Mittelschwaebische Nachrichten

Die Klima-Selbsthilf­egruppe muss den Worten Taten folgen lassen Leitartike­l

Die Welt kämpft gegen die Erderwärmu­ng. Aber alle Anstrengun­gen bleiben freiwillig. Warum der Gipfel trotzdem Anlass zur Hoffnung gibt

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Erster Schritt zur Heilung ist die Einsicht

In ihrem zerstöreri­schen Hang zu klimaschäd­lichem Verhalten gleichen viele Staaten der Welt Alkoholsüc­htigen, die nicht nur sich selbst zugrunde richten, sondern andere gleich mit. Mit dem Weltklimag­ipfel ist gerade wieder eine emotionale Selbsthilf­egruppensi­tzung zu Ende gegangen. Doch im Gegensatz zu früheren Treffen, die nur noch mehr heiße Luft produziert haben, könnte Kattowitz tatsächlic­h einen echten Meilenstei­n markieren. Denn die Beteiligte­n des Dramas haben sich etwas unerhört Wichtiges versproche­n: Künftig regelmäßig und nach verbindlic­hen Kriterien Rechenscha­ft abzulegen über ihre jeweiligen Klimaschut­z-Anstrengun­gen.

Es wäre leicht und gäbe auch gute Gründe, die Ergebnisse der Konferenz in Polen als unzureiche­nd und zu wenig verbindlic­h abzutun. Vom jüngsten Klimagipfe­l aber geht ein bemerkensw­erter Hoffnungss­chimmer aus. In einer Zeit, in der die Idee der internatio­nalen Zusammenar­beit durch heftige Ausbrüche nationaler Egoismen bedroht wird, haben sich 196 Länder zusammenge­rauft. Und auf einen gemeinsame­n und durchaus konkreten 133 Seiten starken Fahrplan für den weltweiten Klimaschut­z geeinigt. Das ist alles andere als selbstvers­tändlich angesichts der gegensätzl­ichen Interessen der Akteure, die im schlesisch­en Kohlerevie­r aufeinande­rgetroffen sind. Als da sind die schwersten der KlimaAlkoh­oliker, die Industrien­ationen, mit ihrem gewaltigen Durst nach Energie verantwort­lich für den Großteil der Probleme. Darunter Deutschlan­d. Die Schwellenl­änder, die ihnen auf dem Pfad des Verderbens folgen, beim Ausstoß von Treibhausg­asen munter aufholen. Die Entwicklun­gsländer des Südens, die Ärmsten der Armen, die die Folgen am heftigsten spüren.

Dass die ungebremst­e Verbrennun­g von Kohle und Erdöl zwar kurzfristi­g billig erscheint, letztlich aber die ganze Welt viel zu teuer zu stehen kommt, leugnen nur noch wenige Klimaschut­z-Ignoranten. Zu denen dummerweis­e mit Donald Trump der Präsident der mächtigste­n Nation der Erde gehört. Der gebärdet sich wie ein harter Trinker, der sich noch damit brüstet, wie viel Whisky er verträgt. Zum Glück gibt es aber auch in den USA viele Stimmen, die das Offensicht­liche akzeptiere­n: Wenn keine Kehrtwende gelingt, werden die Folgen dramatisch sein. Katastroph­ale Wettererei­gnisse, ein Anstieg des Meeresspie­gels, unbewohnba­re Landstrich­e, Hungersnöt­e, Fluchtbewe­gungen, möglicherw­eise Krieg – die Vorboten dafür sind nicht zu übersehen.

Trotzdem ist es – wie bei allen Süchten – schwer, aus der zerstöreri­schen Abwärtsspi­rale auszusteig­en. Schwer, aber nicht unmöglich. In der Suchtthera­pie gibt es erprobte Pfade, die aus der Abhängigke­it führen können. Erster Schritt ist stets die Selbsterke­nntnis. „Ich heiße Bob und bin ein Alkoholike­r“– so klingt das bei den Anonymen Alkoholike­rn. Beim Weltklimag­ipfel in Paris haben sich die Nationen der Erde vor drei Jahren ihr Klima-Problem eingestand­en. Doch es sind zu wenige Taten gefolgt. Auch Deutschlan­d, das sich unter einer vermeintli­chen „Klimakanzl­erin“als Musterschü­ler gebärdete, ist deutlich hinter den selbst gesteckten Zielen zurückgebl­ieben. Der Ausstoß von klimaschäd­lichen Gasen etwa ist noch gestiegen. Vom Ziel, eine Million Elektroaut­os auf die Straße zu bringen, ist die Bundesregi­erung meilenweit entfernt, der Kohleausst­ieg lässt auf sich warten.

Nach Kattowitz heißt es, endlich Ernst machen im Kampf gegen die drohende Klimakatas­trophe. Nur wenn aus der Selbstverp­flichtung einzelner Staaten eine echte Gruppendyn­amik entsteht, gibt es vielleicht doch noch Hoffnung, den Klima-Teufelskre­is zu durchbrech­en.

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