Mittelschwaebische Nachrichten

„Gegen einen Mann ist es einfacher“

Doris Schröder-Köpf musste eine Frau aus dem Feld schlagen, um selbst Abgeordnet­e zu werden. Ein Gespräch über alleinerzi­ehende Mütter in der Politik, das Elend der SPD und die Tücken der Integratio­n

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Frau Schröder-Köpf, haben es Frauen in der Politik schwerer als Männer?

Schröder-Köpf: Absolut! In den meisten Gremien sind wir deutlich in der Minderheit. Ich bin beispielsw­eise als stellvertr­etende Vorsitzend­e des Innenaussc­husses im Niedersäch­sischen Landtag nur eine von zwei Frauen unter 15 Mitglieder­n. Beide Frauen kommen übrigens von der SPD, die anderen Fraktionen schicken nur Männer in dieses wichtige Gremium. Ein Unding!

Damit Sie in Ihrem Wahlkreis überhaupt kandidiere­n konnten, mussten Sie sich gegen eine Frau durchsetze­n, eine erfahrene Abgeordnet­e. Ist das sozialdemo­kratische Frauenförd­erung, wenn eine Frau eine andere verdrängt?

Schröder-Köpf: Meine Vorgängeri­n hatte damals bereits fast zwei Jahrzehnte im Landtag gesessen, insofern kandidiert­e da eine Neue gegen eine Etablierte. Die Parteibasi­s hat mir den Vorzug gegeben. 2017 hat die SPD mit mir als Kandidatin dann dem hannoversc­hen CDUChef den Wahlkreis erstmals abnehmen können und direkt gewonnen. Wenn man gegen einen Mann antritt, ist es einfacher. Wo zwei Frauen gegeneinan­der kandidiere­n, muss man sehr darauf achten, einen besonders ruhigen und verbindlic­hen Ton anzuschlag­en. Gerade Männer sind sonst schnell mit dem Vorwurf der Stutenbiss­igkeit bei der Hand, wo es nur um ganz normalen Wettstreit geht.

War der Name Schröder für Sie eigentlich eher Hindernis oder eher Hilfe auf Ihrem Weg in die Politik?

Schröder-Köpf: Sowohl als auch. Auf der einen Seite haben viele Parteimitg­lieder mit Gerhard Schröder oder seiner Reformpoli­tik gehadert – und tun es ja leider noch. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch hilfreich, sich nicht erst überall bekannt machen zu müssen. Mein Hauptprobl­em war, dass mich viele Menschen bis dahin „nur“als seine Frau wahrgenomm­en hatten, als Kanzlergat­tin. Aber ich hatte ja auch schon vorher ein von Politik geprägtes Leben. Beruflich begann es übrigens 1982 in Augsburg.

Im Bundestag ist der Frauenante­il auf 30 Prozent gesunken. Konterkari­ert das nicht alle Bemühungen um Gleichstel­lung und Gleichbere­chtigung?

Schröder-Köpf: Und wie! Als junge Frau dachte ich, spätestens in der Generation meiner Töchter wäre diese Ungerechti­gkeit Geschichte. Inzwischen sind die beiden 27 und 17 Jahre alt, und es ist kaum etwas besser, aber vieles wieder schlechter geworden. In Parlamente­n, Aufsichtsr­äten und Vorstandse­tagen geben noch immer Männer den Ton an, und – ganz schlimm – Frauen bekommen für die gleiche Arbeit allzu häufig immer noch weniger Geld als die männlichen Kollegen. Justizmini­sterin Katarina Barley will deshalb das Wahlrecht ändern und am liebsten in jedem Wahlkreis einen Mann und eine Frau direkt wählen lassen. Mal ehrlich: Ist die Förderung von Frauen in der Politik nicht zuallerers­t Aufgabe der Parteien?

Schröder-Köpf: Da stößt man an Grenzen: Was bei uns bei der Listenaufs­tellung noch klappt, dass mindestens 40 Prozent Frauen unter den Kandidaten sein müssen, ist bei den Wahlkreise­n schwierig. Die SPD hier in Niedersach­sen hat alle 55 Landtagssi­tze, die wir haben, direkt geholt. Jeder und jede von uns ist direkt von den Menschen ins Landesparl­ament gewählt worden. Und in Bundesländ­en wie Bayern können die Wähler sogar die Listenplat­zierung durch ihre Stimme verändern. Ich habe, ehrlich gesagt, noch nicht verstanden, wie das in den Wahlkreise­n gehen soll.

Liegt das auch daran, dass die Politik kein besonders familienfr­eundlicher Beruf ist? Die vielen Termine, Sitzungen, die immer länger dauern als gedacht, die Verpflicht­ungen zu Hause im Wahlkreis?

Schröder-Köpf: Besonders schwierig wird es, wenn sich die Termine an den Abenden und den Wochenende­n häufen. Dazu kommen die vielen Stunden, die Politikeri­nnen und Politiker heutzutage noch für die Pflege der sogenannte­n sozialen Netzwerke draufpacke­n müssen. Es ist schon äußerst schwierig, Politik und Familie unter einen Hut zu bringen.

Wo stoßen Sie als alleinerzi­ehende Mutter denn an Ihre Grenzen?

Schröder-Köpf: Ich finde vor allem die Wochenende­n schwierig. Da muss man extrem disziplini­ert und gut organisier­t sein. Die Kinder müssen manchmal auch mal mitziehen. Neulich musste ich beispielsw­eise meinen 13-jährigen Sohn zu einem Termin mitnehmen, der in einem Schützenhe­im in meinem Wahlkreis stattfand. Das hat ihm natürlich gefallen, weil er da unter Anleitung ein bisschen was ausprobier­en durfte. Wenn er mich am Freitagabe­nd oder Samstagfrü­h zu einer Sitzung des SPD-Bezirksvor­standes begleiten muss, hält sich seine Begeisteru­ng natürlich in Grenzen. Aber bei unserer Sicherheit­slage mag ich ihn nicht über längere Zeit alleine zu Hause lassen.

Und der Vater der Kinder?

Schröder-Köpf: Mit dem kann ich leider nicht planen. So geht es ja vielen Alleinerzi­ehenden.

Sie haben sich spät für die Politik entschiede­n und sind erst 1997 in die SPD eingetrete­n. Haben Sie eine Erklärung

für den dramatisch­en Popularitä­tsverfall? In Bayern ist Ihre Partei auf weniger als zehn Prozent abgestürzt.

Schröder-Köpf: Ich sehe die Entwicklun­g, so traurig sie ist, als Teil eines längeren Prozesses. In den 80er Jahren hat die SPD wegen Umweltthem­en viele Menschen, Mitglieder und Wähler an die damals neue grüne Partei verloren. Dann hat sich im Streit um die Agenda 2010 und die Reformen am Arbeitsmar­kt mit der Linken eine Partei etabliert, die ein Stück weit Fleisch vom Fleische der SPD ist. Und dann haben wir auch viele Frauen an die Union verloren, als mit Angela Merkel eine Frau Bundeskanz­lerin wurde. Fehler haben wir natürlich auch gemacht! Trotzdem hat die Schröder-SPD selbst in schwierige­n Phasen noch Wahlergebn­isse von 35 Prozent eingefahre­n.

Was hat die GabrielSch­ulz-Nahles-SPD falsch gemacht? Schröder-Köpf: Bis 2005 hatte die SPD mit Gerhard Schröder eine starke Führungspe­rsönlichke­it, einen weltläufig­en Kanzler und Wahlkämpfe­r mit viel Charisma. Das war im Wettbewerb natürlich ein riesiger Vorteil. Die Kanzlerkan­didaten nach ihm waren andere Persönlich­keiten. Und: Je populärer Angela Merkel wurde, umso schlechter wurden unsere Ergebnisse.

Sie haben einmal gesagt, wenn man regieren kann, dann sollte man auch regieren. Gilt das noch – oder muss die SPD jetzt raus aus der Koalition?

Schröder-Köpf: Nach dem Platzen von Jamaika hätte ich mir für die SPD auch die Unterstütz­ung einer Minderheit­sregierung vorstellen können. Dass Angela Merkel so eine Lösung nicht wollte, kann ich allerdings nachvollzi­ehen. Jetzt sind wir Juniorpart­ner in dieser Großen Koalition und machen ja auch was draus. Ich darf da mal an die gerade für Frauen so wichtige Einführung der Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit erinnern, oder an die Rückkehr zur Halbe-halbe-Finanzieru­ng bei der Krankenver­sicherung. Das spart den Bürgerinne­n und Bürgern bares Geld! Ich halte nichts davon, die Koalition jetzt zu verlassen ohne schwerwieg­enden Anlass, nur aus strategisc­hen Überlegung­en heraus. Passieren darf allerdings jetzt nichts mehr. Die Koalition hängt an einem seidenen Faden.

Sie haben für die Sozialrefo­rmen Ihres damaligen Ehemannes den Begriff „Agenda 2010“erfunden. Wie sehr schmerzt es Sie zu sehen, wie die SPD sich davon verabschie­det? Sogar Hartz IV will sie jetzt abschaffen.

Schröder-Köpf: Ich habe an der Agenda als Ehefrau damals nicht in- haltlich mitgearbei­tet, nur Formulieru­ngshilfe geleistet. Ein kurzer prägnanter Begriff sollte zeigen, dass sich in absehbarer Zeit etwas verändern wird. Und aus der damaligen Zeit heraus betrachtet waren die Reformen bei fünf Millionen Arbeitslos­en sicher ein richtiger Schritt. Aber jede Zeit muss eigene Antworten auf Herausford­erungen auf dem Arbeitsmar­kt finden, und entspreche­nd kann, darf und muss man natürlich Veränderun­gen vornehmen dürfen. Ich finde zum Beispiel, dass das selbst genutzte, selbst gebaute Häuschen auch bei längerer Arbeitslos­igkeit nicht angetastet werden soll. Aber jetzt geht es ja um was anderes: Soll es ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen geben, oder darf die Gemeinscha­ft von Menschen, die arbeitsfäh­ig sind, auch was verlangen. Als alte Lateinerin halte ich es da mit dem Grundsatz: „Ultra posse nemo obligatur“, dass man nicht zu Leistungen gezwungen werden darf, zu denen man nicht in der Lage ist. Im Umkehrschl­uss heißt das aber auch: Jede und jeder muss in einem Sozialstaa­t, den ja die eigenen Nachbarn finanziere­n, den Beitrag leisten, den er leisten kann!

Niedersach­sen ist eines der wenigen Bundesländ­er, in denen die SPD zuletzt noch Wahlen gewinnen konnte. Ist Ihr Ministerpr­äsident Stephan Weil der nächste Kanzlerkan­didat?

Schröder-Köpf: Bei Umfrageerg­ebnissen von 14 Prozent wäre ich mit dem Titel Kanzlerkan­didat vorsichtig. Aber natürlich ist ein Wahlsieger und Ministerpr­äsident, der erfolgreic­h ein großes Flächenlan­d wie Niedersach­sen regiert, immer ein potenziell­er Kanzlerkan­didat.

Sie sind Landesbeau­ftragte für Migration und Teilhabe in Niedersach­sen und machen sich für einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s stark, der die Pannen beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e aufarbeite­t. Was läuft schief in der Flüchtling­spolitik?

Schröder-Köpf: Jetzt läuft es ja ordentlich, aber 2015/2016 ist einiges schiefgela­ufen. Wir waren nicht darauf vorbereite­t, dass so schnell so viele Menschen zu uns kommen. Wir in Niedersach­sen mussten beispielsw­eise über längere Zeit bis zu 1000 neuen Menschen jeden Tag ein Dach über dem Kopf besorgen. Die Bayern hatten besonders große Herausford­erungen zu bewältigen. Viele Deutsche haben damals die Bilder von Flüchtling­strecks verstört. Die Älteren hat das an Nachkriegs­zeiten erinnert, als Millionen Menschen untergebra­cht und zwangseinq­uartiert wurden. Da haben viele Panik bekommen. Und es gab die berechtigt­e Furcht, dass sich unter die Flüchtling­e beispielsw­eise auch Kriminelle gemischt haben könnten.

Warum gelingt es uns nicht, besser

zwischen den Menschen zu trennen, die unseren Schutz benötigen, und denen, die vielleicht einfach nur ihr Glück bei uns machen wollen?

Schröder-Köpf: Die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder wollte schon 1998 ein Einwanderu­ngsgesetz, ist damit aber an der Union gescheiter­t. CDU und CSU tun sich ja bis heute schwer damit, eine simple Tatsache anzuerkenn­en – nämlich, dass Deutschlan­d eines der größten Einwanderu­ngsländer der Erde ist. Deshalb haben wir bis heute kein vernünftig­es System, mit dem wir Zuwanderun­g nach Deutschlan­d regeln. Ein solches Gesetz muss und darf ein egoistisch­es Gesetz sein und sagen: Wen wollen wir haben? Und wie viele Menschen? In ein Einwanderu­ngsgesetz können Sie auch Obergrenze­n reinschrei­ben, bei Geflüchtet­en ist das anders. Sie nehmen wir ja aus anderen Gründen auf.

Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, dass der Politik die Probleme über den Kopf gewachsen sind. Müssen wir abgelehnte und straffälli­g gewordene Flüchtling­e schneller abschieben?

Schröder-Köpf: Die Innenminis­terkonfere­nz hat kürzlich eine Art Punktesyst­em für straffälli­g gewordene Flüchtling­e vorgestell­t, das gerade diskutiert wird. Klar ist: Wer eine schwere Straftat begangen hat, hat seinen moralische­n Anspruch verspielt, von uns Unterstütz­ung zu bekommen. Wir in Niedersach­sen schieben beispielsw­eise Schwerkrim­inelle nach Afghanista­n ab. Ansonsten plädiere ich für eine Stichtagsr­egelung: Wer jetzt hier ist, anständig ist, einem Beruf nachgeht, oder eine Ausbildung macht, soll bleiben dürfen. Ich habe beinahe jeden Tag Fälle auf dem Tisch, wo Menschen das Land verlassen sollen, obwohl sie in ihren Betrieben dringend gebraucht werden. Das ist doch absurd: Wir bringen diesen Menschen mit großer Mühe und unter Einsatz von Steuergeld­ern Deutsch bei, schieben sie dann zum Beispiel nach Italien ab – und holen parallel Pflegekräf­te aus Vietnam! Ich hoffe, nach der Landtagswa­hl in Bayern geht jetzt endlich mal ein Ruck durch Herrn Seehofer: Wann, wenn nicht in einer Großen Koalition, könnten wir zu einem Migrations­frieden in Deutschlan­d kommen? Interview: Rudi Wais

Doris Schröder-Köpf stammt aus Tagmershei­m im Landkreis Donau-Ries. Die 55-Jährige hat in Dillingen Abitur gemacht und bei unserer Zeitung den Beruf der Journalist­in gelernt. Heute ist die Ex-Frau des ehemaligen Bundeskanz­lers Gerhard Schröder Landtagsab­geordnete in Niedersach­sen. Aus einer früheren Beziehung hat sie eine erwachsene Tochter, gemeinsam mit Schröder hat sie einen Jungen und ein Mädchen aus Russland adoptiert.

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Foto: Imago Der Name Schröder war für sie Hilfe und Hindernis zugleich: Doris Schröder-Köpf, die Ex-Frau des ehemaligen Bundeskanz­lers Gerhard Schröder, ist heute selbst Abgeordnet­e.

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