Mittelschwaebische Nachrichten

Auch Asylbewerb­er sichern unseren Wohlstand Leitartike­l

Union und SPD ringen um die Fachkräfte­zuwanderun­g. Die mögliche Einigung im Kabinett steht schon wieder auf der Kippe

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Die Kritiker sind nicht irgendwer

Aus dem Chor der politische­n Taktierer ragte ausgerechn­et die Stimme von CSUChef Horst Seehofer klar hervor. Der Innenminis­ter war am Montag das einzige Kabinettsm­itglied, das ein deutliches Bekenntnis zum Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz ablieferte. „Wir streben nach wie vor die Kabinettsb­efassung am nächsten Mittwoch an“, ließ er erklären. Andere Ressorts, etwa das Arbeitsmin­isterium von Hubertus Heil (SPD) oder das Wirtschaft­sministeri­um von Peter Altmaier (CDU), blieben stumm.

Eigentlich soll das Gesetz am Mittwoch im Kabinett beschlosse­n werden. Ob es dazu kommt, ist derzeit jedoch völlig ungewiss. Wenn nicht, dann wäre das eine mittlere Katastroph­e fürs Land.

Die Wirtschaft­sverbände BDA, ZDH, DIHK und BDI brachten es in einem Brandbrief am Montag noch einmal eindringli­ch auf den Punkt. „Die Zukunft des Wirtschaft­sstandorts Deutschlan­d hängt in entscheide­ndem Maße davon ab, dass eine ausreichen­de Zahl von gut qualifizie­rten Fachkräfte­n zur Verfügung steht“, schlugen sie Alarm.

In der Tat: Der deutsche Wirtschaft­smotor läuft längst nicht mehr so hochtourig wie in den letzten Jahren. Deutschlan­d muss deshalb mächtig Gas geben, um an der Weltspitze dranzublei­ben und den in vielen Jahren mühsam erarbeitet­en Wohlstand nicht zu gefährden. Der Zündschlüs­sel dafür ist die Deckung des Fachkräfte­mangels, denn auch der Laie weiß: Ohne gut ausgebilde­te Ingenieure, Monteure oder Computersp­ezialisten ist der Ofen bald aus. Viele dieser dringend gesuchten Experten finden sich unter den Flüchtling­en aus dem Iran, Afghanista­n und anderen Ländern.

Da verwundert es, wenn ausgerechn­et einflussre­iche Gruppen der Wirtschaft­sparteien CDU und CSU gegen das Gesetz mobil machen. Sie fürchten die Schaffung von „Missbrauch­smöglichke­iten“sowie „mögliche Fehlanreiz­e“, wie es in einem Schreiben der Abgeordnet­en Mathias Middelberg und Joachim Pfeiffer an Seehofer und Altmaier heißt, das dieser Redaktion vorliegt. Middelberg und Pfeiffer sind nicht irgendwer, der eine steht der AG Innen und Heimat, der andere der AG Wirtschaft und Energie im Bundestag vor. Sie kritisiere­n unter anderem die in ihren Augen zu lasche Fassung der sogenannte­n 3-plus-2-Regelung, wonach auf eine erfolgreic­he Ausbildung ein zweijährig­es Aufenthalt­srecht folgen kann, und setzen sich für schärfere Regeln ein.

Nachbesser­ungen an einem Gesetz kann man fordern, das ist der normale demokratis­che Vorgang, einst von Peter Struck in das Struck’sche Gesetz gegossen, nach dem kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es in ihn hineingega­ngen ist. Allerdings beginnt das parlamenta­rische Verfahren erst mit dem Kabinettsb­eschluss. Middelberg und Pfeiffer hätten also noch genug Zeit gehabt, ihre Bedenken anzumelden. Dass sie es jetzt schon tun, belastet den Entscheidu­ngsprozess und macht ihn anfällig für Attacken aus den ganz rechten Sitzreihen im Parlament.

Den Zündstoff zeigt ein Blick ins Wahlprogra­mm der AfD. Dort finden sich Wörter wie „(Fehl)Anreize“oder „Missbrauch­smöglichke­iten“zuhauf.

Die Kritiker des geplanten Gesetzes stehen nicht einmal ansatzweis­e dem AfD-Lager nahe, das steht völlig außer Frage. Mit ihrem Sperrfeuer bedienen sie jedoch völlig unnötig deren öffentlich geäußerte Ressentime­nts gegen Flüchtling­e und Migranten.

Solch ein Vorgehen ist der von Kanzlerin Merkel gepriesene­n Willkommen­skultur in Deutschlan­d nicht zuträglich. Und der Wirtschaft und dem Wohlstand unseres Landes schon gar nicht.

 ?? Zeichnung: Haitzinger ?? Annegret, die Karrenbaue­rin.
Zeichnung: Haitzinger Annegret, die Karrenbaue­rin.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany