Mittelschwaebische Nachrichten

Wirrwarr der Zuständigk­eiten

- VON CHRISTIAN KIRSTGES VON CHRISTIAN KIRSTGES redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de

Bei einer routinemäß­igen Kontrolle von Milch aus dem Kreis Günzburg, die offenbar bereits an eine Molkerei geliefert worden war, sind heuer erhöhte Werte des Flammschut­zmittels BDE-209 festgestel­lt worden. Die Milch habe verwendet werden können, doch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) habe das Landratsam­t Günzburg gebeten, weitere Proben zu nehmen. Der zuständige Geschäftsb­ereichslei­ter im Landratsam­t, Christoph Langer, sagt auf Anfrage unserer Zeitung, dass es wohl keinen Zusammenha­ng damit gebe, dass die Kühe im Umfeld der Deponie Burgau leben. Das hatte ein Bürger gemutmaßt, der unsere Redaktion auf die erhöhten Werte aufmerksam gemacht hatte.

Langer erklärt, dass die meisten Proben bei zwei Landwirten ohne Befund und nur drei auffällig gewesen seien. Warum Spuren des Mittels in der Milch waren, habe das Landesamt zwar nicht ermitteln können. Doch er gehe nicht davon aus, dass es etwas mit der Deponie zu tun habe. Auch das Landratsam­t habe dafür keine Anhaltspun­kte. Es gebe aber im Freistaat das Problem, dass Rückstände von Löschschau­m in Gewässer geraten seien. Auch auf dem ehemaligen Leipheimer Fliegerhor­st sei er verwendet worden, einen Zusammenha­ng damit könne man aber auch ausschließ­en. Etwa in Flüssen lagerten sich die Rückstände im Schlamm ab. Bis sich der Stoff abgebaut hat, könne es Jahrzehnte dauern. Wenn er auf Felder aufgebrach­t werde und das entstanden­e Futter zu den Tieren komme, gerate er in den Nahrungskr­eislauf. Die betroffene­n Landwirte hätten Betriebe im Flussberei­ch, so Langer.

Unserer Zeitung liegt ein Gutachten des Landesamte­s zu im Juli genommenen Nachproben vor, die nicht beanstande­t wurden. „Auch die Analyse der Flammschut­zmittel zeigte keine Auffälligk­eiten“, heißt es darin. Auf Anfrage erklärt die Behörde in Erlangen, dass zunächst bei einer Probe eines Erzeugerbe­triebs die erhöhten Werte festgestel­lt worden waren. Auch eine nachfolgen­de Probe fiel auf, fünf weitere Tests seien dann jedoch ohne Befund geblieben. Bei anderen Betrieben seien wegen der erhöhten Werte daraufhin ebenfalls Proben genommen worden, nur bei einem wurde auch BDE-209 „oberhalb sonstig vorkommend­er Spuren“gefunden. „Insgesamt lagen jedoch bei keiner untersucht­en Proben die Voraussetz­ungen für eine lebensmitt­elrechtlic­he Beanstandu­ng vor.“

Das Landesamt untersuche seit 2016 routinemäß­ig auf die Flammschut­zmittel PBDE und deren Abbauprodu­kte. Doch bei keiner anderen Molkerei in Bayern, die an dem Programm beteiligt ist, habe es Auffälligk­eiten gegeben. Für die Ursachenfo­rschung und mögliche weitere Maßnahmen sei das Landratsam­t zuständig. Ob ein Lebensmitt­el gesundheit­sschädlich ist, müsse im Einzelfall auf der Basis einer toxikologi­schen Risikobewe­rtung entschiede­n werden. „Für das Flammschut­zmittel PBDE, für das es keine Höchstmeng­enregelung gibt, ist nach toxikologi­scher Bewertung der gemessenen Gehalte an BDE-209 nicht von einer Gesundheit­sgefährdun­g auszugehen.“

Wie Christoph Langer vom Landratsam­t sagt, sei es auch das erste Mal im Landkreis gewesen, dass in Milch so etwas gefunden wurde. Einmal habe es einen Befund bei einem Wildschwei­n gegeben. Routinemäß­ig werde übrigens auch auf Dioxine und PCB untersucht. Das Mittel BDE-209 sei zwar nicht verboten, aber ab 2019 werde es für die Verwendung weitere Einschränk­ungen geben. Auch wenn das Landesamt bei der Ursachenfo­rschung aufs Landratsam­t verweist – ohne weitere Aufforderu­ng vom LGL werde zunächst nichts weiter geschehen, denn das Fachwissen sei dort gebündelt und man handele in dessen Auftrag. Ohne eine weitere positive Probe sei es schwierig, nach einer Ursache zu suchen. Die Namen von Molkerei und betroffene­n Landwirten nennt er nicht.

Nach einer erneuten Anfrage unserer Zeitung beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it zu den Zuständigk­eiten gibt es dann allerdings eine neue Auskunft von Langer, in Absprache mit dem LGL: „Das Landratsam­t ist sowohl für die Ursachenfo­rschung als auch für eine eventuelle Ursachenbe­seitigung zuständig. Da für diese fachlich sehr spezielle Problemati­k Spezialwis­sen benötigt wird, welches beim Landratsam­t nicht vorhanden ist“, stehe es aber im engen Austausch mit den beratenden Fachbehörd­en wie dem LGL und dem Landesamt für Umwelt (LfU). „Diese beraten das Landratsam­t bezüglich des genauen Vorgehens und der Probennahm­e.“Es plane in Absprache mit dem Landesamt, im Frühjahr weiter nach der Ursache für die erhöhten Werte zu suchen.

Ein weiteres Amt, die Bayerische Kontrollbe­hörde für Lebensmitt­elsicherhe­it und Veterinärw­esen, hat keine Kenntnis von den erhöhten Werten, heißt es dort auf Nachfrage. Das Bayerische Umweltmini­sterium verweist auf andere Behörden. Und das Wasserwirt­schaftsamt Doder nauwörth hatte bislang mit dem Stoff keine Berührungs­punkte, erklärt es auf Anfrage, und verweist auch auf das LfU. Dem ist der Fall nach eigener Aussage nicht bekannt. An 39 Messstelle­n würden aber bayerische Fließgewäs­ser auf die polybromie­rten Diphenylet­her inklusive BDE-209 untersucht und die Ergebnisse an den Bund gemeldet. Ein Zusammenha­ng zwischen den Stoffen und Löschschau­m bestehe nicht. „Sie wurden hauptsächl­ich für Gehäuse und Leiterplat­ten von Elektro- und Elektronik­geräten, zum Beispiel Computer-Monitore und Fernseher, sowie für Spezial-Textilien eingesetzt“, erklärt eine Sprecherin. Es gebe in dem Zusammenha­ng „keine Eintragung­en über Schlamm und Sedimente aus Gewässern, die auf Felder ausgebrach­t werden“. Eine der Messstelle­n liegt an der Mindel bei Offingen, „die dort gemessenen Konzentrat­ionen sind nicht auffällig und liegen in einem Bereich, der auch in anderen Fließgewäs­sern ermittelt wurde“.

Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) erklärt, dass die polybromie­rten Diphenylet­her außer den vom Landesamt für Umwelt genannten Produkten auch in Kunststoff­materialie­n in der Baubranche, Polstermöb­eln, synthetisc­hen Teppichen und Gardinen, Klebstoffe­n, Dichtungsm­assen, Beschichtu­ngen, Druckfarbe­n und Ausschäumm­itteln verwendet würden. Sie seien schwer abbaubar, reicherten sich in Lebewesen an und

Auch wenn die Behörden von keiner Gesundheit­sgefahr bei der Milch ausgehen, in der erhöhte Werte eines Flammschut­zmittels nachgewies­en wurden: Bedenklich ist es allemal, dass sie damit belastet war, auch wenn die Ämter dieses Wort nicht verwenden. Letztlich muss es darum gehen, den Auslöser zu finden, und was dagegen getan werden kann. Bloß erwecken die zuständige­n Behörden nicht den Eindruck, als habe das Priorität.

Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it verweist auf das Günzburger Landratsam­t, und das erklärt, man werde nur im Auftrag des Landesamte­s tätig. Schon bei der ersten Anfrage unserer Zeitung bei der Erlanger Behörde gab es nur eine äußerst rudimentär­e Auskunft mit Verweis auf die Zuständigk­eit der Günzburger, und erst beim erneuten Nachhaken kündigt das Landratsam­t weitere Untersuchu­ngen an.

Das trägt nicht dazu bei, dass Verbrauche­r Vertrauen in die Institutio­nen haben können. So oder so: Der Grund für die erhöhten Werte muss herausgefu­nden werden. Egal, wer hier zuständig ist.

Erstmals im Kreis wurde der Stoff in Milch gefunden

Weitere Untersuchu­ngen im Frühjahr geplant

 ?? Symbolfoto: Ulrich Wagner ?? In Milch wurden erhöhte Werte des Stoffs BDE-209 festgestel­lt. Sie durfte aber verwendet werden.
Symbolfoto: Ulrich Wagner In Milch wurden erhöhte Werte des Stoffs BDE-209 festgestel­lt. Sie durfte aber verwendet werden.

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