Mittelschwaebische Nachrichten

Der Spion, der die Kälte brachte

Ein Agentenska­ndal belastet Klima zwischen Wien und Moskau

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Spionage hat in Österreich Tradition: Der legendäre Oberst Alfred Redl, Mitglied des österreich­ischungari­schen Generalsta­bs, gab vor dem Ersten Weltkrieg Schlachtpl­äne an den Zaren weiter. In den sechziger Jahren soll der beliebte Wiener Bürgermeis­ter Helmut Zilk als Doppelagen­t für die USA und die Tschechosl­owakei gleichzeit­ig gearbeitet haben. Es gibt viele spektakulä­re Fälle in Wien als langjährig­er Drehscheib­e zwischen Ost und West. In der Regel bleibt es im Verborgene­n, wenn Agenten enttarnt werden – nicht so im jüngsten Wiener Spionagesk­andal.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz persönlich klärte an der Seite von FPÖ-Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek die Öffentlich­keit darüber auf, dass ein mittlerwei­le pensionier­ter Offizier des österreich­ischen Bundesheer­s 20 Jahre lang für Russland spioniert haben soll. Der Salzburger habe Informatio­nen an den russischen Nachrichte­ndienst weitergege­ben und dafür angeblich rund 300000 Euro bekommen. Das sei „inakzeptab­el“, sagte Kurz.

Inakzeptab­el vor allem auch wegen des ganz besonderen Verhältnis­ses, das die ÖVP/FPÖ-Regierung seit ihrem Amtsantrit­t mit Russland pflegt. Man erinnere sich: Nahm nicht Kreml-Chef Putin im August als Ehrengast an der Hochzeit von Außenminis­terin Karin Kneissl teil? Wurde dies nicht als besonderer Gunstbewei­s Moskaus bewertet? Traf Kanzler Kurz den russischen Präsidente­n Wladimir Putin dieses Jahr nicht bereits drei Mal? Unterschri­eb nicht die FPÖ eine Art Freundscha­ftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“? Hielt sich Wien nicht außergewöh­nlich zurück, als es um die Verurteilu­ng des Anschlags auf den übergelauf­enen Agenten Sergej Skripal in Großbritan­nien ging? Jetzt scheint alles anders. Beide Botschafte­r wurden einbestell­t, und Außenminis­terin Kneissl sagte ihren für Dezember geplanten Moskau-Besuch ab.

Die harsche Reaktion des kleinen Österreich­s wird in Moskau durchaus wahrgenomm­en: Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow ärgerte sich über die „Megafon-Diplomatie“, die sich der Westen angewöhnt habe. Österreich habe „auf sensations­erhaschend­e Weise Informatio­nen an Medien gespielt“. Gleichwohl wiegelt Putins wichtigste­r Minister ab: Über den konkreten Fall sei Moskau nichts bekannt.

Ein „befreundet­er“Nachrichte­ndienst, angeblich der deutsche BND, hatte die Kollegen von Österreich­s Heeresabwe­hramt vor einigen Wochen über den Fall informiert. In der darauf folgenden Konfrontat­ion gestand der ehemalige Offizier, seit den neunziger Jahren den russischen Militärgeh­eimdienst GRU mit Informatio­nen versorgt zu haben. Er nahm auch an Auslandsei­nsätzen teil und pflegte internatio­nale Kontakte. Zuletzt arbeitete er im Verteidigu­ngsministe­rium. Da er dort gut vernetzt war, habe er auch nach seiner Pensionier­ung weiter Informatio­nen über Personal und Organisati­on geliefert.

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Präsident Putin, Kanzler Kurz: harsche Reaktion aus Wien. Foto: dpa-Archiv

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