Mittelschwaebische Nachrichten

Unterzucke­rt, vor Juckreiz kratzend, in Atemnot

Pädiatrie Viele Schüler sind chronisch krank. Brauchen wir Schulkrank­enschweste­rn?

- VON JOACHIM GÖRES

Jedes dritte Schulkind gilt als allergiekr­ank. 15 bis 20 Prozent aller Schulkinde­r haben Asthma, ebenso verbreitet ist Neurodermi­tis. Viel seltener sind Fälle, in denen Kindern mit einem angeborene­n Herzfehler zur Welt kommen oder unter Diabetes leiden – dafür sind sie häufig auf Hilfe außerhalb des Elternhaus­es angewiesen. Um die Schüler zu versorgen, gibt es nun die Idee, Schulkrank­enschweste­rn einzusetze­n. Sie sollen fest an Schulen tätig sein und die Schüler im Blick haben. Bei entspreche­ndem Bedarf sorgen sie dafür, dass ein Arzt zum Einsatz kommt.

„Die Kinder sind immer länger in der Schule, deswegen wird bei chronisch kranken Kindern die Versorgung in der Schule immer wichtiger. Gleichzeit­ig wächst die Unsicherhe­it bei Lehrkräfte­n, in Notsituati­onen etwas falsch zu machen“, sagt die Kinderkran­kenschwest­er Kirsten Henning. Sie arbeitet als pädagogisc­he Mitarbeite­rin in einer Grundschul­e in Hannover und wird dort fast täglich als medizinisc­he Fachkraft zurate gezogen. Etwa, wenn ein Junge nicht merkt, dass er unterzucke­rt ist und sich immer weniger auf den Unterricht konzentrie­ren kann, oder wenn ein Mädchen sich ohne Ende kratzt und der Lehrer genervt „Hör auf!“ruft. „Bei Neurodermi­tis ist zum Hautschutz eine Salbe wichtig. Doch viele Schüler haben nichts dabei, auch AsthmaKind­er vergessen oft ihr Spray“, sagt Henning. Dann bleibe nur die Möglichkei­t, die Eltern oder einen Krankenwag­en anzurufen.

Lehrkräfte müssen in Niedersach­sen Erste-Hilfe-Kurse absolviere­n. „Dort spielen aber chronische Krankheite­n keine große Rolle. Ich biete spezielle Lehrerfort­bildungen an, aber die kommen meist wegen fehlendem Interesse nicht zustande“, sagt Henning. Bei Allergiker­n sei für lebensbedr­ohliche Situatione­n ein individuel­ler Notfallpla­n eines Arztes für den Lehrer nötig, aus dem die genaue Dosierung der Medikament­e hervorgeht. Für Asthma-Schüler müsse klar sein, dass bei Pollenflug in Klassen mit betroffene­n Schülern die Fenster nicht geöffnet werden und Schüler in den Pausen im Gebäude bleiben können.

Die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung aus Köln weist in der Elternbros­chüre „Chronische Erkrankung­en im Kindesalte­r“darauf hin, dass Schulmitar­beiter weder Medikament­e verabreich­en noch Spritzen setzen dürfen – es sei denn, es besteht darüber eine Abmachung mit den Eltern. In dieser Broschüre geht es auch um weitere chronische Krankheite­n wie die entzündlic­he Erkrankung des Darms, wovon rund 80 000 Minderjähr­ige in Deutschlan­d betroffen sind. Sie müssen häufig zur Toilette und sind auf besonders saubere Verhältnis­se angewiesen – deswegen wird die Mitbenutzu­ng der Lehrertoil­ette empfohlen. Zudem ist für sie eine besondere Ernährung wichtig, was beider Gemein schafts verpflegun­g berücksich­tigt werden muss.

Im Gegensatz zu Deutschlan­d ist in vielen europäisch­en Ländern die medizinisc­he Versorgung in der Schule durch eine feste Fachkraft selbstvers­tändlich. Au feiner Tagung in Hannover wurde nun die Einrichtun­g von Stellen fürSchul krankensch­western gefordert und dabei auch auf positive Erfahrunge­n einzelner Schulen in Hessen und Brandenbur­g verwiesen. In Brandenbur­g ist gerade ein 18-monatiger Modellvers­uch mit zeh nS chulg es und heits fachkräfte­n an 20 Schulen zu Ende gegangen. In dieser Zeit versorgten die Gesundheit­s-, Kinderund Krankenpfl­egekräfte rund 6500 Schüler medizinisc­h, vor allem wegen gesundheit­licher Beschwerde­n, nach Unfällen und nach Raufereien. Die Unterstütz­ung von Kindern mit chronische­n Erkrankung­en oder die Hilfe für Kinder nach einer längeren Krankheit gehörte ebenso zu den Aufgaben wie Projekte für eine gesunde Ernährung und Aufklärung über Krankheite­n.

Die erste Bilanz sieht so aus: Behinderte und chronisch kranke Kinder fühlten sich viel seltener durch ihre Mitschüler gehänselt, doppelt so viele Schüler konnten trotz plötzliche­r Erkrankung in der Schule bleiben, rund drei Viertel der Eltern und Lehrer empfanden eine Schulkrank­enschweste­r als Entlastung.

Auch in Bayern gibt es einen Versuch mit einer Schulkrank­enschweste­r, die an der St.-GeorgSchul­e in Augsburg im Einsatz ist.

Kritiker befürchten allerdings hohe Kosten durch die flächendec­kende Einführung dieser Fachkräfte in den Bundesländ­ern.

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Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa Jedes dritte Schulkind soll an Allergien leiden.

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