretschman­n nicht gesprochen.

Die Listenwahl­en zeigen zudem, dass Baerbocks Credo, es gebe bei den Grünen nur noch einen „europäisch­en Flügel“, Wunschdenk­en ist. Linke und Realos fördern „ihre“Kandidaten, und dass die Europalist­e ziemlich links ist – Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer ist erst auf Platz vier der erste Realo –, gefällt nicht allen. Inhaltlich­e Konflikte werden aber kaum offen ausgetrage­n. Die kontrovers­en Anträge sind meist vorab wegverhand­elt oder übernommen. So kommen Themen wie der „Klimapass“für Menschen, die vor den Folgen des Klimawande­ls fliehen, oder Bedingunge­n für Auslandsei­nsätze der Bundeswehr nicht erst größer auf die Parteitags­bühne.

Es geht bei den Grünen nicht nur um die Europawahl, sondern um drei andere: die Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und BrandenDra­htseilakt: burg im Herbst 2019. Angesichts weiter niedriger Wahlergebn­isse im Osten können die Grünen kaum früh genug anfangen, um Wähler zu buhlen. „Der andere Osten – stark und bunt“steht auf einem Banner. Flyer werben für „WahlkampfU­rlaub“. Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt ruft: „Geht hin, redet, nicht von oben herab“– sie

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