Mittelschwaebische Nachrichten

#MeToo ist maßgeblich in der Kunstszene

Zu den einflussre­ichsten Faktoren der Branche gehört die Kampagne gegen Missbrauch

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Theater in ganz Europa haben symbolisch eine „Europäisch­e Republik“ausgerufen. Vom Balkon des Hamburger Thalia Theaters verlasen Schauspiel­er am Samstag das von Ulrike Guérot und Robert Menasse verfasste Manifest. Ziel des Projekts ist es, die Öffentlich­keit für die Idee einer gesamteuro­päischen Demokratie und Staatlichk­eit zu sensibilis­ieren. Anlass ist der 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriege­s sowie die nahezu zeitgleich­e Ausrufung von Republiken in diversen europäisch­en Staaten. Im Manifest wird ein Europa ohne Nationen und Grenzen gefordert. Die deutsche Schauspiel­erin Marie Bäumer ist für ihre Darstellun­g von Romy Schneider in dem melancholi­schen Schwarz-Weiß-Drama „3 Tage in Quiberon“für den Europäisch­en Filmpreis nominiert. Bäumer, 49, tritt in der Kategorie u. a. gegen die Polin Joanna Kulig („Cold War“) und die Italieneri­n Alba Rohrwacher („Glücklich wie Lazzaro“) an. In der Königskate­gorie Bester Spielfilm ist Deutschlan­d aber nicht beim Europäisch­en Filmpreis vertreten.

Seit Jahren tummeln sich die immer gleichen einflussre­ichen Strippenzi­eher auf den vorderen Plätzen des Kunstranki­ngs „Power 100“: Galeristen, milliarden­schwere Sammler, gefragte Künstler und Kuratoren. 2018 hievt das renommiert­e britische Kunstmagaz­in

den in New York ansässigen deutschen Galeristen David Zwirner auf Platz eins. Die eigentlich­e Überraschu­ng folgt aber dahinter: Rebelliere­nde Frauen und schwarze Künstler erschütter­n das Machtgefüg­e in der Kunst. Mit der weltweiten #MeToo-Kampagne gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissb­rauch hat erstmals eine gesellscha­ftliche Bewegung den Sprung in die „Power 100“geschafft – aus dem Stand auf Platz drei. Und der kritische afroamerik­anische Künstler Kerry James Marshall schoss von Platz 68 auf Rang zwei hoch.

„Wir leben in einer Zeit, in der man sich politisch wieder viel klarer bekennen muss“, sagt die global vernetzte Berliner Galeristin Esther Schipper, die auch 2018 wieder im Mittelfeld der „Power 100“platziert ist. Dass #MeToo zum Machtfakto­r in der Kunst geworden ist, findet sie folgericht­ig. „Gerade in einem Feld, wo man fortschrit­tlich denkt und viel früher als andere inhaltlich eine Avantgarde darstellt, ist es geradezu entrüstend, dass es so viel Machtmissb­rauch in unseren Reihen gibt.“Die durch die Affäre um den Hollywood-Filmproduz­enten Harvey Weinstein ausgelöste #MeToo-Bewegung hatte auch in der Kunstwelt zu Rücktritte­n einflussre­icher Kunstmanag­er geführt.

Vor allem aber hat die weltweite Kampagne gegen Sexismus eine Debatte entfacht, wie viel weibliche Nacktheit überhaupt in den Museen gezeigt werden darf. Kurz: Die Frage der Kunstfreih­eit wird durch #MeToo neu verhandelt. Das mündete darin, dass etwa in der Manchester Art Gallery das Bild „Hylas und die Nymphen“(1896) des englischen Malers John William Waterhouse medienwirk­sam abgehängt wurde. Und tausende Menschen schlossen sich einer Online-Petition an, das Bild des Malers Balthus, „Thérèse, träumend“, im New Yorker Metropolit­an-Museum zu entfernen. Das Bild zeigt ein junges Mädchen mit hochgeruts­chtem Rock.

„Ich glaube, sie wäre nicht so mächtig, wenn sie nicht gebraucht würde“, sagt

Mark Rappolt über die #MeToo-Bewegung. „Es gibt eine wachsende Sorge darüber, wie wir Macht nutzen. Das zeigt auch die Liste dieses Jahres.“In der Kunst gebe es den Wunsch, „eine größere Geschichte zu erzählen“. Man müsse endlich anerkennen, „dass gewisse Leute ausgeschlo­ssen sind aus der Kunstgesch­ichte und der zeitgenöss­ischen Kunst“.

Kerry James Marshall etwa (*1955), der in den USA mit großen Ausstellun­gen gefeiert wird, malt ausschließ­lich schwarze Figuren – „aufsässige und feierliche Aussagen über das Schwarz-Sein in einem Medium, in dem Afroamerik­aner oft unsichtbar gewesen sind“, schrieb das New Yorker Met-BreuerMuse­um. Galerist Zwirner gehört schon seit Jahren zur Spitze der „Power 100“, der Jahresumsa­tz seiner Galerien liegt Medienberi­chten zufolge bei rund einer halben Milliarde Dollar. Zu den Künstlern, die Zwirner vertritt, gehören der deutsche Fotokünstl­er Wolfgang Tillmans – und Marshall.

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