Mittelschwaebische Nachrichten
Literatur
Und wieder ein neuer Bestseller über Bäume. Diesmal aus Amerika. Überhaupt sind Naturthemen, wie auch Maja Lundes Bienen-Buch zeigt, seit einiger Zeit der Renner. Das erzählt einiges über unsere Zeit
Kursiv gedruckt steht der Satz da. Nicht etwa auf einem der Protestplakate im Hambacher Forst, wo noch immer Umweltaktivisten auf den Bäumen leben, um deren Abholzung zu verhindern. Und auch nicht in einem der inzwischen zahlreichen Sachbücher des Försters Peter Wohlleben, der seit dem Millionen-Erfolg mit „Das geheime Leben der Bäume“Besteller in Serie liefert. Der Satz steht so herausgehoben mitten im neuen Roman des US-Star-Autors Richard Powers, der international in den Bestenlisten steht mit „Die Wurzeln der Welt“. Die urteilt: „Der aufregendste Roman, den Sie je über Bäume lesen werden.“
Aber mit dem Hambacher Forst und Peter Wohlleben hat dieses Buch dennoch sehr viel zu tun. Denn der zuvor bereits für so großartige wie groß ausgreifende Werke wie „Der Klang der Zeit“und „Das Echo der Erinnerung“zu Recht gefeierte Powers erzählt darin unter anderem auch von einem Paar, das über acht Monate hinweg in 60 Metern Höhe in einem Mammutbaum lebt, um dessen Fällung zu verunmöglichen; und von einer Forscherin namens Patricia Westerford, die wie Wohllebens Vorbild wirkt, schildert sie doch bereits in den siebziger Jahren, wie Bäume kommunizieren und in Netzwerken existieren. Sie schrieb ein Buch mit dem Titel „Der geheime Wald“darüber. Und wenn Wohlleben heute noch immer Kritik für seine Vermenschlichung und romantische Verklärung der Natur und für seine Verteufelung von Nutzwald und Forstwesen erfährt – für Westerford bedeutet das bei Powers den Tod als Wissenschaftlerin und die Ächtung als Person. Sie zieht sich daraufhin von den Menschen zurück, in die Wälder natürlich – und taucht erst wieder auf, als sich langsam das Bewusstsein Bahn bricht, dass gerade in Zeiten wachsender Klimaprobleme Bäume mehr als ein Rohstoff sind und die Natur mehr Mit- als Umwelt ist.
Und damit ist man ja tatsächlich mitten im Heute gelandet. Denn es kommt ja nicht von ungefähr, dass auch im Buchbereich die Natur eine echte Gewinner-Kategorie ist. Man muss nur an die Bestseller von Maja Lunde denken, die mit „Die Geschichte der Bienen“den passenden Roman zur Sorge ums Insektensterben geliefert hat, gefolgt von der ebenfalls erfolgreichen „Geschichte des Wassers“. In Großbritannien, den USA und Australien gibt es für den Bereich des „Nature Writing“inzwischen eigene Autorenpreise und sogar eigene Bestseller-Katego- rien, so viele Veröffentlichungen gibt es, etwa Dave Goulsons „Und sie fliegt doch“über die Hummel. In Deutschland war auch „Die Honigfabrik“von Jürgen Tautz und Diedrich Steen ein Erfolg. Fürs kommende Jahr bereits angekündigt sind Titel wie „Die fabelhafte Welt der Ameisen“von Christina Grätz und Manuela Kupfer.
Das Genre boomt und kann dabei als hochpolitisch gelten. Weil die Werke das Bewusstsein verschieben – wenn auch nicht immer so direkt wie bei Richard Powers. Der 61-jährige Amerikaner nämlich sammelt in seinem zumindest über zwei Drittel hinweg tatsächlich aufregenden Roman zunächst rührende Geschichten über das Verhältnis zu Bäumen: Eine US-Familie, die über drei Generationen hinweg jedes Jahr am gleichen Tag ein- und denselben einsamen Baum fotografiert, dessen Artgenossen bei einer der zahlreichen Schädlingsepidemien im Land praktisch ausgestorben sind. Einen chinesischen Vater, der seinen Töchtern als Erbe wertvolle Ringe mit charakteristischen Baumsorten hinterlässt, gleich einem passenden Schicksalsbegleiter. Und aus den dadurch berührten Menschen formt Powers dann eine Gruppe von Menschen, Wissenschaftler wie Romantiker, die sich gegen den Raubbau wenden, der die am weitesten verbreitete Lebensform der Erde bereits weit mehr als ein Drittel des Bestandes gekostet hat. Aus diesen Menschen werden nicht nur Aktivisten wie im Hambacher Forst, sondern sogar Öko-Terroristen …
Diese allzu grobe Dramatisierung und damit den schwächsten Teil von „Die Wurzeln der Welt“ausgeklammert, führt die Lektüre von Powers’ Roman zuverlässig dazu, dass man fortan mit anderem Blick durch den Wald läuft. Und das in Zeiten, in denen einerseits der amerikanische Präsident jede Form von Klima-Politik ablehnt und Natur nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten anblickt; in denen andererseits in Deutschland die Partei mit der ökologischen Nachhaltigkeit im Markenkern auf einem historischen Hoch schwebt. Dahinter kann man ein aufklärerisch gemeintes Programm vermuten. Und liest bei Powers: „Es ist so einfach. So offensichtlich. Exponentielles Wachstum innerhalb eines geschlossenen Systems mit begrenzten Ressourcen führt zum Zusammenbruch. Aber die Menschen sehen es nicht. Also können
Aber Powers wäre nicht der Autor, der er ist, würde er den Blick nicht darüber hinaus weiten. Er lässt Patricia Westerford predigen, dass Baum und Mensch gemeinsame Vorfahren haben und bis heute auch genetisch eng verbunden sind. Für solcherlei schlägt auch dem US-Autor nicht nur Begeisterung entgegen. Thea Dorn etwa schäumte im „Literarischen Quartett“über all die „Esoterik“, die man hier serviert bekomme. Dorn ist eine, die immer wieder fordert, keine Katastrophenszenarien an die Wand zu malen, sondern sich auf das unmittelbar politisch Gebotene zu konzentrieren.
„Die Wurzeln der Welt“aber rechnet vor, dass, wenn die gesamte Weltgeschichte in einen Tag umgerechnet würde und der Mensch darin erst vier Sekunden vor Mitternacht auftaucht, dann folgte:
Hat man je gehört, dass es faschingt, ostert oder pfingstet? Frühlingt und sommert?
Umso bemerkenswerter ist die in diesen Tagen inflationär auftretende Wendung: Es weihnachtet, nahezu reflexhaft ergänzt um ein „sehr“. Wir sind im Advent, aber niemand lässt sich vernehmen: Ich muss euch sagen, es adventet sehr. Allgegenwärtig aber weihnachtet es – sehr.
Der Duden spricht von einem schwachen Verb, in der Bedeutung: „Auf Weihnachten zugehen [und eine weihnachtliche Atmosphäre verbreiten].“Liegt es an der besonders langen Strecke, an dem mit Erwartungen überladenen Weg, dass den Wochen vor Weihnachten ein eigenes Zugangsverb zugestanden wird? Jedenfalls ist es nicht die Regel, dass ein Vorspiel mit einem Tätigkeitswort bedacht ist. Nicht einmal Kinder, die ihre Geburtstage kaum erwarten können, sagen: Es geburtstagt sehr.
Doch dieses schwache Verb mit starker Verbreitung wird gerne herangezogen. Unüberschaubar sind die Belegstellen. Von „Hilfe, es weihnachtet! Was Männer an Weihnachten nervt“über „Es weihnachtet sehr in Osnabrück“und „Es weihnachtet in den Museen“bis hin zur Variante „Es weihnachtet mehr.“Und natürlich: „Es weihnachtet auch in Wackersdorf“sowie im Bierkönig auf Mallorca. Es weihnachtet drinnen und draußen.
Merke: Das unbestimmte Pronomen „es“, das eine Art Walten und Wesen meint, steckt hinter den Umtrieben. ist eine höhere Macht, die so arg weihnachtet. Er weihnachtet? Sie weihnachtet? Ihr weihnachtet? Nichts da. Für das Weihnachten an sich lässt sich kein konkreter Urheber verantwortlich machen. Es kommt vielmehr über uns, es weihnachtet so, wie es dämmert oder müffelt.
Wenn es weihnachtet, wirkt eine kollektive Zwangsläufigkeit. Wir sind dem Prozess des Weihnachtens ausgesetzt wie dem Wetter, wenn es windet. Erweitern wir den Wortschatz: Wenn es nach dem Fest zwischenjahrt, kommt bald Silvester und man wird sich damit abfinden, wie sehr es dann wieder vorsätzt.