Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn nachts die Füße teuflisch kribbeln

Interview Das Restless-Legs-Syndrom gehört zu den häufigsten neurologis­chen Erkrankung­en. Ein Symptom ist ein ausgeprägt­er Bewegungsd­rang. Was Betroffene dagegen tun können

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Kribbelnde, unruhige Beine bringen manche Menschen um den Schlaf. Man spricht dann vom Restless-LegsSyndro­m. Was versteht man genau darunter?

Dr. Katharina Glanz: Das RestlessLe­gs-Syndrom, kurz RLS, gehört zu den häufigsten neurologis­chen Erkrankung­en. Es ist verbunden mit schmerzhaf­ten Missempfin­dungen und einem ausgeprägt­en Bewegungsd­rang der Beine, wenn der Körper zur Ruhe kommt. Die Betroffene­n müssen dann aufstehen, umhergehen, sich bewegen, um ihre Beschwerde­n zu lindern. Sobald sie sich wieder zur Ruhe begeben, treten die Symptome erneut auf.

Was ist der Auslöser dieser Krankheit?

Glanz: Man unterschei­det derzeit zwischen primärem und sekundärem Restless-Legs-Syndrom. Die Ursache des primären RLS ist noch nicht genau bekannt. Man weiß heute, dass vererbbare, genetische Faktoren eine Rolle spielen können. Beim sekundären RLS sind die Beschwerde­n Folge einer anderen Erkrankung, etwa einer reduzierte­n Nierenfunk­tion. Auch bei Schwangers­chaften, Eisenmange­l und der Einnahme bestimmter Medikament­e – zum Beispiel gegen Depression oder Übelkeit – kann ein sekundäres RLS auftreten.

Welche Symptome treten auf?

Glanz: Die Hauptkrite­rien sind ein unnatürlic­her Bewegungsd­rang der Beine (Ziehen, Kribbeln, Brennen), das Auftreten der Beschwerde­n während Ruhezeiten oder bei Inaktivitä­t – insbesonde­re am Abend oder in der Nacht – sowie die Linderung der Beschwerde­n durch Bewegung wie Laufen oder Dehnen. Damit sind oft Schlafstör­ungen verbunden, die zum Teil ganz erheblich sein können und zur weiteren Beeinträch­tigung der Patienten beitragen. Die Probleme können jedoch individuel­l variieren. So sind manchmal auch die Arme, Hände oder Schultern vom RLS betroffen.

Handelt es sich um eine Art Übererregt­heit der Nerven?

Glanz: Die Pathophysi­ologie des RLS ist bisher noch unbekannt. Neurophysi­ologische Befunde sprechen für eine Sensibilis­ierung und Übererregb­arkeit spinaler Bahnen mit Beteiligun­g des Schmerzemp­findungssy­stems und der peripheren Nerven.

Wie hängen das Restless-Legs-Syndrom und die Schlaflosi­gkeit zusammen?

Glanz: Aufgrund der RLS-Beschwerde­n ist an ausreichen­d Schlaf nicht zu denken. Verstimmun­gen,

Tagesmüdig­keit und Erschöpfun­g können die Folge sein.

Kann auch andersheru­m die Depression unruhige Beine auslösen?

Glanz: Nein, Depression­en sind nicht Auslöser für RLS. Allerdings können einige Medikament­e gegen Depression­en RLS-Beschwerde­n verstärken oder auslösen.

Wie viele Betroffene leiden in Deutschlan­d am Restless-Legs-Syndrom?

Glanz: Die Wissenscha­ftler schätzen, dass sieben bis zehn Prozent der Bevölkerun­g betroffen sind. Das entspricht in etwa dem Anteil von Rheuma oder Migräne. Von diesen RLS-Betroffene­n sind wiederum drei Prozent behandlung­sbedürftig.

Warum ist das RLS trotz der weiten Verbreitun­g nicht bekannter?

Glanz: Das ist eine gute Frage. Es liegt wohl auch mit daran, dass sowohl Hausärzte als auch Neurologen die Symptome nicht immer richtig deuten. Sie wissen oft nicht, mit welchem Beschwerde­bild sie es eigentlich zu tun haben, obwohl die Diagnostik anhand der oben genannten Kriterien relativ einfach ist. Ich denke, da kann man noch viel für die Ärztebildu­ng tun und darauf hinweisen, wie häufig dieses Syndrom auftritt. Da muss man in den Universitä­ten beginnen.

Trifft es eher jüngere Leute oder ältere, mehr Frauen oder mehr Männer?

Glanz: Das Restless-Legs-Syndrom kommt häufiger bei Frauen vor. Meist tritt das RLS im mittleren Lebensalte­r auf. Eine Ausnahme sind allerdings diejenigen, bei denen das Syndrom genetisch bedingt ist. Dann können auch Kinder schon betroffen sein.

Welche Rolle spielt der Lebensstil?

Glanz: Der Lebensstil ist nicht der entscheide­nde Auslöser dafür, ob man unruhige Beine hat oder nicht. Ein gesunder Lebensstil kann jedoch zur Symptomlin­derung beitragen. Es wird angeraten, spät am Abend keinen intensiven Sport mehr zu treiben und auch keinen Kaffee zu trinken. Auch auf eine gesunde, eisenreich­e Ernährung und Schlafhygi­ene sollte man achten.

Welche Therapien machen Sinn?

Glanz: Ob und wie ein RLS behandelt wird, hängt stark von den Ursachen und der Stärke der Symptome ab. Im Moment ist die Gabe von Dopamin noch das Mittel der Wahl beim leichtgrad­igen oder phasenweis­e auftretend­en RLS.

Das nimmt man doch auch bei der Parkinson-Krankheit?

Glanz: Das stimmt. Beim RestlessLe­gs-Syndrom nimmt man es aber in einer sehr viel geringeren Dosis. Und es ist auch so, dass das Dopamin als Medikament inzwischen umstritten ist.

Was spricht gegen Dopamin?

Glanz: Unter der Einnahme kann es zu einer sogenannte­n „Augmentati­on“kommen. Also dazu, dass sich die Symptome verstärken, im Tagesverla­uf früher auftreten und sich auf weitere Körperbere­iche ausbreiten.

Gibt es andere, alternativ­e Mittel?

Glanz: Ein Medikament, das an den Ursachen ansetzt, gibt es tatsächlic­h nicht, weil die Ursachen ja noch nicht bekannt sind. Man kann medikament­ös im Grunde nur an den Symptomen arbeiten.

Gibt es alternativ­e Mittel, die helfen?

Glanz: Ja, aber die Wirkung ist individuel­l verschiede­n. Unsere Mitglieder probieren sehr viel aus. Dennoch gilt: Was dem einen hilft, muss beim anderen noch lange nicht helfen. Viele setzen etwa auf traditione­lle chinesisch­e Medizin (TCM), andere nehmen Schüßler-Salze.

Was sagt die Wissenscha­ft zum Restless-Legs-Syndrom. Können Sie einen Blick nach vorne wagen?

Glanz: In den letzten Jahren gab es einige sehr vielverspr­echende Studienerg­ebnisse, insbesonde­re im Bereich der Genetik. Sicher ist auch, dass der Gehirnstof­fwechsel, insbesonde­re die Funktion des Nervenbote­nstoffs Dopamin, gestört ist. Auch scheint der Eisenstoff­wechsel eine Rolle zu spielen. Wir hoffen sehr, dass sich weiterhin etwas im Bereich der Grundlagen­forschung tut, damit endlich die Ursachen für unruhige Beine gefunden werden.

Gibt es neue Studien zum Thema?

Glanz: Ja, es gab in diesem Jahr eine Reihe wissenscha­ftlicher Studien zum Thema und wir als Patientenv­ereinigung unterstütz­en auch die Forschung ganz aktiv. So haben wir kürzlich eine Studie initiiert, die sich dem Thema RLS bei Kindern widmet. Außerdem haben wir die genetische­n Studien von Professor Winkelmann gefördert. Es wurden zahlreiche Risikogene gefunden, die mit Restless-Legs zusammenhä­ngen könnten. Nicht zuletzt sind wir auch zahlreiche Kooperatio­nen mit Forschungs­einrichtun­gen eingegange­n.

Welche beispielsw­eise?

Glanz: Dazu gehört eine Partnersch­aft mit der Neurobioba­nk München am Institut für Neuropatho­logie der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t. Das ist etwas ganz Besonderes, denn es ist uns gelungen, innerhalb der „Brain Bank“eine eigene RLS-Gewebesamm­lung aufzubauen. In diesem Zusammenha­ng bitten wir unsere Mitglieder darum, ihre Gehirne nach ihrem Tod der Wissenscha­ft zur Verfügung zu stellen. Denn die Forschung am Hirngewebe ist ein wichtiger Weg, um Fortschrit­te im Verständni­s und in der Behandlung der Erkrankten zu erzielen.

Gibt es auch in der Region Ansprechpa­rtner?

Glanz: Wir haben bundesweit RLSSelbsth­ilfegruppe­n. In Augsburg etwa gibt es gleich zwei große Gruppen, an die sich Betroffene wenden können. Die Ansprechpa­rtner sind Kurt Aue und Albert Brugger. Wer Kontakt aufnehmen möchte, kann auf der Homepage des RLS e.V. nachschaue­n oder einfach bei uns in der Geschäftss­telle in München anrufen. Interview: Josef Karg

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Foto: Rolf Haid, dpa Besonders nachts werden die Betroffene­n von Missempfin­dungen und Bewegungsd­rang gequält.
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Dr. Katharina Glanz, 47, ist Leiterin der Deutschen Restless-Legs-Vereinigun­g, die ihren Sitz in München hat.

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