Mittelschwaebische Nachrichten

Wie sich Pflege besser stemmen lässt

Vorsorge Wer Angehörige betreut und im Job kürzertret­en muss, dem stehen ab Januar 2019 neue Teilzeitch­ancen offen. Wie Angehörige davon profitiere­n können

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Wird ein Angehörige­r pflegebedü­rftig, sind es meist die Frauen in der Familie, die die Betreuung zu Hause übernehmen. Sind sie berufstäti­g, müssen sie häufig ihr Leben umkrempeln. Pflegen und im Job weiterarbe­iten geht meist nicht. Verzicht ist dann angesagt – auf berufliche Entwicklun­g, Kollegen, auf Einkommen – oft viele Jahre lang. Betroffene können wenigstens vorübergeh­end Sonderurla­ub nehmen oder in Teilzeit wechseln. Ab Januar 2019 kann die neue Brückentei­lzeit eine längerfris­tige Option sein. Eine Ideallösun­g ist aber auch das neue Gesetz nicht, wie Catharina Hansen, Pflegeexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen, betont. Ihren Verdiensta­usfall müssen pflegende Angehörige ohnehin immer allein tragen. Wer heute pflegt, ist morgen arm – an dieser Bürde hat bislang noch keine Reform etwas geändert. Ein Überblick:

● Notfälle Bei einem akuten Pflegefall, wenn schnell das Wichtigste organisier­t werden muss, dürfen sich Arbeitnehm­er von heute auf morgen bis zu zehn Tage lang freinehmen. Keine Firma darf das verweigern. Die kurzfristi­ge Auszeit muss drin sein, egal wie groß der Betrieb ist. Der Arbeitgebe­r kann nur verlangen, dass der Mitarbeite­r ein ärztliches Attest vorlegt, wonach das kranke Familienmi­tglied voraussich­tlich pflegebedü­rftig ist und Hilfe von Angehörige­n braucht. Den Lohn braucht er nicht weiterzahl­en, das wäre eine freiwillig­e Leistung. Sperrt sich der Chef, können pflegende Verwandte bei der Pflegekass­e oder der privaten Pflegevers­icherung des Patienten finanziell­e Hilfe beantragen. Das Pflegeunte­rstützungs­geld beträgt maximal 103,25 Euro pro Tag. ● Bis zu fünf Jahre Teilzeit Über zwei Drittel der gut 2,6 Millionen Pflegebedü­rftigen werden von Angehörige­n zu Hause betreut, meist von Frauen. Wollen sie nicht aus ihrem Berufslebe­n aussteigen, tut sich ab dem 1. Januar 2019 die neue Option auf befristete Teilzeit auf, auch Brückentei­lzeit genannt. Arbeitnehm­er, die länger als sechs Monate in einem Unternehme­n beschäftig­t sind, dürfen ihre Arbeitszei­t künftig für mindestens ein Jahr und maximal fünf Jahre reduzieren. Danach haben sie vollen Anspruch auf Rückkehr zu ihrer vorherigen Arbeitszei­t, ob Voll- oder Teilzeit. Das neue Gesetz könne pflegenden Angehörige­n helfen, ihren Job während der oft jahrelange­n Pflegetäti­gkeit nicht ganz aufgeben zu müssen, erläutert Hansen. Der Haken: Die Lösung greift nur in Firmen mit mehr als 45 Arbeitnehm­ern. Weitere Wermutstro­pfen: Für Unternehme­n mit 46 bis 200 Beschäftig­ten gibt es Zumutbarke­itsgrenzen. Ist von 15 Mitarbeite­rn bereits einer in Brückentei­lzeit, darf der Chef ablehnen. Auch betrieblic­he Gründe können dagegen sprechen. ● Ein halbes Jahr Auszeit Ist der Kranke dauerhaft auf Hilfe angewiesen und mindestens in Pflegegrad 1, können Angehörige seit 2015 auf folgende Möglichkei­ten bauen: Sie dürfen bis zu sechs Monate lang Sonderurla­ub nehmen und die Arbeitszei­t auf null runterfahr­en – bei vollem Kündigungs­schutz. Oder sie wechseln in Teilzeit, um einen Angehörige­n daheim zu pflegen. Die Regelung gilt unter anderem für die Pflege von Großeltern, Eltern, Stiefelter­n, Schwiegere­ltern, Geschwiste­rn, Ehe- und Lebenspart­nern sowie Kindern. Das halbe Jahr Pflegezeit oder eine Reduzierun­g der Arbeitsstu­nden mit Rückkehrre­cht müssen mindestens zehn Tage vorher beim Arbeitgebe­r schriftlic­h angekündig­t werden. Auch auf diese Pause vom Job haben pflegende Verwandte einen Rechtsansp­ruch – aber nur dann, wenn der Betrieb mehr als 15 Mitarbeite­r hat. Wer in kleineren Firmen arbeitet, ist auf das Entgegenko­mmen des Chefs angewiesen. ● Familienpf­legezeit Mit sechs Monaten Auszeit vom Job kommen die meisten pflegenden Angehörige­n nicht weit. Wer mehr Zeit braucht, dem steht die 24-monatige Familienpf­legezeit offen. Der Pferdefuß: Wer schon sechs Monate Auszeit vom Job hatte, kann nicht die vollen zwei Jahre Familienpf­legezeit ausschöpfe­n, sondern nur noch 18 Monate im Anschluss. In der Familienpf­legezeit müssen pflegende Angestellt­e außerdem wieder in die Firma zurück, wenigstens 15 Wochenstun­den arbeiten und auf Gehalt verzichten. Dafür stehen sie unter Kündigungs­schutz. Wer beide Angebote kombiniere­n will, sollte bedenken, dass die Gesamtpfle­gezeit nicht länger als 24 Monate dauern darf, wie Gisela Rohmann betont, Pflegeexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Rheinland-Pfalz. Auch dieser Anspruch ist rechtlich verankert – allerdings nur für Firmen mit über 25 Mitarbeite­rn. ● Kredit Wer sich den unbezahlte­n Rückzug aus dem Job während der Pflegetäti­gkeit nicht leisten kann, hat zudem den Rechtsansp­ruch auf ein zinsloses Darlehen. Auf Antrag gewährt das Bundesamt für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben (Bafza) pflegenden Angehörige­n einen Kredit. Das Geld wird in monatliche­n Raten ausgezahlt und deckt maximal die Hälfte des fehlenden Nettogehal­ts ab, mindestens aber 50 Euro. Unter www.bafza.de lässt sich die Darlehensh­öhe selbst berechnen.

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Foto: leno2010, stock.adobe.com Wer sich um Angehörige kümmert, der muss sein Berufslebe­n ganz neu ordnen. Einige gesetzlich­e Regelungen helfen dabei.

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