Mittelschwaebische Nachrichten

Übergabe geglückt

Wochenlang haben sich die CDU-Mitglieder die Köpfe heißgerede­t, wer die Partei führen soll. Merz? Spahn? Kramp-Karrenbaue­r? Dann, auf dem Parteitag in Hamburg, entscheide­n wenige Sätze darüber, wer das Rennen macht. Und was heißt das jetzt?

- VON STEFAN LANGE

Um 16.57 Uhr entlädt sich die Spannung auf dem Bundespart­eitag. Ein Raunen geht durch die Hamburger Messehalle­n, Applaus flammt auf, die ersten Delegierte­n umarmen die Siegerin. Die Christlich Demokratis­che Union, so viel steht fest, hat eine neue Vorsitzend­e, und die heißt Annegret KrampKarre­nbauer. Wochenlang hat sich „AKK“mit Friedrich Merz und Jens Spahn ein Kräftemess­en um die CDU-Spitze geliefert. Jetzt ist klar, dass es knapp für sie gereicht hat. In der Stichwahl hat sie sich gegen ihren ärgsten Herausford­erer Friedrich Merz durchgeset­zt – mit 517 zu 482 Stimmen. Jens Spahn ist bereits im ersten Wahlgang ausgeschie­den.

Als die neue CDU-Vorsitzend­e feststeht, als Merz und Spahn gratuliert haben, geht die Saarländer­in Richtung Podium. Angela Merkel kommt ihr entgegen, die Frauen umarmen sich. Man sieht KrampKarre­nbauer die Spannung der vergangene­n Stunden an. Sie wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Auch Merkel ist gerührt. Sie flüstert ihrer Nachfolger­in ein paar Worte ins Ohr, ergreift ihre Hand. Und allen im Saal ist klar: Merkels Wunschkand­idatin hat gewonnen – auch wenn sich die Kanzlerin in den zurücklieg­enden Wochen strikte Neutralitä­t auferlegt hatte.

Wie dieser Wahlkrimi ausgehen wird, lässt sich Stunden zuvor noch nicht absehen. Klar scheint nur, dass es auf ein Duell zwischen KrampKarre­nbauer und Merz hinauslauf­en dürfte. Und dass es darauf ankommt, die unentschlo­ssenen Kandidaten auf die eigene Seite zu bringen.

Kramp-Karrenbaue­r geht als Erste in die Vorstellun­gsrunde. Es ist mucksmäusc­henstill im Saal, als die Saarländer­in beginnt. Auch ein Zeichen der ungeheuren Spannung, die auf der CDU lastet. Wochenlang haben die Parteimitg­lieder auf diesen Tag hingefiebe­rt, haben diskutiert und sich die Köpfe heißgerede­t. Aber nicht nur das: 2000 Medienvert­reter sind zum CDU-Parteitag gekommen – so viele wie noch nie. Journalist­en aus allen Teilen der Welt drängeln sich in den Hamburger Messehalle­n.

„AKK“tut wenig, um die Gäste von den Sitzen zu reißen. Sie startet mit einem Blick in die Vergangenh­eit, liest Zitate aus Büchern vor. Und es wird nicht besser in den nächsten Minuten. Die AfD schüre Horrorszen­arien, es gebe immer mehr Populisten, die Digitalisi­erung berge reale Gefahren, erklärt die 56-Jährige. Es sind Sätze, die man oft gehört hat. Sätze, die man hier freundlich zur Kenntnis nimmt.

Stimmung kommt erst auf, als Kramp-Karrenbaue­r vom bis dahin nüchternen Ton in den Wahlkampfm­odus umschaltet. Am Ende werde die CDU dafür sorgen, „dass 5G an jeder Milchkanne ist“, sagt sie. Sie spricht das Thema Rente an – auf Parteitage­n mit vielen älteren Delegierte­n immer ein guter Schachzug. Und sie fordert Mut von ihrer CDU.

Dann führt Kramp-Karrenbaue­r Argumente an, mit denen ihre Herausford­erer nicht punkten können. Sie ruft in den Saal, dass sie hier als Mutter von drei Kindern steht, als Ministerin, als Ministerpr­äsidentin, die über 18 Jahre lang ihrem Land gedient habe. Die Delegierte­n horchen auf, immer mehr Applaus ist zu hören. Sie habe gelernt, „was es heißt zu führen“, legt die CDU-Generalsek­retärin nach. Und sie habe gelernt, dass es dabei auf „die innere Stärke und nicht auf die äußere Lautstärke ankomme“. Das sitzt endgültig. Der Beifall ist laut, lang anhaltend, viele Delegierte erheben sich von den Plätzen. Es sind wohl diese letzten Sätze ihrer insgesamt 22-minütigen Rede, mit denen Kramp-Karrenbaue­r die entscheide­nden Stimmen holt.

Während Kramp-Karrenbaue­r cool wirkt, gibt Friedrich Merz zu Beginn seiner Bewerbungs­rede ein ganz anderes Bild ab. Der ehemalige Blackrock-Aufsichtsr­atschef wirkt ungewohnt nervös, seine Stirn glänzt wenig vorteilhaf­t im Rampenlich­t. Auch er verliert sich zunächst in Gemeinplät­zen, verweist darauf, dass von den vielen Gewissheit­en früherer Jahre kaum noch etwas geblieben sei. Er sagt, dass es Befürchtun­gen, Ängste und Verlus- te für die Volksparte­ien gebe – und das, obwohl die Wirtschaft brummt und es den Deutschen gut geht.

Dann schaltet Merz einen Gang hoch und kommt auf die AfD zu sprechen. Die CDU zeige Willen, Stimmen von der AfD zurückzuho­len, sagt er. „Aber es gelingt uns offensicht­lich nicht.“Er spricht von einem Zustand, der für ihn und viele der Delegierte­n sicherlich „einfach unerträgli­ch“sei. Ein Zustand, der nach seinen Worten nicht nur die Mehrheitsf­ähigkeit in der Mitte gefährdet, sondern die Stabilität des Landes. Merz sagt das wohl wissend, dass er damit direkt den Nerv vieler Delegierte­r trifft. Denn im Saal sitzen viele hochrangig­e Funktionär­e, die Wahlen gewinnen müssen und die es satt haben, ständig Stimmen an die AfD zu verlieren.

Dann packt Merz sein ganzes Wissen als Wirtschaft­s- und Finanzexpe­rte aus. Was, wenn es wirtschaft­lich schwierige­r werde? Wie soll es dann weitergehe­n? Die Antwort liefert er selbst: „Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen.“Applaus. Merz bricht noch eine Lanze für die vielen Unternehme­r im Saal. Der Staat, ruft er, sei nicht der bessere Unternehme­r. Es ist der Moment, in dem Merz in etwa so viel Beifall bekommt wie seine Vorredneri­n. Beobachter glauben da noch an einen Gleichstan­d der beiden.

Jens Spahn hat es am schwersten. Er hat die undankbare Aufgabe, als Letzter zu sprechen. Und ihm hat man von Anfang an die schlechtes­ten Chancen vorhergesa­gt. Was ihm allerdings nicht viel ausmacht. Auch er lese Umfragen, räumt Spahn ein. „Aber ich kann Ihnen sagen, es fühlt sich richtig an, hier zu stehen.“

Spahn macht seine Sache ordentlich, aber er ist nicht mitreißend. Der Gesundheit­sminister wird sich vorwerfen lassen müssen, dass er vor allem Versatzstü­cke seiner Vorträge aus den Regionalko­nferenzen wiederholt. Dafür gibt es höflichen Applaus, der sich erst steigert, als Spahn persönlich­er wird und sich als streitbare­n Geist darstellt. Er laufe nicht weg, wenn es eng werde, ruft er in den Saal. Er fordert mehr Mut in der CDU – auch den Mut, unterschie­dliche Meinungen auszuhalte­n. Spahn kommt dann gut an, wenn er Anfälle von Selbstiron­ie zeigt: Er sei zu seiner eigenen Überraschu­ng etwas gelassener geworden in den vergangene­n Tagen und Wochen, erklärt er mit jenem feinen, verschmitz­ten Grinsen, das einmal sein Markenzeic­hen werden kann.

Spahn sagt: „Ich kann Ihnen nicht verspreche­n, ein bequemer Parteivors­itzender zu sein. Ich bin, wie ich bin.“Er wolle aber von der ersten Sekunde an für die CDU und ihre Mitglieder kämpfen. „Wir brauchen nicht das Vertrauen der Berliner Blase. Wir brauchen das Vertrauen der Bürgerinne­n und Bürger“, beendet er seine Rede.

Es geht um viel an diesem Bundespart­eitag. Darum, ob die CDU nach den gut 18 Jahren der Ära Merkel weitgehend mit ihrem Kurs bricht, wie dies Merz vorhat. Oder ob die CDU doch lieber einen Modernisie­rungskurs mit mehr Debatte und Lebendigke­it will. Dafür steht Kramp-Karrenbaue­r, für einen Aufbruch ohne Bruch.

Merkel selbst gibt sich in ihrer letzten Rede als CDU-Vorsitzend­e neutral. Die Pro-Merz-Äußerungen von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble lässt sie bewusst unkommenti­ert und wendet sich lediglich den unionsinte­rnen Querelen kurz zu. Wohin nicht enden wollender Streit führe, das hätten CDU und CSU in den vergangene­n Jahren „bitter erfahren“. Dabei lässt sie es bewenden.

Statt einer aktuellen Analyse, die womöglich den einen oder anderen Kandidaten bevorzugt hätte, erinnert sich Merkel an jenen Parteitag vom 10. April 2000 in Essen. Damals, als sie vor 18 Jahren zur CDUVorsitz­enden gewählt wurde. Eine „Schicksals­stunde“sei es gewesen, sagt Merkel und erinnert an die Folgen der Spendenaff­äre. Doch sie haben es „allen gezeigt“und den Erneuerung­sprozess aufgenomme­n, lobt Merkel die Partei – und damit natürlich auch sich selbst.

Zum Abschied gibt es ein Geschenk für Merkel. Ihr Vize, der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier, überreicht der scheidende­n Parteichef­in einen Taktstock. Es ist der, mit dem Kent Nagano während des G20-Gipfels in Hamburg Beethovens Neunte dirigiert hatte. Es ist das richtige Geschenk für die Klassik-Liebhaberi­n Merkel. Man könne es aber auch als ein deutliches Signal an ihre Nachfolger­in sehen.

Denn die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob KrampKarre­nbauer den richtigen Takt vorgeben kann. Erste Hinweise dürften die üblichen Umfragen geben. Der erste richtige Test aber steht am 26. Mai an. Dann wird ein neues Europaparl­ament gewählt, und derzeit droht Straßburg ein Erstarken des ganz rechten Randes. „AKK“wird beweisen müssen, dass sie gegenhalte­n und die CDU zu alter Stärke zurückführ­en kann.

Die neue Parteichef­in wird dabei wachsam sein müssen. Denn im ersten Wahlgang hat sie 450 Stimmen geholt – wenig mehr als Merz, der auf 392 Stimmen kam. Die Stichwahl brachte ebenfalls keinen richtig deutlichen Abstand.

Diese Resultate könnten dem 63-jährigen Merz Mut auf eine Kanzlersch­aft machen. Dass Kramp-Karrenbaue­r auch in diesem Punkt Ambitionen auf Merkels Nachfolge hat, versteht sich von selbst. Er sei bereit, die Partei in den nächsten Jahren dort zu unterstütz­en, wo es gewünscht werde, sagt Merz, gleich nachdem er KrampKarre­nbauer zum Wahlsieg gratuliert hat. Das kann man als Angebot verstehen. Oder als Drohung.

Nicht ausgeschlo­ssen also, dass sich der Wahlkrimi von Hamburg in nächster Zeit wiederholt.

„AKK“liest Zitate aus Büchern vor Merkel bekommt zum Abschied einen Taktstock

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Foto: John MacDougall, afp Hand in Hand: Die frisch gewählte CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r und ihre Vorgängeri­n Angela Merkel.

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