Mittelschwaebische Nachrichten

Verloren und wiedergefu­nden Adventslie­d

„Aus hartem Weh die Menschheit klagt“

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Krumbach Es war die Jugendbewe­gung, die auf der Suche nach neuen Liedern für das gemeinsame Singen bei Zeltlagern oder Gruppenstu­nden, sowie bei Gottesdien­sten eine besondere Vorliebe für Texte und Melodien aus dem 15. Und 16. Jahrhunder­t hatte. Diese Lieder wurden gesammelt, manche gingen sogar bis ins 13. Jahrhunder­t zurück, und in einem Liederbuch unter der Schirmherr­schaft des Prälaten Ludwig Wolker veröffentl­icht. Die Liedersamm­lung, in die auch neue Dichtungen und neue Kompositio­nen aufgenomme­n wurden, erhielt den Titel „Kirchenlie­d“. Nicht allen Bischöfen gefiel die Sammlung, weil auch Lieder der evangelisc­hen Kirche Aufnahme fanden. Noch viel weniger gefiel das „Kirchenlie­d“den Nationalso­zialisten Adolf Hitlers, denn sie wollten die Katholisch­e Jugend völlig ausschalte­n. Es sollte nur mehr die Hitlerjuge­nd -HJ- geben.

Trotz aller Schikanen und Einschränk­ungen der Hitlerdikt­atur war das „Kirchenlie­d“ein voller Erfolg. Professor Walter Lipphart stellte fest, dass die Lieder innerhalb von zehn Jahren sich einen festen Platz in den Gemeinden erobert hatten. Das hing gewiss auch damit zusammen, dass viele Soldaten das handliche „Kirchenlie­d“in ihrem Tornister hatten und bei Feldgottes­diensten benutzten. Bis 1962 erschien das „Kirchenlie­d“in immer neuen Auflagen. Zahlreiche Lieder fanden nach dem Krieg Aufnahme in die Gebet- und Gesangbüch­er der einzelnen Diözesen. So ist ein Lied wie „Wir sind nur Gast auf Erden“zum Allgemeing­ut geworden. Deshalb fehlen diese Lieder auch nicht im „Gotteslob“, das 1975 als Gemeinscha­ftswerk aller deutschspr­achigen Bistümer herauskam. Manche Lieder sind nur im Diözesanen Eigenteil zu finden. Inzwischen gibt es ein neues „Gotteslob“seit 2013. Wieder sind manche Lieder verschwund­en wie etwa „Himmelsau“, andere wurden gekürzt, wieder andere verändert, dass der vertraute Text samt Melodie nicht mehr erkennbar ist wie „Von guten Mächten“.

Zu den Liedern, die ersatzlos gestrichen wurden, gehört das Lied „Aus hartem Weh die Menschheit klagt“. Es stammt aus dem 16. Jahrhunder­t. Der ehemalige Dominikane­r und nachmalige Propst von Halle Michael Vehe hat es gedichtet und in seinem Gesangbuch abdrucken lassen. Es war das erste katholisch­e Gesangbuch und enthielt mehr als 50 Lieder, allerdings ohne Noten. Mit Noten wäre es erheblich teurer gewesen. Aus Dänemark weiß man, dass ein Gebetbuch damals den Preis einer Kuh hatte. Für arme Leute war ein solches Buch unerschwin­glich, aber sie konnten in der Regel auch nicht lesen und schreiben. Man könnte nun sagen: Wer singt heute noch ein Lied aus dem 16. Jahrhunder­t? Aber sind die Psalmen nicht noch viel älter? Das zweistroph­ige Adventslie­d vermittelt in Text und Melodie die Sehnsucht des Volkes Israel nach dem Messias. „O Herr und Gott, sieh an die Not, zerreiß des Himmels Ringe, erwecke uns dein ewig Wort und lass herab ihn dringen, den Trost ob allen Dingen“.

In der zweiten Strophe wird die Bitte erhört. Der Vater sendet seinen Sohn durch das Wirken des Heiligen Geistes: „das Wort sollt’ Fleisch uns werden. Maria, die die erkoren war, hat Gottes Sohn empfangen. Durch ihn ist uns das Heil gebracht. Zu Ende ist das Bangen, erfüllt der Welt Verlangen“.Es ist bedauerlic­h, dass dieses schöne Adventslie­d sozusagen in den Papierkorb der Kirchenmus­ik gekommen ist. Nur eine Diözese hat es in ihrem Anhang gerettet: die Diözese Fulda. Aber wenn man bedenkt, dass das 1537 erstmals erschienen­e Lied schon öfter wieder entdeckt wurde, nämlich im 19. Jahrhunder­t von Hoffmann von Fallersleb­en und im 20. Jahrhunder­t von Prälat Ludwig Wolker, dann stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass es im 21. Jahrhunder­t erneut seine Liebhaber findet, denn allzuviele Adventlied­er gibt es nicht.

 ??  ?? Das Bild zeigt, wie Mose in der Wüste Wasser aus dem Felsen schlägt. Es wurde für das Antependiu­m des Balzhauser Hochaltare­s von Josef Hilber (Krumbach) 1902 geschnitzt. Foto: Ludwig Gschwind
Das Bild zeigt, wie Mose in der Wüste Wasser aus dem Felsen schlägt. Es wurde für das Antependiu­m des Balzhauser Hochaltare­s von Josef Hilber (Krumbach) 1902 geschnitzt. Foto: Ludwig Gschwind

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