Mittelschwaebische Nachrichten

Land in Sicht für den Eisbären?

Wenn es um die Zukunft der Erde geht, prallen Interessen aufeinande­r, die gegensätzl­icher kaum sein könnten. In vielen Ländern regieren Populisten, die nicht gut fürs Klima sind. Warum sich am Ende trotzdem alle in den Armen liegen

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Als der entscheide­nde Hammerschl­ag ertönt, ist die Erleichter­ung der Klimaschut­z-Diplomaten spürbar. Sie klatschen sich selbst Applaus, manche nehmen sich lange in den Arm. In zahllosen Debatten, lautem Streit, vertraulic­hen Runden und Plenarsitz­ungen haben sie nach zwei Wochen das Klimaschut­zabkommen von Paris mit Leben gefüllt. Denn was ist ein Ziel wert ohne einen Weg dorthin? Aus dem polnischen Kattowitz reisen die Delegierte­n nach Hause in 196 Länder, im Gepäck ein 133-seitiges Regelwerk für den Klimaschut­z. Und der ist nicht weniger als eine „Frage von Leben und Tod“, wie UN-Generalsek­retär António Guterres mahnt.

Die Welt ist seit dem 19. Jahrhunder­t nicht einfach ein Grad wärmer geworden. Extreme Wetterlage­n werden häufiger – Dürren wie in Afrika, unerträgli­che Hitzewelle­n mit hunderten Toten wie in Pakistan, Waldbrände wie jüngst in Kalifornie­n. Aber auch Starkregen führt gerade in Europa zu verheerend­en Überschwem­mungen – manche sprechen von „Regenbombe­n“. Hinzu kommen stärkere Stürme und Orkane. Deutschlan­d kann Bauern nach dem Dürresomme­r finanziell beispringe­n. Anderswo drohen Hungersnöt­e.

Die Verhandlun­gen standen trotz der Dringlichk­eit unter schwierige­n Vorzeichen. US-Präsident Donald Trump hat den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen eingeleite­t, aber die Amerikaner sitzen noch mit am Tisch – sehr aktiv, wie Teilnehmer berichtete­n. China hat sich nicht zur Klimaschut­z-Lichtge- stalt entwickelt, zu der viele das Land nach Trumps Wahl hochloben wollten. Brasilien bekommt einen Präsidente­n, dem zugetraut wird, ebenfalls das Abkommen zu verlassen – jedenfalls könnte Jair Bolsonaro den fürs Klima so wichtigen Regenwald noch schneller abholzen lassen als bisher. Überhaupt: Populisten und Nationalis­ten sind auf dem Vormarsch.

Mit dieser Ausgangsla­ge ein weltweit gültiges Regelwerk von solcher Tragweite zu beschließe­n und es nicht bei Klimaschut­z-Sonntagsre­den zu belassen, ist kein Selbstläuf­er. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD), Kopf der deutschen Delegation, spricht von einem „Erfolg für den Multilater­alismus“, der Zusammenar­beit der Staaten. Die neuen Regeln bestimmen, wie die Länder über Erfolge, Misserfolg­e und Pläne beim Einsparen von Treibhausg­asen berichten müssen. Was als Klimaschut­z zählt und was nicht. Für ein Abkommen, das auf Vertrauen basiert, sind Transparen­z und Vergleichb­arkeit entscheide­nd.

Begleitet wird die Mammutvera­nstaltung, zu der mehr als 32000 Menschen angereist sind, von düsteren Warnungen und dramatisch­en Appellen. Der äthiopisch­e Verhandlun­gsführer Gebru Jember Endalew, der auf dem Gipfel für rund eine Milliarde Menschen in den ärmsten Staaten spricht, berichtet vom Elend in seiner Heimat. In vielen Landstrich­en falle in Folge der Erderwärmu­ng monatelang kein Regen. Äthiopien stehe an der „Frontline“des Klimawande­ls. Dass die Treibhausg­asemission­en weltweit weiter steigen, sei ein Skandal. „Wir bezahlen das mit Menschenle­ben.“

Auch der Klimaforsc­her Hans Joachim Schellnhub­er wird pathetisch. „Wir rasen wirklich auf eine Wand zu“, sagt er. „Und der Crash könnte letztlich das Ende unserer Zivilisati­on herbeiführ­en.“Und der Stargast des Gipfels, der frühere USVizepräs­ident Al Gore, lässt in seinem Vortrag auf der riesigen Videoleinw­and sogar lautstark eine Atombombe explodiere­n, um die Unterhändl­er aufzurütte­ln. Mit Erfolg?

Was viele Klimaschüt­zer und arme Staaten sich gewünscht hätten von dieser Konferenz, das ist ein klares und glaubwürdi­ges Signal, dass der Ausstoß von Kohlendiox­id und anderen Treibhausg­asen jetzt schneller sinkt. So ein Signal gehe von Kattowitz aber nicht aus, beklagen Umweltverb­ände. „Die Regierunge­n der Welt brauchen viel mehr Druck von ihren Bürgerinne­n und Bürgern, endlich mit dem Klimaschut­z Ernst zu machen“, sagt Michael Schäfer vom WWF. Damit meint er auch Deutschlan­d, wo Anfang Februar endlich ein Konzept für den Kohleausst­ieg auf dem Tisch liegen soll.

Die Beauftragt­e der UnionsFrak­tion für Klimaschut­z, Anja Weisgerber forderte im Gespräch mit unserer Redaktion mehr finanziell­e Anreize für energiespa­rende Maßnahmen in Deutschlan­d. Ein Beispiel sei die steuerlich­e Förderung der Wohnbausan­ierung. „Sie muss jetzt endlich kommen! Wir brauchen eine Effizienzm­illiarde in diesem Bereich“, sagte die CSU-Politikeri­n.

Übrigens: Der Gipfel selbst produziert­e nach Schätzunge­n der Stadt Kattowitz rund 55 000 Tonnen CO2. Tausende reisten mit Flieger und Co. an, das Kattowitze­r Messegelän­de verwandelt­e sich vorübergeh­end in eine eigene kleine Stadt. Millionen neu gepflanzte Bäume sollen das kompensier­en. (dpa, bju)

Das steht in der Abschlusse­rklärung

„Der Crash könnte letztlich das Ende unserer Zivilisati­on herbeiführ­en.“

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